Das Thema Künstliche Haifischhaut
Haie gehören zu den schnellsten Schwimmern der Tierwelt. Auf kurzen Strecken erreichen sie Geschwindigkeiten von über 70 Stundenkilometern. Dafür sorgen winzige, in Strömungsrichtung laufende Längsrillen (englisch riblets) auf ihren Hautschuppen. Die einzelnen Schuppen sind dabei so angeordnet, dass sie den Hai mit einem fortlaufenden Rillenmuster überziehen und den Strömungswiderstand am ganzen Körper verringern.
Künstliche Haifischhaut senkt den Strömungswiderstand
Ende der 1980er Jahre gelang es dem Strömungsmechaniker Dietrich Bechert, dieses Prinzip technisch nachzuahmen. In Kooperation mit dem Technologieunternehmen 3M entwickelte Bechert die "Riblet-Folie", eine künstliche Haifischhaut zur Reduktion des Strömungswiderstands von Oberflächen. Um die Wirksamkeit der Rillenstruktur zu erproben, beklebte Bechert 1996 einen Airbus mit der Spezialfolie. Bereits diese, damals noch nicht ausgereifte Beschichtung reduzierte den Treibstoffverbrauch um bis zu drei Prozent. Versuche mit verbesserten Nachfolgern erzielten später sogar Einsparungen von 8 Prozent. Dass die Riblet-Folie trotz nachgewiesener Wirksamkeit bis heute nicht zum Standard im Flugzeugbau wurde, liegt nicht am Prinzip, sondern an den verwendeten Werkstoffen. Bislang ist kein Material verfügbar, das den beträchtlichen Temperaturunterschieden und der UV-Strahlung in großen Höhen lange genug Stand hält. Als Alternative werden derzeit Lackierungen mit Riblet-Mikrostrukturen erprobt, die weniger rasch altern, witterungsbeständig sind und zudem große, auch doppelt gekrümmten Flächen kostengünstig überziehen können.
Mikrorillen machen Schiffe schneller
Neben der Luftfahrt könnte die künstliche Haifischhaut auch den Schiffsbau revolutionieren. Ihre erste "nasse" Bewährungsprobe legte die Technologie bereits 1987 ab. Als die Yacht "Stars and Stripes", deren Rumpf vollständig mit einer Riblet-Folie beklebt war, das Rennen um den berühmten Admiral´s Cup gewann, standen die Vorzüge außer Frage. Da die unterlegenen Teilnehmer dem Sieger unlautere Machenschaften vorwarfen, waren Riblet-Beschichtungen zwei Jahrzehnte lang nicht mehr zugelassen. Nach der Aufhebung des Verbots schickte das BMW Oracle Team im Jahr 2010 erneut eine Riblet-beschichtete Yacht ins Rennen und gewann den 33. Admiral´s Cup mit klarem Vorsprung.
Da die Folie jedoch nach wie vor nicht für den kommerziellen Dauereinsatz taugt, sucht unter anderem das Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschungen nach neuen Lösungen. Derzeit konzentriert sich die Forschung darauf, ein Lacksystem mit Riblet-Effekt zu entwickeln, das den Treibstoffverbrauch von Schiffen um bis zu zehn Prozent reduzieren soll.
"Hai-Teck" für Schwimmanzüge
Unter der Bezeichnung "Fastskin" vermarktet der englische Schwimmartikelhersteller Speedo Schwimmanzüge, die Eigenschaften der Haihaut imitieren. Und das extrem erfolgreich: Dank der Riblet-Oberflächenstruktur holen Athleten mit "Haifischanzügen" über eine Distanz von 200 Metern einen durchschnittlichen Vorsprung von sechs Metern heraus. Ihren ersten triumphalen Auftritt hatte die neue Nasstextil-Techologie im Jahr 2000 bei den Olympischen Spielen in Sydney: 83 Prozent der Medaillengewinner schwammen in Speedo-Anzügen und brachen 13 von 15 Weltrekorden. Bei den Olympischen Spielen von Athen 2004 schrieb Michael Phelbs Geschichte als erster Schwimmer, der acht Medaillen gewann. Neider und Besiegte führten den Goldregen auf die umstrittene "Hai-Teck"-Unterstützung zurück. Vier Jahre später setzte sich der Riblet-Siegeszug in Peking fort: 92 Prozent aller Medaillen heimsten Schwimmer ein, die einen Speedo- "Haifischanzug" trugen.