Franziska Koohestani: "Hairy Queen" "Körperbehaarung spielt bei der Angst vor Entmenschlichung eine wichtige Rolle"
Westliche Schönheitsideale bestimmen, wie wir Körperbehaarung bewerten. Franziska Koohestani beschreibt in ihrem Buch "Hairy Queen", was das mit Rassismus zu tun hat und warum wir uns selbst beim rasieren mal hinterfragen sollten.
Der Sommer und mit ihm Badeklamotten, Shorts und Tops stehen vor der Tür. Und mit ihm für viele Menschen wieder die Frage: wann und wo rasiere ich mich eigentlich? Wie trage ich meine Haare, ob am Kopf oder im Intimbereich? Franziska Setare Koohestani bezeichnet sich selbst als Hairy Queen und hat im gleichnamigen Buch ein Manifest für einen anderen Umgang mit Haaren verfasst. Im Zündfunk-Gespräch mit Franziska Timmer erklärt sie, warum Haare politischer sind, als wir meinen.
Zündfunk: Wie kamst Du auf das Thema Haare?
Franziska Setare Koohestani: Auf einem Festival in Frankreich, habe ich weiße Feministinnen und Französinnen kennengelernt, die sich gar nicht mehr rasiert haben. Wir kamen ins Gespräch. Selbst auf einem Festival, also unter widrigen Bedinungen habe ich mich enthaart. Ich konnte das mir selbst nicht mehr erklären, warum ich das mache. Dann habe ich einmal alles wachsen lassen und gemerkt: das fällt mir schwer. Ich habe gemerkt, als nicht weiße Frau ist es noch mal eine größere Hürde, mit dieser Norm der Enthaarung zu brechen. Nicht nur, weil ich stärker behaart bin, als es die durchschnittliche weiße Frau ist. Sondern auch, weil ich Angst hatte vor Diskriminierung oder vor Abweichung der Norm. Es gibt einen Druck der Anpassung, den viele nicht weiße Menschen kennen und durch die eurozentrische Schönheitsnormen so stark beeinflusst ist.
"Nicht weiße Menschen versuchen permanent, irgendwie weißer auszusehen"
- Franziska Setare Koohestani
Wir sind beide dunkehaarige Frauen. Du bezeichnest Dich als eine Women of Color. Ich selbst bin weiß. Warum spielt jetzt für eine Woman of Color Körperbehaarung noch mal eine größere und vielleicht sogar eine politische Rolle?
Im Zuge der Rassentheorien hat nicht nur Hautfarbe, sondern auch Körperbehaarung eine Rolle gespielt. Man hat versucht, Menschen zu entmenschlichen, indem man behauptet hat, starke Körperbehaarung wäre ein Zeichen von Unterentwicklung, von stärkerer Affenähnlichkeit oder Tierähnlichkeit. Ich habe das Gefühl, dass diese Assoziation mit Wildheit oder weniger Zivilisiertheit zu tun hat. Diese Angst vor Entmenschlichung ist etwas, das immer noch nicht-weiße Menschen sehr stark prägt. Körperbehaarung spielt dabei eine wichtige Rolle.
Dann kommt hinzu, dass man als Woman of Colour das Gefühl hat, man sei nur wertvoll, wenn man so sehr wie möglich versucht, wie eine weiße Person auszusehen. Zum Beispiel ist der "Haut-Markt" einer der weltweit am stärksten wachsenden Kosmetikindustrien, vor allem in Ländern wie Indien. Da zeigt sich, dass nicht weiße Menschen permanent versuchen, irgendwie weißer auszusehen. Man hat das Gefühl, man muss diese Anpassung körperlich vornehmen, um ein bisschen besseres Leben zu führen und um bestimmte Diskriminierungen zu umgehen. Wenn ich sage, dass Körperbehaarung politisch ist, bedeutet das ja auch, dass es gar nicht so leicht ist, damit anders umzugehen. Solange die politischen Bedingungen eben noch so sind, wie sie sind. Aber ich finde trotzdem wichtig, dass man auch zulässt, ein bisschen utopisch zu denken.
Viele wünschen sich von der Lektüre eines Sachbuchs eine Art Handlungsanweisung. Kann man sich denn so eine Antwort auf die Frage erhoffen in deinem Buch? Soll ich mir als Frau jetzt die Beine rasieren oder nicht?
Eine Kopfrasur wird auch als politischer Protest genutzt. Hier rasieren sich Frauen in London in Solidarität mit Menschen in Gaza die Haare ab.
Ich würde dazu ermutigen, mehr auszuprobieren. Aber ich würde niemandem sagen, man soll sich nicht mehr rasieren oder man soll sich unbedingt rasieren. Es ist auch voll selbst ermächtigt, sich zu rasieren. Ich glaube, dass es andere Möglichkeiten gibt, was man individuell tun kann. Wir alle kämpfen gegen die Normen. Verändere vielleicht eher deinen Blick auf andere Menschen und verurteile sie nicht für ihre Körpergestaltungen. Versuche, anders auf Haare zu schauen und auf Menschen zu schauen, die ihre Haare zeigen.
Ein persönlicher Ansatz kann auch einer sein, der andere Menschen mit einbezieht, weil wir einfach sehr stark abhängig von den Blick anderer Menschen sind. Wir können individuell sehr viel dadurch verändern, indem wir unseren eigenen Blick auf andere verändern. Denn je mehr Menschen ihren eigenen Blick auf andere verändern, desto einfacher ist es für jeden Einzelnen, seine Körpergestaltung ein bisschen freier zu praktizieren.
Anmerkung der Redaktion: Franziska Setare Koohestani arbeitet frei für den Bayerischen Rundfunk.