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„Schleimkeim - Otze und die DDR von unten“ Diese Doku über DDR-Punks hilft, den Osten zu verstehen

Dieter „Otze“ Ehrlich ist der Urvater des Punks in der DDR. Die Doku über seine Band Schleimkeim ist aber viel mehr als eine Doku über Punk. Sie hilft Wessis, den Osten zu verstehen, ohne ihn zu idealisieren.

Von: Ferdinand Meyen

Stand: 14.03.2024

„Schleimkeim - Otze und die Welt von unten“ - Filmstill | Bild: Kontrastfilm/Arsenal Filmverleih

Die Geschichte von Dieter Ehrlich beginnt auf einem Bauernhof in Stotternheim, ein Dorf in der Nähe von Erfurt. Hier wird in einem Stall die erste Punkband der DDR geboren: Schleimkeim. Bauernsohn Dieter Ehrlich, der mittlerweile verstorben ist, ist damals der Sänger. Die Texte: staatskritisch, gegen die Regierung. Es heißt zum Beispiel ironisch: „Lada, Wartburg und der Trabant: ein super Angebot in unser'm Land.“

Die neue Doku „Schleimkeim: Otze und die DDR von unten“ erzählt die Geschichte der DDR-Punks. Otze ist der Name, den Dieter sich Anfang der 1980er Jahre gibt. Da bastelt er im Stall ein Schlagzeug aus Mülleimern zusammen, schraubt alte Radios auseinander, um daraus Verstärker zu machen und lötet Seifenschalen so zusammen, dass sie den Gitarrensound verzerren. Im Westradio hatte Otze The Clash, die Ramones, die Sex Pistols gehört und findet: So etwas muss es in der DDR auch geben: „Man hat halt improvisiert mit dem, was man hatte. Und dann ging die Fußmaschine kaputt, und dann hat er die Fußmaschine in die Ecke geschmissen und gesagt: ‚Diese Scheiß-Kommunisten-Ware. Und alles, was du hier machen kannst in diesem Land ist eh nur noch saufen“, sagt Lippe, der Schlagzeuger von Schleimkeim in der Doku.

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SCHLEIMKEIM - Otze und die DDR von unten | Bild: Arsenalfilm (via YouTube)

SCHLEIMKEIM - Otze und die DDR von unten

Punks wurden drangsaliert, ausgegrenzt, ins Gefängnis geworfen

Obwohl viel Thüringisch zu hören ist, hat ein Schwabe den Film gedreht. Der 33-jährige Regisseur Jan Heck spielt selbst in einer Punkband: „Als ich 14 war, war Punk für mich unglaublich wichtig. Das hat mich gefühlt aus dem spießigen Dorf rausgeholt. Und da hat mir jemand eine CD von Schleimkeim in die Hand gedrückt. Ich habe gedacht: ‚Whoa, was ist das für ein Sound, wie als ob man irgendwie auf eine Kreissäge spuckt.“

Regisseur Jan Heck

Den Regisseur beeindruckt, wie die Punks trotz staatlicher Repressionen ihr Ding gemacht haben. Sie wurden drangsaliert, ausgegrenzt, ins Gefängnis geworfen. Nur, weil sie nicht ins Bild gepasst haben. Aber gerade deshalb, sagt Jan Heck, sind die ehemaligen Kumpels von Otze auch heute noch so authentisch: „Wenn man Punk sein wollte in der DDR, dann wusste man, dass man Probleme bekommt. Und dann musste man das auch durchziehen. Die Leute, die ich da interviewt habe, die haben das durchgezogen. Und natürlich kann man daraus lernen, für seine Freiheit und seinen Ausdruck zu kämpfen. In meinen Augen sind das schon kleine Helden und Heldinnen.“

Eine Geschichte voller Widersprüche

Aber die Geschichte ist auch voller Grautöne und Widersprüche. Stasi-Spitzeleien, die man sich aber wieder verzeiht, weil man später in der Akte liest, dass die weitergegebenen Informationen den Staat in die Irre geführt haben. Außerdem hat Otze, der Sänger von Schleimkeim, schon früh einen Drang zu Gewalt. Nach der Wende wird er in die Psychiatrie eingewiesen, er hat seinen Vater mit einem Beil ermordet. Ein Mitstreiter erinnert sich in der Doku: „Das nächste Bild was ich habe ist, dass er an seinem Schlagzeug sitzt und trommelt wie ein Berserker und dann das Schlagzeug immer weiter nach vorne wandert. Der drischt dieses Ding ins Publikum rein und dann ist irgendein Punk in das Schlagzeug reingeflogen. Und dann hat Otze sich den Typen geholt, ihm dick in die Fresse geschlagen und hat weitergespielt, als wenn nichts gewesen wäre.“

Das komplizierte Verhältnis vieler Ostdeutscher zu Autoritäten

Schleimkeim-Plakat

Die Doku „Schleimkeim“ macht nicht den Fehler, Otze zu idealisieren. Sie begegnet den Zeitzeugen auf Augenhöhe, und das macht sie so sehenswert. Sie hilft dabei, den Osten zu verstehen. Das komplizierte Verhältnis vieler Ostdeutscher zu Autoritäten. Die DDR-Punks waren ja keine Marktliberalen, die ein Problem mit Sozialismus hatten, sie waren auch links, aber angewidert von der Diktatur. Vor allem – der Anzeigenhauptmeister lässt grüßen – vom Wahn danach, dass alles nach Recht und Ordnung abzulaufen hat. Regisseur Jan Heck erzählt: „Man kriegt auf jeden Fall ein tieferes Verständnis dafür, dass die DDR einfach weit entfernt war von Linkssein, weil dieser Sozialismus, den die gelebt haben, war ja eigentlich eher ein Unterdrückerstaat.“

Wer für einen höheren Spitzensteuersatz, niedrigere Mieten oder sogar für einen demokratischen Sozialismus einsteht, muss sich oft anhören, dass die DDR gescheitert ist. Die Doku zeigt, dass das zwei verschiedene Paar Schuhe sind. Die einzige wirklich freie Zeit, sagen zwei Punks in der Doku, waren die Jahre nach der Wende in Berlin, als es überhaupt keine Staatsgewalt gegeben habe. Doch die DDR-Herrschaft wurde schnell durch die neue kapitalistische Herrschaft ersetzt. Daran sind viele zerbrochen, wohl auch der legendäre Sänger Otze von Schleimkeim.