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"Hallo Spencer" Der neue Kinofilm von Jan Böhmermann rechnet mit dem Kreativkapitalismus ab

Nach fast 25 Jahren ist „Hallo Spencer“ zurück. Jan Böhmermann hat einen Film über den Erfinder der Fernsehshow produziert. Der vor allem eine Mediensatire und eine Abrechnung mit alldenjenigen ist, die Kunst und Kreativität kapitalisieren wollen.

Von: Ferdinand Meyen

Stand: 03.07.2024

Jan Böhmermann und Spencer auf der Premiere von "Hallo Spencer" | Bild: picture alliance/dpa | Stefan Puchner

Wenn die komische gelbe Puppe, diese Mischung aus Kröte und Mensch mit Fischermütze, auf der Kinoleinwand erscheint, muss sie ihren berühmten Satz natürlich irgendwann sagen: „Hallo Leute von A bis Z, von eins bis 100, von Norden bis Süden und von Osten bis Westen. Da bin ich wieder, euer lieber guter alter Spencer!“ So hat Spencer fast jede Folge der NDR-Kindersendung „Hallo Spencer“ anmoderiert.

Wie Jan Böhmermann auf das Hallo-Spencer-Archiv stieß

Winfried Debertin (unten links) und seine Puppen und Puppenspieler

Fast 40 Jahre lang lief die Handpuppen-Show im NDR. Das war eine Latenight-Show für Kinder mit Muppet-ähnlichen Figuren. Jetzt ist die Geschichte des Erfinders, Winfried Debertin, verfilmt worden. Zu verdanken hat Spencer das Jan Böhmermann, der das Drehbuch geschrieben, den Film produziert und daraus auch eine Medienkritik gemacht hat. Auf der Premiere des Films beim Filmfest München erklärt er mir, wie es dazu gekommen ist. „Uns ist diese Geschichte vor die Füße gefallen“, sagt Böhmermann. „Wir haben Winfried Debertin kennengelernt, und er hat uns aus seinem Leben erzählt.“ Böhmermann habe Debertin daraufhin in Hamburg besucht, wo er ihm etwas Erstaunliches gezeigt hat: „Dass in einer alten Disko, nämlich dem MicMac in Hamburg, sämtliche Kulissen, Puppen, Drehbücher und alle Unterlagen aus 40 Jahren ‚Hallo Spencer‘ lagerten.“

Darum geht es im neuen Hallo-Spencer-Film

Das MicMac stand kurz vor dem Abriss, erzählt Böhmermann. Und Debertin träumte schon seit Jahren von einem Hallo-Spencer-Kinofilm. Der jetzt produziert worden ist. Die Handlung orientiert sich dabei sehr stark an der wahren Geschichte: Es geht um den Abriss der alten Disko und um den Kampf um ein Lebenswerk.

Der Hallo-Spencer-Erfinder heißt im Film Gregor Sesam. Die Disko, in der er haust, „Coconut Cave“. Die Grundstücksbesitzerin will die Disko abreißen und darauf ein Altenheim errichten. Sie rechnet aus: Das würde ihr einen Gewinn von zehn Millionen Euro erwirtschaften. Deshalb schlägt sie Gregor Sesam einen Deal vor. Wenn es ihm gelingt, die zehn Millionen aufzutreiben, bleibt seine „Coconut Cave“ mit den Hallo-Spencer-Puppen erhalten. Und Gregor Sesam hat eine Idee: Er will einen erfolgreichen Hallo-Spencer-Film schreiben. Hilfe bekommt er dabei von seinen Puppen. Unter anderem von Spencer selbst. Aber natürlich auch von Kasi, Nepomuk und dem Drachen Poldi.

Sprechende Puppen ohne Special-Effects

Die Puppen sprechen mit Gregor Sesam, bekommen ein Eigenleben. Aber sie stehen auch symbolisch für die Sorgen, Ängste und Einfälle ihres Erfinders. Dafür wurde nichts animiert, sondern mit menschlichen Puppenspielern gedreht, erklärt Filmregisseur Timo Schierhorn. Er sagt: „Das war nicht ohne, weil die Puppen bis jetzt noch nicht mit Menschen zusammen im Bild waren.“ Der Dreh des Films sei nicht einfach gewesen, sagt Schierhorn, der mit „Hallo Spencer“ gleichzeitig sein Spielfilmdebut feiert. Zuvor hat er Musikvideos gedreht für Deichkind und Tocotronic.

Hallo Spencer featuring Tocotronic

Jan Böhmermann, Timo Schierhorn und Dirk von Lowtzow

Timo Schierhorn erklärt, dass es bei diesem Film natürlich auch um das nostalgische Element gehe. Aber nicht nur: „Ich finde, das ist auch erstmal eine Message für Leute, die an ihre Kindheitstage denken und das jetzt noch ein bisschen weiterentwickeln“, sagt der Regisseur. Weiterentwickeln, zum Beispiel, indem man „Hallo Spencer“ mit Tocotronic vermischt. Auch Dirk von Lowtzow hat im Film nämlich einen Auftritt. „Ich spiele in dem Hallo-Spencer-Film mich selbst“, sagt der Musiker. Wie er sich darauf vorbereitet hat? Er lacht: „Nichts, ich musste nichts machen. Deshalb habe ich die Rolle auch angenommen.“ Dirk von Lowtzow darf auch einen Song singen, zusammen mit den „Quietschbeus“, der Puppenband aus „Hallo Spencer“. Der Song heißt „Das ist die Kunst“. „Das war mein großer Traum, einmal mit Puppen zu performen“, sagt von Lowtzow. Aber: Es geht bei „Hallo Spencer“ auch um mehr als Nostalgie und Kindheitserinnerungen. Dirk von Lowtzow erklärt: „Weil ich glaube, dass der Regisseur Timo Schierhorn und Jan Böhmermann, der Produzent, genau dieses Momentum auch mitbedacht haben, auf einer Meta-Ebene. Dass etwas daran ein bisschen peinlich ist. Und anders als bei anderen gibt es natürlich eine satirische Ebene.“

Warum „Hallo Spencer“ eine Mediensatire ist

Der neue Hallo-Spencer-Film ist vor allem Mediensatire, eine Kritik am Kreativkapitalismus. Gregor Sesam muss sein Drehbuch nämlich Streamingdienstleistern und Medienhäusern pitchen, eines schlimmer als das andere. Disney+ heißt im Film zum Beispiel „Agony+“. Und die Rechte an Hallo-Spencer, so stellt sich später heraus, hat mittlerweile ein Medien- und Verlags-Ehepaar aus Berlin. Sie wollen Hallo-Spencer ausschlachten, träumen von computeranimierten Realverfilmungen wie bei  der „Arielle“-Neuverfilmung oder „König der Löwen“. Einmal wird auch versucht die Puppen zu Berliner Ravern zu machen. Jan Böhmermann erklärt: „Es geht gar nicht um Nostalgie. Das ist vielleicht ein kleiner Faktor. Es ist kein Film für Leute, die wollen, dass Spencer weitergeht, sondern ein Erklärungsversuch, warum Spencer aufgehört hat. Vielleicht ein Märchen, dass die Geschichte von Kreativen erzählt, die versuchen ihre Ideen auf Bühnen zu bringen.“

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HALLO SPENCER – DER FILM | Trailer | FILMFEST MÜNCHEN 2024 | Bild: FILMFEST MÜNCHEN (via YouTube)

HALLO SPENCER – DER FILM | Trailer | FILMFEST MÜNCHEN 2024

Nieder mit dem Kreativkapitalismus!

Was ist die Idee überhaupt Wert, fragt sich Gregor Sesam immer wieder, während er von Kapitalist zu Kapitalist tingelt und verzweifelt. Am Ende ist „Hallo Spencer“ deshalb eine revolutionäre Antwort an alldiejenigen, die sich fragen, bis zu welchem Grad man Kunst kapitalisieren und Lebenswerke vermarkten kann: Wer Kreativität und Nostalgie ausschlachtet, verursacht bei wirklichen Künstler*innen am Ende vor allem eines: Agony plus. Unendliche Qualen.

Hinweis: Der Film soll noch dieses Jahr im ZDF veröffentlicht werden.