Rap-Genre “Horrorcore” Wie aus einem Halloween-Rap für Kinder ein Hip-Hop-Genre wurde
Es begann in den 1980ern mit Grusel-Liedern für Teenager – geschrieben von Rappern wie Will Smith, damals 18 Jahre alt. Warum aus harmlosen Raps ein eigenes Genre wurde, und wie Horrorfilme die Karriere von Eminem gepusht haben, zeichnet Falk Schacht nach.
Schon direkt am Anfang der Rap-Musikgeschichte tauchen fantastische Grusel-Elemente auf: 1980 rappt Jimmy Spicer über seine Erlebnisse mit Dracula, und 1983 rappt z.B. die Band Whodini über ein Geisterhaus, in dem sich alle vom Werwolf bis zur Hexe zu einer Party treffen.
Die 1980er sind das große Jahrzehnt der Slasher-Horrorfilme. Die Kids und Teenager liebten geradezu kultisch diese harten Horrorfilme, und das, obwohl, oder gerade weil, diese eigentlich erst ab 18 erlaubt waren. “Die Charaktere sind angst-stilistisch so ausgearbeitet, dass sie eine unglaubliche Faszination, auch vom Grusel-Wiedererkennungswert, auf einen ausüben“, sagt der Rapper Skinny Finsta. Insbesondere in den USA hätten Horrorfilme in der Pop-Kultur deswegen einen hohen Stellenwert: „Ein Jason mit Hockeymaske, ein wortloser Psychopath wie Michael oder ein Kettensägen schwingender Leatherface: Das sind einfach Charaktere, die im Kopf bleiben”, so Skinny Finsta.
Der Prinz von Bel-Air begann als Grusel-Rapper
Und weil man in den 1980ern im Rap oft versuchte, sich thematisch an erfolgreiche Mainstream-Themen dranzuhängen, kam 1987 ein junger Rapper namens Will Smith auf die Idee, einen Rapsong über den Horrorfilm-Serienmörder Freddy Krüger zu machen.
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Smith, der später als Prinz von Bel-Air und Man in Black ein Weltstar als Schauspieler werden sollte, war wie die Zielgruppe des “Freddy Krüger”-Horrorfilms 18 Jahre alt, als er diesen Song machte. Ein paar lustig düstere Harmonien und die Stimme ein bisschen übertrieben ängstlich zittern lassen – fertig ist der harmlos klingende Gruselrap für Kids und Teenager.
Andere Rapper finden das allerdings Ende der 1980er-Jahre lächerlich und kindisch. Sie wollen den harten Scheiß. Und deshalb fangen sie an, übernatürliche, okkulte und psychologische Horrorthemen in ihre Texte einzubauen. Ihr Ziel? Dass ihre Songs genauso hart und schockierend sind wie die Slasher-Horrorfilme. Quasi Ü-18-Rap für Erwachsene.
Es beginnt eine Bewegung mit dem Ziel, zu schocken
Wurde als "Prinz von Bel-Air" und als "Man in Black" berühmt, begann seine Karriere aber mit einem Horrorfilm-Raptrack: Will Smith
Die Geto Boys sind solche Rapper, die es härter haben wollen. Mit ihrem 1991er-Klassiker “Mind Playing Tricks” erzählen sie eine Psycho-Horror-Geschichte von Wahnvorstellungen und Mord mit okkulten Anspielungen und schaffen damit den ersten Horrorcore-Hit in den Charts. Es beginnt eine ganze Bewegung in den USA, und die großen Major-Labels nehmen Horrorcore-Rapper unter Vertrag.
In den Mainstream schaffen es aber nur wenige. Damals hörte auch ein ganz junger Rapper namens Eminem zu – dessen Karriere als normaler Rapper keinen interessierte. Erst, als er sich wie bei Dr. Jekyll und Mr. Hyde ein zweites böses Ich erfindet und rauslässt, nimmt der Erfolg zu. Die Böse Figur nannte er: Slim Shady.
Im ersten großen Eminem-Hit von 1999 klingt Slim Shady allerdings eher wie ein frecher Rabauke und nicht wie ein Horror-Psycho-Killer. Ganz anders auf dem Album-Track “Kim”, indem er nachstellt, wie er seine Ex-Frau in einem wahnhaften Anfall ermordet.
Slim Shadys Karriere wurde von Horrorcore beeinflusst
Auf Konzerten steht dann Slim Shady auch mit einer Kettensäge und einer Eishockey-Maske auf der Bühne; wie eine Mischung aus seinen Slasher-Vorbildern Jason aus “Freitag der 13.” und „Leatherface“ aus dem “Texas Kettensägen Massaker”.
Die Gründe dieser übertriebenen Gewaltdarstellung im Horrorcore erklärt der Experte Skinny Finsta anhand der Szene der Stadt Memphis, wo Bands wie Triple 6 Mafia ihren Horrorcore Sound machten: „Wenn man bedenkt, dass in Memphis die Künstler schon als Kinder angefangen haben, Musik zu machen, kann einem in den Sinn kommen, dass junge Leute immer erstmal eins wollen: Auffallen, provozieren, rebellieren, um eben Aufmerksamkeit zu erregen, um vielleicht auch Frust und Ängste abzulassen oder einfach um auf die Kacke zu hauen.“
Eminem bei einem Auftritt 2001 mit Kettensäge und Maske; eine Anspielung auf die Horrorfilme "Halloween" und "Texas Chainsaw Massacre".
Provokationen junger Rapper sind aber nur ein Grund. Es gibt noch eine andere, persönliche Erfahrungsebene dieser jungen Rapper, die in Memphis leben – einer der ärmsten Städte der USA mit einer der höchsten Kriminalitätsraten. „Der reale Horror, der ja täglich auf den Memphis Straßen stattfindet, der wurde natürlich dann in den Texten der Jugendlichen noch mal auf die Spitze getrieben“, sagt Skinny Finsta.
Die künstlerischen Mittel des Horrorcore ermöglichen es Rappern, Kommentare zum Zustand der Gesellschaft und ihrer persönlichen Probleme abzugeben und so Aufmerksamkeit zu bekommen. Als Eminem normal über seine Probleme rappte, wollte niemand etwas von ihm wissen. Erst als er in Songs beschrieb, wie er seine Ex-Frau umbrachte, hatte er die Aufmerksamkeit des Publikums. So wurde aus dem harmlosen Halloween-Rap, der einmal im Jahr gehört wurde, das Genre Horrorcore, das Aufmerksamkeit das ganze Jahr über verspricht.