Shellac: "To All Trains" Warum das posthume Album "To All Trains" Steve Albini zum Rockstar wider Willen macht
Einer der großen Musiker, der nicht das Rampenlicht suchte und die Indie-Welt doch maßgeblich prägte: Ohne Steve Albini würde Alternative Rock / Post-Hardcore-Sound heute weniger grungey klingen, mit weniger Bass-Druck – und Schlagzeug konnte ohnehin kaum jemand so gut aufnehmen wie er in seinem Studio in Chicago. Ein Jammer, dass er so früh gehen musste.
Sie wollten wieder mal alles richtig machen: Das Vinyl für die Schallplatten-Ausgabe des Albums ist aus "100 Prozent recyceltem PVC-Material und ohne Weichmacher hergestellt – mit 79 Prozent weniger CO2 produziert". So steht es auf dem Cover von "To All Trains" der US-amerikanischen Band Shellac. Alles war schon fertig: Am 17. Mai sollte die Platte ausgeliefert werden. Doch zehn Tage vor Veröffentlichung das Unglück: Sänger und Gitarrist, sprich der Kopf von Shellac, Steve Albini erleidet in Chicago einen Herzinfarkt.
Seine letzte Platte ist klasse
Der Rest der Band und die Plattenfirma haben das einzig Richtige gemacht: Sie verzichteten auf Promo und Werbung, brachten das Album nun so raus, wie es Albini fertiggestellt hat. Es ist eine klasse Platte. Sie vermischt wieder explosiven Post-Hardcore und exakt herausgezirkelten Math-Rock mit den für das Genre typischen unvorhersehbaren Breaks. Und es ist vor allem sein Sound, Steve Albinis Sound: Bass und Schlagzeug verschmelzen zu einer zähen, festen Groove-Einheit. Das haben Shellac mit anderen, wesentlich berühmteren Rock-Minimalisten gemeinsam – egal ob Motörhead, den Wipers oder den Ramones. Letztere waren seine Initialzündung – wie Steve Albini im Zündfunk-Gästemix einmal schwärmte.
"Als ich 15 war, spielte mir ein Freund die Ramones vor – im Schulbus. Er hatte ihr erstes Album auf Kassette. Damals wusste ich nicht, ob ich sie gut oder schlecht finden sollte. Ich wusste nur: Sie sind anders, besonders. Im Laufe der Zeit wurde ich von ihnen jedoch regelrecht besessen. Es mag wie ein Klischee klingen: Alles, was ich in meinem Leben getan habe, ist mehr oder minder die Folge davon, dass ich als Teenager die Ramones hörte", erzählte Steve Albini Zündfunk-Moderatorin Sabine Gietzelt mal.
Nicht die Ramones covern Shellac allerdings nun auf ihrem neuen Album – sondern eine geliebte englische Band: The Fall. Shellacs Coverversion von "How I Wrote 'Elastic Man'" lebt vom knackigen Rock-Bass, der auch mal freistehen darf und nicht von dominanten Gitarren bzw. schepperndem Schlagzeug zugekleistert wird. Diese Band lässt sich Platz, und als Trio ist auch genug Luft dafür.
Abneigung gegen Rockstars
"Scabby The Rat" klingt wie in den grunge-igen 90ern: Der viel zu kurze Song ist der wohl der beste auf "To All Trains". Sieben Jahre haben sie sich für die Songs der Platte Zeit gelassen. Steve Albini mochte und machte Musik, die sich selbst genügte, die kein Produkt der Unterhaltungsindustrie war, die auch niemanden glücklich machen wollte – wie er uns 2011 erzählte. Worum es Steve Albini immer ging: um Musik, die anders war, um Musiker, die die keine Rockstars waren. Er entwickelte eine regelrechte Abneigung gegen sie.
"I very quickly developed a distaste for rockstars. I don't think I ever really admired."
Steve Albini
Durch Albinis Tod lässt sich nun herumdeuteln: Warum zeigt das Shellac-Cover denn einen Bahnhof? Und wieso singt Steve Albini im letzten Lied diese Zeilen: "Wenn etwas vorbei ist, spring ich in mein Grab – wie in die Arme eines geliebten Menschen / und wenn es einen Himmel gibt, hoffe ich, dass sie da Spaß haben, denn wenn es eine Hölle gibt, werde ich jeden kennen."
Albini war ein Anti-Rock-Star, der mit Rock-Stars gearbeitet hat – er nahm zum Beispiel Nirvanas letztes Album auf, bevor Kurt Cobain von uns ging. Und nun ist Albini selbst gegangen. Vermutlich wird es ihn ärgern – wo immer er auch ist – dass, der letzte Song seiner letzten Platte "I Don't Fear Hell" (Ich Habe Keine Angst Vor Der Hölle) heißt. Mit dem Titel hinterlässt er ein Rätsel, wie es Fans und die Pop-Geschichte lieben. Und wird so doch noch zu einem Rock-Star – wider Willen.