"The Sympathizer" Die Vietnamkriegs-Satire von HBO zeigt, wie absurd Identitätspolitik ist
Oscar-Gewinner Robert Downey Jr. und Regie-Legende Park Chan-wook ("Oldboy") haben sich für "The Sympathizer" zusammengetan und vermitteln mit der Spionage-Serie eine Botschaft, die angesichts von Krisen und Kriegen nicht aktueller sein könnte.
Als Claude und der Captain auf dem Rollfeld des Flughafens von Saigon stehen, ahnen sie noch nicht, dass gleich Menschen sterben. Claude, ein CIA-Agent, gespielt von Robert Downey Jr., stimmt den Song "Runaway" von Del Shannon an, bevor er sich von seinen vietnamesischen Freunden verabschiedet.
"The Sympathizer" beginnt mit Endphase des Vietnamkriegs
Auf einem Motorrad fährt Claude davon, die Vietnamesen sollen jetzt in ein Flugzeug steigen, dass sie in die USA bringt. Doch aus dem unschuldigen Song wird in wenigen Minuten bitterer Ernst. "Runaway" ist nicht mehr nur ein Songtitel, die Menschen rennen wirklich um ihr Leben.
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Del Shannon - Runaway (1961) 4K
In der ersten Folge der neuen HBO-Serie "The Sympathizer" sehen wir die Evakuierung der südvietnamesischen Hauptstadt Saigon am 30. April 1975 in der Endphase des Vietnamkriegs. 40.000 Amerikaner und Vietnamesen sollen an diesem Tag in die USA gebracht werden. Doch weil die kommunistische Guerilla-Organisation Vietcong schon bis zum Flughafen vorgerückt ist, gerät das Rollfeld unter Beschuss.
HBO-Serie zieht viele Parallelen zur Gegenwart
Warum nochmal den Vietnamkrieg sehen? Ist das nicht weit weg und lange her? Doch dann erinnert man sich an ganz ähnliche Szenen aus der Gegenwart. An den Rückzug der Amerikaner aus Afghanistan, die verzweifelten Menschen, die sich an die Tragflächen der Flugzeuge klammern. Eine von vielen Parallelen der Serie zur aktuellen Politik.
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The Sympathizer | Official Trailer | Max
"Was hast du zu verbergen?", wird die Hauptfigur, gespielt von Hoa Xuande, gefragt. Er ist "der Captain", einen anderen Namen hat er nicht. Und: Er hat einiges zu verbergen. Er ist ein Doppelagent, ein Spion des nordvietnamesischen Vietcong, der sich in die Reihen der südvietnamesischen Streitkräfte eingeschlichen hat, die von der CIA unterstützt werden. Zu dem Geheimdienst hat er auch einen direkten Draht.
Pulitzer-Preis-Romanvorlage
Am Ende des Vietnamkriegs bekommt der Captain den Auftrag vom Vietcong, mit den Südvietnamesen nach Amerika zu fliehen, um dort weiter Informationen zu sammeln. Und hier beginnt die eigentlich Story der Serie "The Sympathizer".
Die Serie basiert auf auf dem Pulitzer-Preis-gekrönten Roman des vietnamesischen Schriftstellers Viet Thanh Nguyen. Hinter der Kamera steht der südkoreanische Regisseur Park Chan-wook, der bereits den Rache-Film "Oldboy" gedreht hat. Und Oscar-Gewinner Robert Downey Jr. hat die Serie mitproduziert. Eine unschlagbare Kombination.
Robert Downey Jr. verkörpert US-amerikanische Arroganz
Ihren Spaß dürften Zuschauer haben, die sich an ausgedehnten diskursiven Schlachten erfreuen. Denn "The Sympathizer" konzentriert sich vor allem auf den Kampf um Deutungshoheit nach dem Krieg. Robert Downey Jr. zum Beispiel, verkörpert vier verschiedene Versionen US-amerikanischer Arroganz. Als Kunstgriff der Serie übernimmt der Schauspieler gleich vier Rollen: Ein CIA-Agent, der Menschen wie Schachfiguren behandelt. Ein Filmregisseur, der zwar die Grausamkeiten der US-amerikanischen Kriegsführung zeigen will, aber dem die Vietnamesen egal sind. Ein Orientalismus-Professor, der so eingenommen von asiatischer Kultur ist, dass er dadurch zum Rassisten wird und ein republikanischen Politiker.
Alle US-amerikanischen Rollen, gespielt von nur einem Typen, der so facettenreich auch nicht ist. Mit ihrem pauschalisierenden Blick auf US-Amerikaner dreht die Serie die Perspektive einfach um: Denn noch bis in die Nullerjahre übernahm oft ein asiatischer Schauspieler alle asiatischen Rollen.
"The Sympathizer" ist eine Absage an identitätspolitisches Lagerdenken
Und gerade im Vietnam-Krieg wurde dieser pauschalisierende bis rassistische Blick auf die Spitze getrieben. Mit äußerst brutalen Folgen: Der damalige US-Verteidigungsminister Robert McNamara unterschied irgendwann nicht mehr zwischen Vietcong-Kämpfern und Zivilisten und ging zum sogenannten Bodycount über: Je mehr Vietnamesen man umgebracht hatte, desto "erfolgreicher" war der Tag. Wer überhaupt zur gegnerischen Kriegspartei gehört und wer nicht, war egal.
Zumal "The Sympathizer" in erster Linie eine Absage an identitätspolitisches Lagerdenken ist. Allein die komplexe Hauptfigur, der Captain. Die Vietcong fragen sich, ob er nicht doch zu lange in den USA war und die Ziele der Revolution aus den Augen verliert. Aber auch die Amerikaner nehmen ihn nie wirklich ernst. Und selbst seine Freunde erkennen im Captain keinen richtigen "Vietnamesen", weil er einen französischen Vater hat. Innerlich zerrissen performt er ständig nur das, was von ihm erwartet wird. Er wird dadurch zerstört, dass jeder ihn für einen Sympathisanten des jeweils anderen Lagers hält.
Es gibt nicht "die Vietnamesen" und "die Amerikaner". Und auch die Frage, ob man Kommunist, Kapitalist, Nord- oder Südvietnamese ist, spielt zum Ende der Serie keine entscheidende Rolle mehr – so viel darf verraten sein. Ein Mensch ist mehr, als die Identität, die ihm andere zuschreiben.