Religion & Orientierung


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Zeitgeschichte Jüdisches München vor 1933

Die Geschichte von Juden in München: Lion Feuchtwanger, Hermann Levi, Thomas Theodor Heine, Therese Giehse, Max Uhlfelder, Hermann Tietz, Kurt Landauer, Richard Kohn, Josef Schülein.

Stand: 26.10.2006 | Archiv

Es gab jedoch keineswegs nur vergebliche Anläufe in München - zumindest bis zur Machtübernahme der Nazis. Mit der Industrialisierung, dem allgemeinen Bevölkerungswachstum und dem Abbau von Restriktionen haben sich ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in einigen Städten Deutschlands größere jüdische Gemeinden etabliert, die bedeutendsten in Berlin und Frankfurt. Aber auch ein jüdisches München ist damals entstanden.

Mit mehr als 11.000 verzeichnete die Stadt 1910 die größte Anzahl jüdischer Bürger ihrer Geschichte bis heute. Der Zuwachs erklärte sich zum Teil auch durch Zuwanderung aus Osteuropa. Das jüdische München erlebte damals kulturell und wirtschaftlich eine Blütezeit.

Feuchtwangers und andere Erfolge

Lion Feuchtwanger (undatierte Aufnahme) | Bild: picture-alliance/dpa zum Artikel Jüdische Lebensläufe Lion Feuchtwanger - Chronist des Antisemitismus

Am 30. Januar 1933, dem Tag der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler, befand sich Lion Feuchtwanger in der US-Hauptstadt Washington als Ehrengast beim des deutschen Botschafters Friedrich Wilhelm von Prittwitz und Gaffron. [mehr]

Der prominenteste jüdische Schriftsteller Münchens war zweifellos Lion Feuchtwanger, der mit seinem Roman "Erfolg" den Aufstieg der Nazis in Bayern nachzeichnete. Zur Literaturszene der Stadt gehörten auch die heute vergessenen Carry Brachvogel oder Elsa Porges-Bernstein. Karl Wolfskehl war Mitglied in einem legendären Münchner Dichterzirkel: In seiner Schwabinger Wohnung traf sich der Kreis um Stefan George. Auch Wolfskehl verließ Deutschland 1933 und emigrierte 1938 nach Neuseeland.

Von 1913 bis 1922 musikalischer Direktor an der Oper in München: Bruno Walter

Einer der populärsten Zeichner und Karikaturisten war der aus Leipzig stammende Thomas Theodor Heine, eine der zentralen Figuren der Münchner Satire-Zeitschrift "Simplicissimus". Max Reinhardt wirkte als Theaterregisseur. Auf musikalischem Sektor feierte Bruno Walter Erfolge am Dirigentenpult als Generalmusikdirektor des Nationaltheaters. Einer seiner berühmten Vorgänger war Hermann Levi, von 1872 bis 1896 Hofkapellmeister in München. Levi dirigierte 1882 die Uraufführung der Oper "Parsifal" - gegen den Willen des antisemitischen Komponisten Richard Wagner, aber auf Wunsch von König Ludwig II.

Wo Münchens erste Rolltreppe lief

Bernheimer Haus um 1890 | Bild: Bayerisches Wirtschaftsarchiv der IHK zur Bildergalerie Einst und jetzt Münchner jüdische Geschäfte

Historische Bilder von jüdischen Waren- und Bankhäusern in München: Sie wurden alle "arisiert", nur wenige bekamen ihr Eigentum später wieder. [mehr]

Die bayerische Hauptstadt zählte 1910 etwa 300.000 Einwohner. Damals gab es Hunderte jüdischer Geschäfte - vom kleinen Handwerksbetrieb bis zum damals modernen mehrstöckigen Großkaufhaus. Einen dieser Warentempel betrieb Max Uhlfelder in der Nähe des Viktualienmarktes. Das Gebäude mit der ersten Rolltreppe der Stadt wurde im Zweiten Weltkrieg durch Bomben zerstört. Ein weiteres Beispiel war Hermann Tietz: Der Berliner Unternehmer betrieb auch in München eine Filiale. Das Warenhaus am Hauptbahnhof firmiert heute unter dem Namen Hertie.

Ehemaliges Kunstatelier Heinemann am Lenbachplatz

Die Nazis bereiteten in den 1930er-Jahren der goldenen Ära jüdischer Geschäfte ein jähes Ende, indem sie sie "arisierten", d. h. enteigneten. Kaum einer der ehemaligen jüdischen Besitzer wurde nach dem Zweiten Weltkrieg angemessen entschädigt.

In der Höhle des Löwen - ein Jude als Bierbrauer

Auch am, wenn auch vermutlich nicht ältesten, so doch beliebtesten Gewerbe der Bayern haben sich Juden beteiligt. Josef Schülein gründete Ende des 19. Jahrhunderts in München den Unionsbräu. Das Unternehmen hatte Erfolg und fusionierte 1921 mit dem Löwenbräu.

1932 Meister: "Judenclub" FC Bayern

FC Bayern-Meisterelf von 1932: Präsident und Trainer waren Juden.

Serienmeister ist der FC Bayern München erst seit den 1970er-Jahren. Davor dominierten andere Klubs den deutschen Fußball. In dessen früher Ära holten jedoch einmal auch die Bayern den Titel. 1932 wurde der damals als "Judenclub" denunzierte Verein zum ersten Mal deutscher Meister. Beim FC Bayern hatte zwar nur eine Minderheit einen jüdischen Hintergrund, aber zwei Juden lenkten damals die Geschicke des Klubs: Kurt Landauer als Präsident und Trainer Richard Kohn, genannt "Little Dombi".

Nach der ersten Meisterschaft wurde der Klub noch in der Innenstadt von den Fans bejubelt, aber schon im März 1933 trat Landauer angesichts der neuen Machthaber von seinem Amt zurück. 1939 emigrierte er in die Schweiz, kehrte nach dem Krieg zurück und übernahm von 1947 bis 1951 erneut die Vereinsführung.


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