Der Fichtenkreuzschnabel Überlebenskünstler aus der Familie der Finken
Im Gebirge haben sich Tiere ganz besondere Verhaltensweisen angeeignet, um durch den Winter zu kommen. Unser heutiger Überlebenskünstler hat aus dieser - wie man meint - so lebensfeindlichen Jahreszeit geradezu seine Hauptsaison gemacht: der Fichtenkreuzschnabel.
Es war vor ein paar Jahren Ende Januar, auf der Lichtung um die Schnapsbrennerhütte über dem Königssee bei Berchtesgaden. Das schleppende Geräusch der Tourenskier wurde in einem kurzen Stopp angehalten. Und da tschilpte es plötzlich von allen Seiten aus den Bäumen. Im stillen Winterwald eine besonders überraschende Erfahrung, die aber ganz natürlich ist, erklärt Jochen Grab, Wildbiologe im Nationalpark Berchtesgaden. Alle paar Jahre, wenn die Fichten besonders fruchtbar sind, treten diese rostrot- und gelbolivgrün gefärbten Tannenpapageien aus der Familie der Finken in Scharen auf.
Der Schnabel als Markenzeichen
Zwischen den Sierras von Spanien und der Hohen Tatra folgen die Kreuzschnäbel der Natur dorthin, wo die Zapfenmast am üppigsten ist. Und beim genaueren Blick auf den Boden fallen dann die zerzausten Schuppen der Zapfen auf – das Werk des Vogels mit dem eigenartig überkreuz verdrehten Schnabel. Dieses einzigartige Werkzeug macht den Fichtenkreuzschnabel zu einem der einmaligen Überlebenskünstler in den Alpen, der sich perfekt in seiner Nische eingenistet hat: Mit den übereinander gebogenen Schnabelenden und geschickten Kopfbewegungen schält der spatzengroße Vogel die frischen Samen aus den Zapfen. So ist es auch kein Wunder, dass der unscheinbare Piepmatz die Brutzeit genau in diese Wochen gelegt hat, wo sich die Fichten- und Tannenzweige unter den reifen Zapfen biegen.
Fromme Legende
Als im Winter brütender Vogel galt der Kreuzschnabel als Nationalvogel des Tiroler Volks. Der Legende nach soll er sich den Schnabel verbogen haben, weil er die Nägel aus dem Kreuz Christi ziehen wollte. Vor allem aber hat er mit seinem eigentümlich geformten Schnabel das für die Tiere größte Problem des Winters gelöst: das insgesamt spärliche Angebot an Nahrung, das die meisten seiner Artgenossen dazu bringt, wegzuziehen. Wenn wieder ein fettes Jahr ist, dann werden die Tannenpapageien die Wälder über dem Königssee wieder bevölkern. Und mancher Winterbergsteiger wird sich über das lebhafte Tschilpen wundern, das so gar nicht in diese Jahreszeit zu passen scheint.