Überlebenskünstler im Gebirge Die Bergdohle
Ob Bergsteiger oder Tourengeher - jeder kennt sie und kann sich ihrer Faszination kaum entziehen. Die Bergdohle ist eine der wenigen Gebirgsbewohner, die das ganze Jahr oben am Berg bleiben.
Scheu ist sie gar nicht, denn sie frisst alles, was sie kriegen kann und gerne auch mal ein Wurst- oder Käsbrot.
Das Federkleid der Dohle schimmert in mattem Schwarz, die Füße sind korallenrot, der Schnabel ist gelb. Dazu beherrscht sie den akrobatischen Segelflug wie kaum ein anderer Vogel. Sobald Menschen in Gipfelnähe auftauchen, schweben die neugierigen Dohlen heran - der Spitzname "Brotzeitgeier" kommt also nicht von ungefähr!
Die passionierte Bergsteigerin Erna Jung aus Murnau schüttelt heute noch die Kopf über diese frechen Brotzeitdiebe, die ihr gleich zu zweit ein Brot stibitzen. Auch Josefine Jansen aus Murnau kann davon ein Lied singen. Sie ist oft in den Ammergauer Alpen unterwegs, vor allem am Scheinberg. Unter dem Gipfel ist ein Plateau, wo fast alle Brotzeit machen, und da dauert es nicht lange bis auch „Herr und Frau Scheinberg“ angeflogen kommen – so haben die Bergwanderer das vorwitzige Dohlen-Paar getauft.
Die Bergdohlen sind immer zur Stelle, wenn es etwas zu fressen gibt, weiß auch Einhard Bezzel, der frühere Leiter der Vogelschutzwarte in Garmisch-Partenkirchen. Sie sind, so resümiert er, die einzigen Bergvögel, die vom Tourismus und vom Rummel in den Alpen profitieren, weil somit für alle Jahreszeiten guten Nahrungsquellen vorhanden sind.
Kein Wunder also, dass es deshalb in den bayerischen Alpen heute mehr Bergdohlen als noch vor hundert Jahren gibt. Damals war es im Winter weitaus schwieriger, Nahrung zu finden. Im Jahr 1900 hat der damalige Wetterfrosch im Münchner Haus auf der Zugspitze gemeldet, dass sechs Alpendohlen immer da sind und von den Resten in Konservendosen leben. Wenn es nahrungsmäßig eng wird im Winter, dann kommen die Dohlen zum Fressen auch ins Tal hinab. So hat Einhard Bezzel zum Beispiel beobachtet, dass sie pünktlich nach dem Pausengong in Schulhöfen auftauchen, weil sie gelernt haben, dass dort immer fressbare Reste herumliegen.
Bergdohlen gehören zur Familie der Rabenvögel. Sie leben oberhalb der Baumgrenze und sind die weltbesten Flugkünstler im Hochgebirge. Jeder Gleitschirm- oder Drachenflieger erblasst angesichts ihrer Luftakrobatik. Sie schweben elegant an Steilhängen hinauf und hinab, stürzen sich trudelnd in die Tiefe, um dann abrupt die Richtung zu ändern – und das alles nur, um letztendlich Energie zu sparen. Wenn die Bergdohlen, wie auch andere breitflügelige Vögel mit dem Wind spielen, dann verbrauchen sie nämlich weniger Energie, weil sie sich treiben lassen und Aufwind nutzen anstatt mühsam mit den Flügeln zu schlagen. Diese Überlebensstrategie passt sich den schwierigen Verhältnissen in ihrem Lebensraum an. Manche Bergdohlen haben Reviere in zwei- oder dreitausend Metern Höhe. Hier fressen sie dann auch mal Flechten oder sogar den Kot anderer Tiere, um zu überleben.
Im Winter und außerhalb der Brutzeit bilden die Bergdohlen Schwärme und leben sozial. Während der Brutzeit sind sie dagegen nur als Paar unterwegs und verteidigen ihre Reviere. Die Nester liegen weit auseinander, damit es keine Nahrungsengpässe für die Jungen gibt. Feinde haben die Dohlen kaum. Ihr natürlicher Feind ist eher das Wetter, wenn es zum Beispiel noch im Juni regnet und sehr kalt ist.