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Besser hören Von Hörgerät bis Cochlea-Implantat

Gut drei Millionen Menschen in Deutschland tragen ein Hörgerät. Von Schwerhörigkeit betroffen sind aber deutlich mehr: schätzungsweise jeder siebte Erwachsene, bei den über 65-Jährigen ist es etwa jeder zweite. "Gesundheit!"-Reporterin Veronika Keller trifft Menschen, die gegen den Hörverlust kämpfen. Sie begleitet eine Patientin zum Hörgeräte-Akustiker, ist bei der Implantation eines Cochlea-Implantats mit im OP und lernt eine Chefärztin kennen, die mit einer solchen Hörprothese lebt.

Von: Veronika Keller

Stand: 26.02.2024 10:12 Uhr

Das Ohr – ein wichtiges Sinnesorgan, das oft mit der Zeit nachlässt. Unsere ständig laute Umgebung trägt auch dazu bei und ist Mitauslöser. Gegen Schwerhörigkeit sollte man unbedingt rechtzeitig vorgehen. Gut drei Millionen Menschen in Deutschland tragen ein Hörgerät. Von Schwerhörigkeit betroffen sind aber deutlich mehr. Schätzungsweise jeder siebte Erwachsene. Bei Menschen über 65 Jahren ist es etwa jeder zweite.

Anna Balog stellt in letzter Zeit fest, dass sie schlechter hört:

"Ich merke, dass ich immer öfter nachfragen muss, weil ich die Leute um mich herum nicht verstehe. Also wenn mehrere Leute am Tisch sitzen, wenn die Leute sich so wegdrehen oder nicht mit mir reden oder halt was zeigen und reden, dann verstehe ich das nicht gut."

Anna Balog, Patientin

Auch für ihren Sohn David ist Anna Balogs schlechter werdendes Hörvermögen eine Herausforderung: "Gerade in der letzten Zeit habe ich schon das Gefühl, es ist schlechter geworden. Dann sage ich das Wort drei-, vier-, fünf- mal und keinmal kommt es richtig an. Dann ist man halt genervt. Also genervt bin ich tatsächlich oft, wofür sie natürlich überhaupt nichts kann."

Anna hört einerseits schlecht – ist aber andererseits sehr geräuschempfindlich. Also gehen die beiden zum Fachmann. Anna schildert dem Hals-Nasen-Ohrenarzt Dr. Bernhard Junge-Hülsing ihr Problem. Er untersucht sie und schickt sie zum Hörtest, um zu sehen, wie stark ihre Hörschädigung ist.

Wie Schwerhörigkeit entsteht

Heutzutage gibt es schon junge Leute, die nicht gut hören, etwa weil sie viel und sehr laut über In-Ear-Plugs hören. Zusätzlich kommt der Umgebungslärm. Durch diese ständige Belastung knicken die Haarzellen, die in unserem Ohr den Schall weiterleiten, mit der Zeit ab und funktionieren nicht mehr.

Annas Hörtest ist fertig. Damit die Krankenkasse ein Hörgerät zahlt, müssen 20 % Hörverlust vorliegen. Bei Umgangssprache versteht sie nur noch 70 % der Wörter. Sie könnte also von einem Hörgerät profitieren. Hörstörungen sollte man möglichst früh ausgleichen.

"Es gibt deutliche Hinweise darauf, dass jemand, der nicht mehr hört, vielleicht vier Jahre früher Demenz bekommt und es gibt auch deutliche Hinweise darauf, dass man dann häufiger stürzt. Also wenn man schlecht hört, dann stürzt man ca. 6 mal häufiger."

Dr. med. Bernhard Junge-Hülsing, Hals-Nasen-Ohrenarzt, Starnberg

Ein Hörgerät muss her!

Im Hörgerätefachgeschäft lässt Akustiker Tizian Blaschke-Waldner sich Annas Probleme schildern und will gleich noch einen Hörtest machen, denn: "Wir messen nochmal, weil wir für die Hörgeräteeinstellung ein bisschen umfangreicher messen bzw. können wir uns auch die Zeit nehmen dafür." Er prüft zum Beispiel genau ihr Sprachverstehen und die Unbehaglichkeitsschwelle – mit Hilfe einer lauter werdenden Zahl.

Um für den optimalen Sitz eines Hörgerätes die Anatomie abzuschätzen, fertigt der Akustiker eine Abformung von Annas Ohr aus Silikon an. Dann klären sie Annas individuelle Bedürfnisse. Sie arbeitet z. B. mit Headset und wünscht sich Schutz vor plötzlichen lauten Geräuschen.

Digitale Hörgeräte kosten zwischen 500 und über 2000 Euro. Aus drei Kategorien kann Anna wählen:

  • Beim Kassengerät ist ein Lautsprecher hinterm Ohr und der Schall gelangt durch einen Schlauch nach innen.
  • Beim Im-Ohr-Gerät ist die gesamte Technik im Ohr versenkt.
  • Und bei der Misch-Form wird der Schall elektronisch durch einen dünnen Draht ins Ohr geleitet und erst dort vom Lautsprecher verstärkt.

Für die letzte Lösung entscheidet sich Anna und darf sie gleich ausprobieren. Ihr erstes Fazit: "Also es ist lauter. Raschelt noch ein bisschen, aber fühlt sich normal an."

Das Cochlea-Implantat: Neu hören lernen

Dr. Veronika Wolter ist Chefärztin am Helios-Klinikum München West, wo sie die Hörklinik leitet – die Ärztin ist selbst gehörlos. Als Kind hatte sie eine Gehirnhautentzündung und verlor als Folge immer mehr von ihrem Gehör. Am Ende ihres Studiums war kaum mehr etwas davon übrig. Ein belastender Zustand.

"Ich hab oft Patienten vor mir, die weinen, das ist nicht selten. Wenn Sie so schlecht hören, dass selbst stärkste Hörgeräte nicht mehr reichen, dann sind Sie in der Regel in einem Zustand, der Sie von Menschen trennt, von Ihren Liebsten trennt, auf der Arbeit Probleme macht."

Dr. med. Veronika Wolter, Chefärztin der Helios Hörklinik Oberbayern, Helios Klinikum München West

Auch sie selbst stand kurz davor ihren Beruf aufzugeben. Aber dank zweier Cochlea-Implantate (eingepflanzter Hörprothesen) ist sie heute eine erfolgreiche Ärztin. Sie erlebte das Hören wieder ganz neu: "Natürlich blüht man dann auf und lauscht plötzlich wieder Dingen, die man nie vorher gehört hat. Dass man Regen auf die Fensterscheibe prasseln hört, dass man Milchschaumbläschen auf dem Cappuccino platzen hört. Sie fangen an sich über die kleinsten Dinge zu freuen."

Diesen Gewinn an Lebensqualität möchte sie auch ihren Patienten ermöglichen. Bei Gabriele Fischhaber-Hellmann reichen Hörgeräte nicht mehr aus. Für Menschen wie sie kann ein Cochlea-Implantat in Frage kommen. Sie kann ihren Alltag nur noch schwer bewältigen: "Wenn mehrere Arbeitskollegen reden, hab ich überhaupt keine Chance. Mit Maske war es sehr schwierig, auch der Umgang mit Patienten, weil ich selber in ner Klinik tätig bin. Sehr anstrengend und ermüdend."

Heute bespricht Dr. Wolter mit ihr die anstehende Operation. Einen Sprachprozessor mit Mikrofon wird sie, wie ihre Ärztin, in Zukunft hinter dem Ohr tragen. Das Gegenstück dazu, ein Empfänger mit Elektroden, wird ihr unter die Kopfhaut eingepflanzt und leitet empfangene Signale an den Hörnerv weiter. Nach der OP wird sie aber nicht sofort wieder hören wie früher.

Beim ersten Aktivieren des Implantates wird zuerst alles so eingestellt werden, dass sie überhaupt etwas hört. Das wird erstmal sehr leise sein und der Klang auch erstmal ungewohnt. Das Gehirn gewöhnt sich nur durch regelmäßiges Hörtraining an die neue Wahrnehmung. Auf dem CT-Bild zeigt Dr. Wolter ihrer Patientin deren Hörschnecke, dort sollen die Elektroden hineinkommen.

Das Cochlea-Implantat: Die Operation

Die Patientin ist schon unter Narkose. Am OP-Tisch bereitet Dr. Wolter den Eingriff vor. Sie ist selbst gehörlos und nimmt dennoch alle Stimmen und Geräusche hier wahr – dank zweier Cochlea-Implantate. Dr. Wolter setzt den ersten Schnitt hinterm Ohr. Sie präpariert einen Hautlappen, mit dem sie das Implantat später wieder zudecken wird. Dann geht sie tiefer – ab jetzt mit dem Mikroskop.

Je tiefer sie gelangt, desto näher kommt sie auch dem Gesichtsnerv. Das so genannte Stimulationsgerät gibt ein akustisches Signal, wenn sie sich ihm nähert. Hier ist sie besonders vorsichtig: "Wenn man ihn verletzt, haben Sie eine hängende Gesichtshälfte. Der sorgt für die Bewegung der Stirn, Augen zusammenkneifen und Lächeln. Also das is schon ne starke Einschränkung."

Mit Abstand zum Gesichtsnerv stellt Dr. Wolter den Kanal zur Hörschnecke fertig. Jetzt wird das Implantat vorbereitet. Zuerst setzt sie den Implantatkörper ein. Dann braucht sie besonderes Fingerspitzengefühl. Millimeterweise muss sie die Elektrode in die Hörschnecke einführen – ohne diese zu verletzen. Geschafft. Ob das Implantat funktioniert, prüft das OP-Team gleich vor Ort. Sie senden ein Test-Signal. Wenn auf dem Computer-Bildschirm jetzt grüne Häkchen erscheinen, kommt es im Gehirn der Patientin an.

Nach der Wundheilung kann Gabriele Fischhaber-Hellmann bald ein Hörtraining beginnen und lernen, ihr neues Ohr zu nutzen.


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