Mediterrane Musik-Mischung
Wie glücklich können wir Menschen uns schätzen, dass wir heute leben. Also um Himmels Willen nicht in dieser Zeitenwende, aber auch nicht in diesem Jahrhundert oder Jahrtausend. "Heute" soll heißen fünf Millionen Jahre nach der Messinischen Salinitätskrise. Man stelle sich vor, das Mittelmeer wäre zum Großteil ausgetrocknet und gliche einer lebensfeindlichen Salzwüste, durchzogen von stinkenden Salzseen, in denen außer Mikroben praktisch nichts existieren kann. Bäh.
Stattdessen dürfen wir ein mit Wasser bedecktes Mittelmeer genießen, mit mehr Küsten, Buchten, Stränden, Inseln, als man auch in einem langen Menschenleben besuchen könnte. Und das Essen. Und der Wein! Dazu ist das Mittelmeer seit Jahrtausenden Verkehrsweg und damit Kreuzungspunkt für drei Kontinente, mehr als 20 Länder und unzählige Völker. Besser hätte man sich die Wiege der abendländischen Kultur eigentlich gar nicht ausdenken können.
Nun ist Nürnberg gerade im Sommer gefühlt unendlich weit weg vom Mittelmeer. Trotzdem ist der Handel mit dieser Region stark mit der Geschichte der Stadt verwoben. Passt also, dass das Bardentreffen sich vom 26. bis 28. Juli unter dem Motto "Mediterranean Crossing" den musikkulturellen Entwicklungen im Mittelmeerraum widmet.
Zehn Bardentreffen-Konzerte im Videostream
Konzert-Livestreams vom Bardentreffen 2024
BR Franken überträgt für Daheimgebliebene täglich Konzerte vom Nürnberger Bardentreffen im Videostream ‒ auf dieser Seite und auf Facebook
2024 stehen zehn Top-Acts auf dem Programm ‒ die meisten live, alle nach Sendetermin dauerhaft abrufbar in der ARD Mediathek. Übertragen wird vom Hauptmarkt, aus der Katharinenruine und von der Insel Schütt.
Sebastián Cruz
Freitag, 26. Juli, 19.00 Uhr LIVE aus der Katharinenruine
Er gehört zu den charakteristischsten Stimmen des Flamencos. Dessen Traditionen bringt er nicht nur mit kraftvoller, fesselnder Stimme nicht nur zu Gehör, sondern zusammen mit seinem Partner Raúl Cantizano auch in Berührung mit anderen Klangwelten. Zuletzt ließen sich die beiden von Barockmusik inspirieren.
La Delio Valdez
Freitag, 26. Juli, 21.30 Uhr LIVE vom Hauptmarkt
Erst im Herbst 2023 feierte dieses umwerfende Cumbia-Orchester aus Argentinien sein Europa-Debüt. Seitdem hat das Publikum auch hier das große Vergnügen, die explosive Fusion aus Cumbia, Andenmusik, Salsa, Ska und Reggae zu erleben, die das 15-köpfige Orchester auf die Bühne bringt.
Aeham Ahmad
Samstag, 27. Juli, 16.15 Uhr LIVE aus der Katharinenruine
Der syrische Pianist, Sänger und "Creole"-Weltmusikpreisträger lädt zusammen mit dem australischen Saxofonisten Steve Schofield und Schlagzeuger Tobias Schulte zu einer musikalischen Reise ein, die sich zwischen ihren Heimatländern bewegt. Orientalische Lieder treffen auf westliche Einflüsse, klassische Musik auf moderne Jazz-Arrangements, traditionelle Weisen auf zeitgenössischen Sound.
Crucchi Gang
Samstag, 27. Juli, 19.30 Uhr LIVE vom Hauptmarkt
Täuscher! Was sie dem Publikum als Italo-Pop unterjubelt, sind in Wirklichkeit bekannte Songs deutschsprachiger Pop-Prominenz. Und die beteiligt sich gerne an der Tat. Nachdem die Fälschungen der Crucchi Gang vor vier Jahren so erfolgreich das Dolce-Vita-Gefühl in Deutschland, Österreich und der Schweiz verbreitet haben, schlossen sich nun unter anderem Jeremias, Tocotronic und Dota der Gang um Francesco Wilking an.
Light in Babylon
Samstag, 27. Juli, 21.15 Uhr LIVE aus der Katharinenruine
Ein Lichtblick angesichts der Nachrichten aus dem Nahen Osten und ein Beispiel dafür, wie eine multikulturelle Besetzung Musik aus dem gesamten Nahen Osten präsentieren kann. In der orientalischen Weltmusik made in Istanbul treffen türkische Volksmusik, iranische Klänge und sephardische Melodien aufeinander, es wird auf Hebräisch, Türkisch, Farsi und Arabisch gesungen.
Le Cri du Caire
Sonntag, 28. Juli, 16.15 Uhr LIVE aus der Katharinenruine
Bei dem Musikprojekt "Schrei aus Kairo" trifft die fesselnde Stimme des ägyptischen Sängers und Dichters Abdullah Miniawy auf das Saxophon von Peter Corser und das Cello von Karsten Hochapfel. Wo so Sufi-Poesie, Jazz und Spoken-Word zueinanderfinden, erschließt sich eine intensive, zutiefst berührenden Klangwelt, die nicht von dieser Erde zu sein scheint.
Bella Ciao
Sonntag, 28. Juli, 18.30 Uhr LIVE aus der Katharinenruine
Riccardo Tesi, der Übervater der italienischen Folk-und Weltmusik-Szene, und eine Gruppe der profiliertesten italienischen Folk-Musikerinnen und -Musiker laden nach Süditalien ein. Transportmittel sind Volkslieder, die getragen werden von mediterranen Rhythmen wie Tammuriata, Ballo Tondo und Pizzica, der lyrischen Poesie der Liebeslieder und dem raueren Klang der Protestgesänge.
Voodoo Jürgens
Sonntag, 28. Juli, 21.30 Uhr LIVE von der Insel Schütt
Ein bisschen zwielichtig kommt er schon daher, aber zuhören tut man diesem Wiener Original schon sehr gerne. Denn Voodoo Jürgens hat viel zu erzählen. Im schönsten Wiener Dialekt gibt er tragikomische Geschichten von Außenseitern, Gaunern, Verlierern und Antihelden zum Besten, während seine Band Ansa Panier dazu leidenschaftlich swingt, twisted und jazzed.
Baiuca
Sonntag, 18. August, 20.00 Uhr
(Aufzeichnung des Konzerts vom 27. Juli vom Hauptmarkt)
Viel Hexenzauber ist dabei, wenn dieser in Spanien bestens bekannte Elektro-Meister zum Tanzen lädt. Denn der gehört auch zur galizischen Folklore, verschmolzen mit fesselnden elektronischen Grooves. Mit aus der Dunkelheit auftauchenden wilden Gestalten und schrillen Schreien muss also gerechnet werden bei seiner Folk-Tronic-Show aus Live-Gesang, Videokunst und Perkussion.
Florence Adooni
Sonntag, 18. August, 22.00 Uhr
(Aufzeichnung des Konzerts vom 28. Juli von der Insel Schütt)
Wenn die Königin des Frafra-Gospel Hof hält, jubelt das Volk – und tanzt. Denn die begnadete Sängerin aus Ghana paart die Musik aus der Kirche mit Tönen aus dem Ballsaal. Bei ihr trifft Gospel auf pulsierenden Highlife: Orchestersound aus traditionellen westafrikanischen Klängen, Pop und Jazz.
Und aus welch reich gefüllten Topf sich die Veranstalter dabei bedienen können: Musiker und Gruppen etwa mit kretischen, syrisch-palästinensischen oder algerischen Wurzeln sind dabei. Darunter die griechische Eurovisions-Teilnehmerin Marina Satti (Sonntag, 20.30 Uhr, Hauptmarkt und im BR-Livestream), "Creole"-Weltmusikpreisträger Aeham Ahmad (Samstag, 16.15 Uhr, St. Katharina und im BR-Livestream), das Musikkollektiv Labess (Samstag, 16.30 Uhr, Hauptmarkt), das die Chaâbi-Musik Nordwestafrikas mit Gypsy Rumba und Flamenco vermischt oder Light in Babylon (Samstag, 21.15 Uhr, St. Katharina und im BR-Livestream) um die israelisch-iranische Sängerin Michal Elia Kamal.
Beleuchten will das Programm nicht nur die Fülle von Musikstilen, sondern auch die Einflüsse jahrhundertealter klanglicher Kulturen auf unsere heutige Musiklandschaft, wie Rainer Pirzkall schreibt, der künstlerische Leiter des Bardentreffens: "Wie wirken sich arabische, sephardische oder osmanische Traditionen noch immer auf den Global Pop aus?" Den Genuss von Flamenco, Gnawa, Tarantella, Rembetiko, Rai, Rumba Catalana oder der Canzone Napoletana verspricht das sehr empfehlenswerte Begleitheft weiter.
Slowenien trifft da auf Marokko, Spanien auf die Türkei, Syrien auf Frankreich. Und das alles in Nürnberg, auf den acht Bühnen des Bardentreffens vor der Kulisse der einzigartigen Altstadt ‒ so bunt, wie man es von Europas größtem umsonst- und draußen-Weltmusikfestival erwarten darf.
Dazu gehört freilich der Blick jenseits des Themenschwerpunkts: unter anderem nach Argentinien mit dem 15-köpfigen Cumbia-Orchester La Delio Valdez (Freitag, 21.30 Uhr, Hauptmarkt und im BR-Livestream), nach Estland mit dem ESC-erprobten Duo Puuluup (Sonntag, 18.15 Uhr, Sebalder Platz) und ihrem selbstgenannten Neo-Zombie-Post-Folk oder nach Österreich zum Wiener Soul von Voodoo Jürgens (Sonntag, 21.30 Uhr, Insel Schütt und im BR-Livestream). Auch deutsche Künstler sind wie immer dabei, darunter das Musikkabarett-Duo Pigor & Eichhorn (Samstag, 21.30 Uhr, Sebalder Platz).
Insgesamt 90 Konzerte auf acht Bühnen erwarten die 200.000 Besucher, mit denen bei der 47. Ausgabe des Bardentreffens gerechnet wird. Darunter sind auch 17 Bands aus der Region sowie Kinder- und Familienkonzerte. Dazu kommen natürlich die Straßenmusiker in der ganzen Altstadt, die zum Festival gehören wie die Drei im Weggla zu Nürnberg. Am Samstagnachmittag wird der Hauptmarkt zum Outdoor-Übungsraum für gemeinsamen griechischen Tanz ‒anlässlich von 25 Jahren Städtepartnerschaft zwischen Nürnberg und der Mittelmeerstadt Kavala.
Tanzen, Musikhören, das Leben genießen und Gemeinsamkeiten entdecken, deren Wurzeln unzählige Jahrhunderte zurückreichen. Klingt wie ein hervorragender Plan für das Leben im Hier und Heute.
Infos
Der Eintritt zu allen Konzerten und Veranstaltungen ist frei – dank der Unterstützung der Stadt Nürnberg und von Sponsoren. Die Veranstalter hoffen aber darauf, dass viele Besucherinnen und Besucher zum Beispiel das Fanshirt oder den diesjährigen Barden-Pin kaufen, der gegen eine Spende ab fünf Euro zu haben ist.