Franken - Kultur


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Akzeptanz und Ablehnung In der Heimat geschmäht, in der Welt gefeiert

Es ist ein schmaler Grat zwischen Akzeptanz und Ablehnung: Während Helmut Jahns Architekturprojekte weltweit oft gefeiert werden, haben die Nürnberger seinen Entwurf für den Augustinerhof zerrissen. War das rückblickend ein Fehler?

Von: Christian Schiele

Stand: 22.01.2013 | Archiv

Skizzen und ein Modell des Augustinerhof-Entwurfs von Helmut Jahn | Bild: Murphy/Jahn

"Im Nachhinein gesehen ist das wirklich eine Tragödie. Nicht für mich persönlich, sondern für diese Stadt", sagt Helmut Jahn, wenn er an seinen Entwurf für den Nürnberger Augustinerhof denkt. Einen fünfgeschossigen, leicht geschwungenen Gebäudekomplex wollte er dort bauen. 100 Meter lang, 22 Meter hoch. Mit einem scharfen Schnitt in der Mitte, einer offenen Passage, die in Anlehnung an die engen Gassen der Altstadt nur wenige Meter breit sein sollte. Ein Glasdach in der Mitte sollte alle, die durchgehen, vor Regen und Schnee schützen. Die Fassade plante Jahn mit großen Fenstern, Kalkstein aus der Region und Metall. Drinnen sollten Büros, Wohnungen, Geschäfte, Restaurants und ein Parkplatz entstehen.

Widerstand gegen "die aufgeschnittene Bratwurst"

Interessierte begutachten 1996 Jahns Modellentwurf für den Augustinerhof in Nürnberg.

Doch so weit kommt es nicht. Viele Bürger schmähen "die aufgeschnittene Bratwurst", wie der Entwurf seiner Form wegen schon bald genannt wird. Das Gebäude sei zu monumental, die Ladenzeile für Nürnberg viel zu groß und ökonomisch unsinnig, klagen die Kritiker. Außerdem seien die Bürger überhaupt nicht mit einbezogen worden, beschweren sich die Nürnberger Altstadtfreunde.

Bayerns erster Bürgerentscheid

Die Altstadtfreunde organisieren deshalb den Widerstand gegen das Bauvorhaben. Sie bilden den Kern der Bürgerinitiative "Rettet die Sebalder Altstadt", die sich zu diesem Zweck gründet. Und die Initiative hat Erfolg. Sie sammelt Unterschriften und im Januar 1996 kommt es zu Bayerns erstem und bislang einzigem Bürgerentscheid in Nürnberg. 27 Prozent der Wahlberechtigten beteiligen sich, davon sprechen sich knapp 69 Prozent gegen Jahns Entwurf aus, der damit gekippt ist. Da nützt es auch nichts, dass der damalige Oberbürgermeister und der Stadtbaureferent zunächst von den Plänen begeistert waren und der Entwurf nach der ganzen Kritik nochmals korrigiert wurde. Denn die Kritiker können sich auch mit dem neuen Entwurf nicht anfreunden.  

Augustinerhof in Nürnberg

Baustelle Augustinerhof in Nürnberg im Jahr 2008

Der Augustinerhof ist ein rund 5.000 Quadratmeter großes Gelände in der Nürnberger Altstadt. Er liegt zwischen Trödelmarkt und Hauptmarkt und wird von der Winklerstraße, der Karlstraße, der Augustinerstraße und der Pegnitz begrenzt. 1989 erwirbt der Kaufmann Mohammad Abousaidy das Grundstück. 1991 beauftragt er Helmut Jahn damit, einen Gebäudekomplex für das Gelände zu entwerfen. Nachdem Jahns Entwurf letztlich scheiterte, lag das Gelände erst einmal brach. Inzwischen hat der Nürnberger Investor Gerd Schmelzer bei einer Zwangsversteigerung das Grundstück erworben und möchte es nach Plänen des Architekten Volker Staab bebauen. Weil Streitigkeiten den Baubeginn verzögern, bewegt sich dort aber bis heute nichts. 

"Chance, beim Wiederaufbau mitzuwirken"

Für Helmut Jahn war der Augustinerhof ein sehr spezielles Projekt, weil er in Zirndorf und damit ganz in der Nähe geboren wurde. Als Jugendlicher verbrachte er viel Zeit in Nürnberg. Dort erlebte er auch das Ende des Krieges und dessen zerstörerische Kraft. "Plötzlich bekam ich die Chance, beim Wiederaufbau der Stadt mitwirken zu können", sagt Jahn. Er wusste aber, dass es schwierig werden würde, den Stadtrat und die Bürger zu überzeugen.

"Einige Gruppen, mit denen wir verhandeln mussten, hatte nicht immer das Beste im Sinn. Deren Einfluss könnte man als rückschrittlich bezeichnen. Damit meine ich die Altstadtfreunde, die wie jeder weiß, das Projekt gekippt haben."

Architekt Helmut Jahn   

Augustinerhof-Skizze von Helmut Jahn

Hätte Helmut Jahns Gebäude der Stadt Nürnberg einen Nutzen gebracht? Hätte die geplante Ladenzeile überhaupt ökonomisch funktioniert? Gegenfragen, die Karl-Heinz Enderle stellt. Er ist seit drei Jahren Vorsitzender der Nürnberger Altstadtfreunde - und weist die Kritik zurück: "Als rückschrittlich würde ich unseren Verein nicht bezeichnen. Wir sind die erfolgreichste lokale Denkmalschutzinitiative in Deutschland. Natürlich sind wir damit ein konservativer und bewahrender Verein."

"Die Nürnberger Altstadt steht nun einmal unter Ensembleschutz. Ein 100 Meter langes, monumentales Gebäude hätte dieses Ensemble gesprengt."

Karl-Heinz Enderle, Vorsitzender der Nürnberger Altstadtfreunde

Enderle räumt aber ein, dass die Ablehnung des Jahn-Entwurfes seinem Verein seinerzeit auch geschadet und Mitglieder gekostet hat. "Das verzeihen uns manche nie", so Enderle. Dennoch findet er es immer noch richtig, dass der Gebäudekomplex nicht gebaut wurde. Die Pläne dafür nennt er zwar gelungen, doch für die Nürnberger Altstadt sei ein solches Haus zu modern und zu wuchtig.

Helmut Jahn: Kritik ist ein Zeichen des Erfolgs

Der Augustinerhof ist dabei längst nicht das einzige Projekt, mit dem Jahn aneckt. Kritik an seinen Entwürfen empfindet er aber immer auch als Bestätigung, gar als Zeichen des Erfolgs. Über Unwichtiges wird schließlich nicht öffentlich diskutiert. Und doch trauert er dem gekippten Entwurf hinterher, da das Gelände seitdem brach liege. Doch das Rad der Geschichte lässt sich nicht zurückdrehen, so Jahn. Außerdem würde er das Projekt heute ganz anders angehen.  

"Wenn ich mir dieses Projekt im Rückblick anschaue, ist es konservativer, als ich es heute planen würde. Man lernt mit der Zeit, dass man ein Risiko eingehen muss, um ein zukunftsgerichtetes Gebäude zu bauen. Anders geht es nicht."

Architekt Helmut Jahn


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