Training mit Tieren Wie Giraffe Lilli "seitwärts einparkt"
Blut abnehmen, Ultraschall, Röntgen - für solche Eingriffe müssen wilde Tiere fixiert oder betäubt werden. Außer sie werden dafür trainiert. Wie Giraffe Lilli, die nun freiwillig seitwärts einparkt und sich die Klauen kürzen lässt.
Giraffen sind schreckhafte Tiere. Wenn die Zootierpfleger früher einen Besen in ihrem Stall stehen ließen, kamen die Tiere nicht mehr rein - denn der Besen gehörte da nicht hin. Aus diesem Grund sahen die Pfleger das Tiertraining anfangs eher skeptisch. "Wenn wir vor zwei Jahren im Stall von Giraffe Lilli eine Schleifmaschine angemacht hätten, wäre sie in die Luft gegangen", sagt Zootierpflegerin Dagmar Fröhlich. Doch nach eineinhalb Jahren intensiven Trainings steht Lilli ruhig am Gitter ihres Stalls und lässt sich mit der Flex die Klauen schleifen.
Narkose bei Giraffen lebensgefährlich
Lilli leidet an einer Fehlstellung ihrer Beine. Dadurch werden ihre Hufe schnell zu lang. Um sie zu kürzen, musste das Tier früher betäubt werden. Doch eine Narkose ist bei Giraffen äußerst riskant, sagt Zootierarzt Hermann Will: "Giraffen müssen ihr Blut auf mehrere Meter Höhe pumpen, damit es im Kopf ankommt. Wenn sie unter Narkose längere Zeit flach liegen, steigt der Blutdruck im Kopf viel zu sehr an." Gefährlich sei auch der Moment, in dem das große Tier in die Narkose umfällt. Schließlich dürfe der Kopf nicht irgendwo dagegen schlagen.
Gewünschtes Verhalten wird belohnt
Abhilfe schafft das medizinische Training, das die Zootierpfleger mit der Tierärztin Daniela Zur aus Erlangen entwickelt haben. Lilli wurde daran gewöhnt, bei bestimmten Eingriffen mitzuspielen. Dafür nutzen die Pfleger die Methode der positiven Verstärkung. Immer wenn die Giraffe sich so verhält, wie die Pfleger es sich wünschen, drücken sie auf einen sogenannten Klicker. Das metallische Klickgeräusch signalisiert dem Tier, dass es seine Sache gut macht und gleich eine Belohnung dafür bekommt. "Knuspriges Knäckebrot mag Lilli am liebsten", sagt Dagmar Fröhlich. Unerwünschtes Verhalten ignorieren die Pfleger einfach. Das Training fordert von allen volle Konzentration. Deshalb findet es morgens statt, wenn noch keine Besucher im Tiergarten sind.
Stichwort Klickertraining:
Mit Hilfe des Klickertrainings soll das Verhalten von Tieren beeinflusst werden. Eingesetzt wird es bei vielen Tierarten: bei Haustieren wie Hund und Katze, aber auch bei Zootieren wie Tiger oder Giraffen. Der Klicker ist ein Gerät, das ein metallisches Klick-Geräusch von sich gibt, wenn man darauf drückt. Geklickt wird immer dann, wenn ein Tier sich so verhält, wie der Mensch es sich wünscht. Das Geräusch des Klickers muss dem Tier fremd sein. Es hat für das Tier zunächst keine Bedeutung. Wenn aber unmittelbar auf das Klicken eine Belohnung folgt, lernt das Tier nach einigen Wiederholungen, dass es seine Sache gut gemacht hat. Es wird das gewünschte Verhalten deshalb künftig öfter zeigen. Hat das Tier dieses Prinzip erst einmal verstanden, empfindet es unterbewusst auch das Klicken allein schon als Bestätigung und Lob. Das Klickertraining soll also gewünschtes Verhalten verstärken und kommt ohne Peitschen oder Strafen aus.
Tiertraining im Tiergarten Nürnberg
Tiger
Eine Tigerin, die mittlerweile eingeschläfert werden musste, hatte einen Tumor. Diesen entfernten die Tierärzte unter Narkose. Bei der Nachbehandlung konnten sie sich die Betäubung aber sparen. Dank Klickertraining konnten die Tierärzte durch das Gitter hindurch ganz nah an die Tigerin heran, um Salbe oder Spray auf die Wunde aufzutragen.
Delfin
Die Delfine werden in Nürnberg schon seit Eröffnung des ersten Delfinariums trainiert. Nicht mit Klickgeräuschen, sondern mit Hilfe von Pfiffen - auf diese reagieren die Meeressäuger besser - werden sie dazu gebracht, den Besuchern zu zeigen, was sie draußen in der freien Wildbahn alles können. Als Belohnung gibt es Fischhappen. Das Training hat aber natürlich auch einen medizinischen Aspekt: So ist es beispielsweise ohne Probleme möglich, den Tieren Blut abzunehmen.
Papagei
Als das Futter für die Aras im Tiergarten Nürnberg umgestellt wurde, sollten die Pfleger sicherstellen, dass die Papageien nicht an Gewicht verlieren. Mit Hilfe von Pfiffen und Paranüssen als Leckerlis brachten die Pfleger ihnen deshalb bei, auf einer Waage zu landen. So kann nun das Gewicht der Vögel ohne Probleme regelmäßig überprüft werden.
Nashorn
Panzernashörner sind extrem nervöse Tiere. Doch dank des Tiertrainings lassen sie nun routinemäßig medizinische Untersuchungen über sich ergehen, ohne gleich auszubüxen. Den Tierärzten strecken sie nun einen Fuß durch eine Klappe entgegen und lassen sich so Blut abnehmen, ohne vorher betäubt werden zu müssen.
Pinselohrschwein
Früher hat das Pinselohrschwein wild gequiekt und gestrampelt, wenn die Tierpfleger sich an die Fußpflege machten. Mittlerweile bleibt das Tier dank des Trainings völlig entspannt, wenn seine Klauen zurechtgefeilt werden.
Gorilla
Die Gorillas im Tiergarten zeigen dank des Tiertrainings freiwillig ihre Hände und Füße und lassen es mittlerweile – durch das Gitter hindurch – sogar zu, dass ihnen Fieber gemessen wird.
Tapir
Das Tapirweibchen haben die Pfleger nicht mit Klickgeräuschen oder Pfiffen trainiert. Sie setzten hier vielmehr auf die menschliche Stimme und streichelten das Tier mit einer Bürste. Damit brachten sie das Tier dazu, dass es sich freiwillig Blut abnehmen lässt. Als das Tapirweibchen schwanger war, konnten die Tierärzte sogar Ultraschalluntersuchungen machen, ohne das Tier vorher narkotisieren zu müssen.
Training mit dem Tennisball
Zootierpflegerin Constanze Zieger mit dem Nasentarget - einem Tennisball, der auf einen Stab montiert ist.
Mit dem Klickertraining wurde Lilli zunächst an ein sogenanntes Nasentarget (auf deutsch: Ziel) gewöhnt. Die Pfleger klettern auf eine Leiter und strecken dem Tier einen Stab mit einem darauf montierten Tennisball entgegen. Wenn Lilli mit ihrer Nase dagegen stupst und stehen bleibt, erhält sie eine Belohnung. Dann kommt der schwierigere Teil: Um die Klauen schleifen zu können, wollten die Pfleger nicht direkt im Stall der Giraffe stehen. "Das kann gefährlich werden, wenn das Tier tritt", sagt Dagmar Fröhlich. Deshalb sollte die Pediküre von außen durch das Gitter erfolgen. Dafür muss Lilli aber auch ihr Hinterteil nahe ans Gitter bringen.
"Topfschlagen" mit der Giraffe
Die Pfleger montieren deshalb ein zweites Target am Gitter: eine Fliegenklatsche. Lilli musste lernen, mit ihrer Hüfte diese Fliegenklatsche zu berühren. "Das war ein bisschen wie Topfschlagen. Immer wenn sie sich ein wenig in Richtung Fliegenklatsche bewegt hat, haben wir geklickt. Irgendwann stand sie dann richtig und hat das Target mit ihrer Hüfte berührt", sagt Dagmar Fröhlich. Ein Viertel Jahr Training war dafür nötig, fünf Mal die Woche, je eine Viertel Stunde. Seitdem parkt Lilli zwischen den beiden Targets regelrecht ein und hält still, bis die Pfleger ihre Hufe mit der Flex geschliffen haben.
Stressabbau mit dem Klicker
Stress bedeutet das Klickertraining für das Tier nicht. Im Gegenteil, sagt Tierpflegerin Dagmar Fröhlich: "Mittlerweile nutzen wir das Training sogar, um das Tier zu beruhigen, wenn es unter Stress steht." Wenn Lilli unsicher ist, helfe das Klickertraining dabei, sie wieder in eine Situation zu bringen, in der sie genau weiß, was sie machen soll und eine Belohnung dafür bekommt. "Das Klicken und die Belohnung schütten erwiesenermaßen Botenstoffe im Gehirn der Giraffe aus, die ihr sagen: Alles ist super."
Von dressierten Tieren hin zur freiwilligen Hilfeleistung
Mit dem Tiertraining vollzog sich im Tiergarten auch ein Bewusstseinswandel. Noch vor 100 Jahren wurden die Tiere regelrecht dressiert und vermenschlicht dargestellt. Affen fuhren in hübschen Kleidchen Fahrrad, Bären ließen sich an der Leine vorführen, Elefanten balancierten über Pfähle. Dann ging die Entwicklung hin zur Wildhaltung der Tiere. Der Mensch ließ die Tiere komplett in Ruhe und sollte ihr Verhalten überhaupt nicht mehr beeinflussen. "Das lag auch daran, dass wir die Tiere mit einem Gewehr aus der Distanz in Narkose schießen konnten und sie deshalb nicht mehr zahm sein mussten", sagt Zootierarzt Hermann Will. Mittlerweile hat sich aber die Erkenntnis durchgesetzt, dass Narkosen auch nicht immer ganz risikolos sind. Und dass es durchaus hilfreich sein kann, wenn die Zootiere dem Menschen insoweit vertrauen, dass sie bei bestimmten medizinischen Eingriffen mitspielen. Deshalb werden die Tiere wieder vermehrt trainiert. Das gelte natürlich nicht für Tiere, die später ausgewildert werden sollen. Diese dürfen weiterhin kein Vertrauensverhältnis zum Menschen entwickeln.