Franken - Zeitgeschichte







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Das Fränkische Seenland Ein (un-) nötiges Jahrhundertprojekt?

Wo sich heute Badegäste tummeln, waren 1975 noch Wälder und Ackerflächen. Für den wirtschaftlichen Aufschwung wurden in Mittelfranken fünf Seen aufgestaut - aus heutiger Sicht eigentlich unnötig. Trotzdem ist der Erfolg des Gesamtsystems "Fränkisches Seenland" unwiderlegbar.

Stand: 28.04.2016 | Archiv |Bildnachweis

Blumen vor einem Strand am Großen Brombachsee | Bild: picture-alliance/dpa

"Das Fränkische Seenland müsste heutzutage nicht mehr gebaut werden", sagt der Leiter der Abteilung Überleitung Donau-Main beim Wasserwirtschaftsamt Ansbach, Thomas Liepold. Der Bau wurde vor dem Hintergrund des Wirtschaftswunders angestoßen, neue Kraftwerke und Fabriken in Franken brauchten Wasser. Inzwischen wächst die Wirtschaft aber nicht mehr so rasant, die Bevölkerung in Deutschland schrumpft sogar. Moderne Industrieanlagen verfügen aus Umweltschutz- sowie Energiespargründen häufig auch über interne Wasserkreisläufe und sind nicht mehr auf eine konstante Frischwasserzufuhr aus Flüssen angewiesen.

Ein Schwimmer in der Regnitz bei Bamberg

Außerdem sei wesentlich mehr Geld in die Abwasserbeseitigung investiert worden als noch in den 60er-Jahren, so Liepold. Die Wasserqualität sei auch in nordbayerischen Flüssen für eine Industrienation vorbildlich, eine Verdünnung mit Wasser aus Südbayern daher nicht mehr so wichtig. Dafür profitiert insbesondere die Landwirtschaft in Franken von dem zusätzlichen Wasser. Im Knoblauchsland zwischen Nürnberg, Fürth und Erlangen stiegen die beregnungsfähigen Anbauflächen durch Wasserentnahme aus der Regnitz von 560 auf 800 Hektar.

Proteste würden Seenland heute stoppen

Riesige Maschinen kamen beim Bau des Brombachsees zum Einsatz.

Der Abteilungsleiter bezweifelt allerdings, dass ein Projekt wie das Fränkische Seenland heute überhaupt noch realisiert werden könnte - die finanziellen Aspekte einmal ganz außer Acht gelassen. "Den Leuten fehlt heutzutage die Fantasie, die Bereicherung nach den Bauarbeiten zu sehen", sagt Liepold. Mit dem Seenland sei eine einzigartige Landschaft entstanden, ein tolles Naherholungsgebiet für den Menschen mit Rückzugsflächen für seltene Tier- und Pflanzenarten. Die Bauarbeiten aber hätten furchtbar ausgesehen. Baumaschinen da, wo zuvor Blumen blühten und Bäume wuchsen. Rund 30 Quadratkilometer Wald- und Ackerflächen hat das Fränkische Seenland verschlungen. Über ein Dutzend ehemalige Mühlen in den Flusstälern sind im Wasser verschwunden. Der Aufschrei in der Bevölkerung hätte die politische Initiative wohl bereits im Ansatz erstickt, so Liepold.

Gegner des Fränkischen Seenlands

Landesbund für Vogelschutz

Der Landesbund für Vogelschutz (LBV) hat in den 70er-Jahren gegen den Bau des Seenlands gekämpft. Die Naturschützer waren aber von Beginn an chancenlos: Vor Beginn der Bauarbeiten seien die Verbände nicht einbezogen worden, erinnert sich Andreas von Lindeiner, Artenschutzreferent beim LBV. Inzwischen habe man sich aber mit den künstlichen Wasserflächen arrangiert. Die Seen hätten eine spannende Entwicklung durchgemacht, insbesondere für Vögel sei wertvoller Lebensraum geschaffen worden. "Die strenge Zonierung in Freizeit- und Rückzugsraum ist vorbildlich gelungen", lobt von Lindeiner die Trennung von Stränden für Badegäste und Lebensraum für seltene Arten.

Chance zum Strukturwandel

In den 70er-Jahren habe es jedoch "erstaunlich wenig Widerstand" gegen das Fränkische Seenland gegeben, erzählt der Wasserwirtschaftler. Die Bewohner der Region hätten erkannt, dass ihnen das Seenland eine Chance zum Strukturwandel liefert, glaubt Liepold. Landwirte hätten sich mit dem Geld, das sie für ihre Flächen bekamen, ein zweites Standbein in der Tourismuswirtschaft aufbauen können. Dass im ganzen Seenland nur zwei Grundbesitzer enteignet werden mussten, zeige die hohe Akzeptanz der Bevölkerung. "Alles freiwillig zu kriegen ist außergewöhnlich", sagt der Wasserwirtschaftler. Zwar musste oftmals lange verhandelt werden, bis die Eigentümer ihre Grundstücke hergaben, doch dabei sei es meist nur um Geld gegangen.

Tourismus mittlerweile im Vordergrund

Der Große Brombachsee ist besonders bei Kitesurfern beliebt.

Inzwischen steht der Tourismus - ursprünglich nur Nebeneffekt eines wasserwirtschaftlichen Projekts - im Vordergrund des Fränkischen Seenlands. Urlauber in die Region zu locken "hat wesentlich besser geklappt als gedacht", sagt Liepold. Auch wenn die Zahl der Tagesgäste und Übernachtungen in den vergangenen Jahren zurückgegangen ist, werde immer noch jede Prognose aus der Anfangszeit des Seenlandes weit übertroffen. Der Tourismus im Seenland sorgt alljährlich für einen Umsatz von 150 Millionen Euro. Drei- bis viertausend Arbeitsplätze hängen an dieser Branche. 

Von der Boomregion zum Sorgenkind

Absturz

Einst schien es als könnte nichts den Höhenflug des Fränkischen Seenlandes aufhalten. Immer mehr Badegäste kamen, immer mehr Radfahrer waren auf den Wegen rund um die Stauseen unterwegs und auch die Übernachtungszahlen wuchsen stetig. Dann kamen die Blaualgen und mit ihnen scheinbar der Absturz. 2010 verzeichnete die Region nur noch 829.000 Übernachtungen - 5,6 Prozent weniger als im Vorjahr. Politiker und Verantwortliche bemühen sich seit Jahren um Verbesserungen.

Nutzen höher als Kosten

Bereits in der ersten Kosten-Nutzen-Analyse aus dem Jahr 1970 sagte Joachim Klaus vom Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre und Sozialpolitik an der Universität Erlangen-Nürnberg voraus, dass der durchschnittliche jährliche Nutzen die Kosten ab dem Jahr 1990 übersteigen würde. Um die Jahrtausendwende sollten sich seiner Studie zufolge Gesamtkosten und Gesamtnutzen schließlich die Waage halten. Die Zahl der Betten in den Landkreisen Ansbach, Roth und Weißenburg hat sich zwischen 1983 und 1998 verdreifacht, die Zahl der Übernachtungen ist noch stärker gestiegen. Das Fränkische Seenland hat einst als wasserwirtschaftliches Projekt begonnen und sich aus eigener Kraft zu einer Erholungs- und Tourismusregion entwickelt.







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