Kriegsende 1945 | KZ-Befreiung (6) Todesmärsche - die letzte Qual
Ein zusätzliches letztes Martyrium für viele KZ-Häftlinge: Ende April 1945 wurden sie angesichts der vorrückenden Alliierten aus den Lagern in die sogenannten "Todesmärsche" getrieben. Die von Dachau aus gestarteten Kolonnen forderten dabei mindestens 1.000 Menschenleben.
Am 14. April 1945 befahl "Reichsführer SS" Heinrich Himmler, dass kein KZ-Häftling lebend in die Hände der immer näher rückenden alliierten Truppen fallen dürfe. Er ordnete die Evakuierung der Arbeits- und Todeslager an den Fronten an. Die Gefangenen sollten vor allem von der Ostfront, die die Rote Armee inzwischen überall durchbrach, ins Landesinnere verschleppt werden: in andere Lager oder in abgelegene Gebiete.
Bislang ist nicht eindeutig geklärt, warum die Gefangenen an andere Orte verlagert werden sollten. Ein möglicher Grund ist, dass die Nazis dort die Ermordung der Häftlinge fortsetzen wollten, um den Alliierten keine Zeugen für die eigenen Gräueltaten zu hinterlassen. Einer anderen Theorie zufolge sollten die Häftlinge durch die Marsch- oder Transportstrapazen umkommen. Vielleicht sollten die Gefangenen aber auch am Leben bleiben, um weiter der SS als Arbeitssklaven oder den Nazis als Faustpfand für eventuelle Verhandlungen mit den Alliierten zu dienen. Letzteres trifft auf jeden Fall auf die prominenten Dachauer Häftlinge zu: den österreichischen Ex-Bundeskanzler Kurt von Schuschnigg, Pastor Martin Niemöller oder Ex-Finanzminister Hjalmar Schacht, um nur einige zu nennen.
Andere dieser "Sonderhäftlinge" wurden noch in den letzten Kriegstagen in den KZs ermordet, so der Hitler-Attentäter Johann Georg Elser in Dachau. Am selben Tag, am 9. April 1945, wurden weitere Widerständler in Flossenbürg umgebracht: der protestantische Theologe Dietrich Bonhoeffer, der deutsche Abwehrchef Admiral Wilhelm Canaris und andere führende Vertreter aus dem militärischen Widerstand.
Brutaler als KZ-Haft
Für viele der gepeinigten und zu Skeletten ausgehungerten Lagerinsassen begann nun ein noch grauenhafteres Martyrium als die KZ-Haft, obwohl eine Steigerung kaum möglich scheint. Zum Teil wurden die Gefangenen in Güterzügen transportiert, aber die meisten mussten sich unter Aufsicht der SS zu Fuß auf den teilweise mehr als hundert Kilometer langen Weg machen - im gesamten "Reich" etwa eine Viertel Million Menschen. An allen Orten der Todesmärsche dasselbe Bild: Kolonnen von hungernden Häftlingen wurden bei klirrender Kälte in nur dünner Sträflingskleidung über die Straßen getrieben. Für viele der ohnehin kranken und entkräfteten Menschen war dies das Todesurteil. Nicht umsonst nannte man diese Evakuierungen bald "Todesmärsche".
Kolonnen von Flossenbürg nach Dachau
Flossenbürg und Dachau waren Knotenpunkte für diese Verlagerungen. Flossenbürg diente zunächst als zentrale Sammelstelle für Gefangene, die per Zug aus Buchenwald oder Sachsenhausen herangefahren wurden. Als sich die Front Flossenbürg näherte, verlagerten die Nazis die Häftlinge von dort ins weiter entfernte Dachau - zum Teil per Bahn, zum Teil zu Fuß. Auch von den Dachauer Außenlagern aus mussten die Häftlinge zu Fuß in Richtung Stammlager marschieren. So wurden zum Beispiel aus dem schwäbischen Türkheim etwa 1.200 in den 70 Kilometer entfernten Münchner Vorort Pasing getrieben, wo sie sich dem Haupttreck aus Dachau anschließen mussten. Kranke Häftlinge aus Türkheim brachte ein Güterzug nach Dachau.
Konfrontation mit dem Grauen
Aus dem KZ Flossenbürg und seinen Außenlagern, vor deren Toren die Amerikaner schon standen, wurden Mitte April 1945 insgesamt zwischen 25.000 und 30.000 Gefangene nach Dachau getrieben. Dachau war zu diesem Zeitpunkt noch weiter von amerikanischen Streitkräften entfernt als Flossenbürg. Allein entlang der Todesmarsch-Strecken von Flossenbürg nach Dachau wurden nach Kriegsende mehr als 5.000 Tote gefunden. Sie stammten zum Teil aus den Todesmärschen von Flossenbürg und seinen Außenlagern, aber auch von den Transporten aus Buchenwald.
Bei lebendigem Leib verbrannt
Ein unvorstellbar schreckliches Ende fanden die Menschen im Lager Hurlach bei Landsberg, wo transportunfähige Kranke zurückgelassen worden waren. Die Hütten dort wurden von der SS angezündet. Als US-Soldaten am 27. April auf dieses Lager stießen, fanden sie etwa 300 Patienten, die bei lebendigem Leib verbrannt waren.
Das Massaker von Poing
Am 26. April hatte die SS begonnen, aus dem Dachauer Außenlager Mühldorf 4.000 Zwangsarbeiter in Güterwaggons zu verladen - vermutlich mit Tirol als Ziel. Zwei Tage später stoppte der Zug bei Poing, etwa 20 Kilometer vor München. Die SS-Wachmannschaften ließen die Gefangenen frei. Doch andere Waffen-SS-Truppen, ermutigt vom Scheitern der "Freiheitsaktion Bayern", rückten nach Poing und massakrierten viele der Gefangenen. Wie viele erschossen oder mit Bajonetten erstochen wurden, ist nicht bekannt. Doch so mancher, der Auschwitz überlebte, wurde am 28. April 1945 bei Poing ermordet.