"Bis hierhin und wie weiter?" Diese Doku über Klimaaktivismus zeigt, was niemand sonst sieht
Ein Jahr lang begleitet der Filmemacher Felix Maria Bühler fünf Menschen aus der Klimabewegung. Er geht mit ihnen auf Aktionen, gibt einen Einblick ihr Leben und fragt: Wo liegen die Grenzen? Und wie weit will die Gruppe gehen?
Eine Hauptstraße in Berlin. Wir sehen eine Reihe junger Menschen in orangenen Warnwesten, die sitzend die Fahrbahn blockieren und Schilder in die Luft halten. Im Fokus der Kamera: eine Frau. Lina heißt sie. Und Lina weint. Denn ein Mann ist gerade aus seinem Auto gestiegen und beschimpft die Gruppe: "Verpissen" sollen sie sich. Wegen ihnen würde er zu spät kommen, um seine Tochter abzuholen. Immer wieder schubst er die Aktivst:innen auch. Und immer wieder hält die Kamera auf Linas Gesicht. In ihren Augen: Tränen. Aber auch: Trotz. Denn das ist ihr Weg, ihr Versuch, etwas zu verändern. Lina ist eine von fünf Protagonist:innen im Dokumentarfilm "Bis hierhin und wie weiter?" von Felix Maria Bühler.
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BIS HIERHIN UND WIE WEITER? | Dokumentarfilm Trailer | DOK.fest 2024
Ein Jahr lang hat der Regisseur fünf Aktivist:innen begleitet
Der Berliner Regie-Student hat ein Jahr lang fünf junge Klima-Aktivist:innen begleitet: Lina, Taura, Guerrero, Charly und Fuchs. Alle machen hauptberuflich Klimaaktivismus. Lina hat sich als einzige der "Letzten Generation" angeschlossen, die anderen vier sind sich noch nicht sicher, welcher Bewegung sie angehören wollen – oder ob sie das überhaupt wollen oder andere Wege suchen. Für den Regisseur war genau das ein interessanter Kontrast. Zwischen Lina, die ganz genau weiß, die "Letzte Generation" ist ihr Weg, und den anderen, die zweifeln.
Für's Klima im Leben die Pausetaste drücken
Dieser Film ist ein Einblick in die unterschiedlichen Klimabewegungen und was dort verhandelt wird. Während Lina sich auf die Straße klebt und Fuchs eher als Supporter im Hintergrund agiert, überlegt Charly, eine Auszeit vom Aktivismus zu nehmen. Sie hadert damit, dass sie fürs Klima bei allem anderen in ihrem Leben die Pausetaste gedrückt hat: Studieren, sich verlieben, die Welt sehen – eben einfach: jung sein. Taura und Guerrero wiederum sind ganz vorne und ziemlich actionreich am Start, besonders Guerrero findet: Die Zeit der Forderungen ist vorbei. Zu Beginn des Films hält Guerrereo eine Art Rede: Dieser Monolog macht gleich klar, welche monumentalen Fragen hier verhandelt werden: Wie gewaltbereit, wie radikal soll und darf Klima-Aktivismus sein? Welche Rolle nimmt man in so einer Bewegung ein? Und ist es angesichts der Klimakatastrophe egoistisch, auch mal an sich selbst zu denken?
Aufnahmen, so nah und mittendrin, wie man sie selten sieht
Ein Jahr lang drehte Bühler mit den Aktivist:innen, die ersten Monate ganz allein, später kamen ein Kameramann und ein Tonmann dazu. Das Ergebnis: Aufnahmen, so nah und mittendrin, wie man sie selten sieht. Für den Regisseur war wichtig, die Perspektive der Protagonist:innen einzunehmen.
"Diese Totalen von Polizei im Matsch, die kennen wir alle. Und ich wollte eben andere Bilder. Ich wollte nicht Fernseh-Bilder. Ich habe mich gefragt: Wie würde das Fernsehen drehen? Dann muss ich genau das Gegenteil machen."
Felix Maria Bühler, Regisseur
Inhaltlich und filmisch steht Regisseur Felix Maria Bühler auf die Seite der Klimabewegung. Er nimmt uns mit in das Innere eines Polizeikessels, in die Baumhäuser des Hambacher Forst und in den Tagebau in Lützerath – vor und nach der Räumung des Protestcamps. "Bis hierhin und wie weiter?" ist ein aktivistischer Film, aber ohne dem Zuschauer eine Lesart vorzugeben. Bühler verzichtet auf einen Erzähler aus dem Off und Frontal-Interviews. Nur reduziert, leitet er die Emotionen des Publikums, durch den Schnitt etwa, oder durch den Einsatz von Musik. So entsteht ein Film, der viel Platz für die eigenen Gedanken lässt und nur subtil Anstöße gibt. Fast wie eine Art Tagebuch, das einen Menschen in seinen verschiedenen Facetten zeigt. In diesem Fall: die verschiedenen Seiten der Klima-Bewegung und ihrer Aktivist:innen.
Man möchte fast weggucken, weil Bühler den Protagonisten so nah kommt
Der Regisseur hatte den Eindruck, dass in Deutschland die Klimabewegung als einheitlich wahrgenommen wird in den Medien, und dass Aktivisten keine Zweifel haben. Aber sie sind doch alle unterschiedliche Menschen, die nicht schwarz-weiß sehen, sondern vielschichtiger sind. Regisseur Bühler erlebt in seinem Jahr mit den Protagonist:innen sehr viel intime Momente. So intim, dass man fast weggucken möchte. Etwa, wenn Guerrero sich mit Sozialleistungen herumschlagen muss, denn sein Job ist Klimaaktivismus. Wenn Charly sich zurückzieht, weil sie nicht auf die Polizei treffen will. Oder wenn Taura nach einer Demo Zuspruch braucht, weil das Pfefferspray so brennt. Und Felix hält mit der Kamera drauf.
"Es ist für die Protagonisten etwas anderes, wenn sie einen Demonstrationszug von außen sehen oder wenn sie plötzlich mitten drin stehen, die Enge spüren und wie sie mitgeschubst werden. Das macht was mit ihnen."
Felix Maria Bühler, Regisseur
Taura braucht Zuspruch, weil das Pfefferspray so brennt
Bühler sagt, diese Aktionen zu drehen, sei ein Widerspruch, den man immer wieder neu mit sich verhandeln müsse. Einmal sei er mit Taura von einer Aktion weggerannt und habe sich bei ihr entschuldigt, dass er die ganze Zeit gedreht und ihr nicht geholfen habe. Tara war jedoch nicht böse, sondern dankbar, dass Bühler gedreht habe, weil sich deswegen die Aktion überhaupt erst gelohnt habe – sonst sähe es ja keiner. In "Bis hierhin und wie weiter?" macht Felix Maria Bühler genau das: zeigen, was niemand sonst sieht. Er ist dabei parteiisch – wollte aber auch nie wirklich neutraler Beobachter sein. Dieser Film ist seine Form des Aktivismus. Und er wirft damit eine Frage an uns alle auf: Geht das überhaupt noch? Neutral sein angesichts einer drohenden Apokalypse in Sachen Klima? Der Weltklimarat rechnet damit, dass wir die 1,5-Grad-Grenze bereits 2030 überschreiten. Die Antwort von Lina, Taura, Guerrero, Charly, Fuchs und Felix ist deshalb klar: Neutral sein? Zuschauen? Abwarten? Nein, das geht nicht.
"Bis hierhin und wie weiter" war auf dem Dok.fest München zu sehen und kommt am 19. September in die Kinos.