"Culinary Class Wars" Diese koreanische Serie revolutioniert die Kochshow – und zeigt, wie altbacken Mälzer und Co. sind
Etablierte Köche mit Rang und Namen gegen No-Names - und dazwischen jede Menge Plottwists, Kim Chi und Dim Sum. Das ist das Setting einer neuen angesagten koreanischen Kochshow auf Netflix. "Culinary Class Wars" hat etwas von "Squid Game", demonstriert aber auch, dass Kochen mit Respekt zu tun hat.
Deutsche Kochshows: Immer die gleichen unfreundlichen Gesichter. Tim Raue, der seinen Unter-aller-Sau-Jargon konstant normalisiert und verteidigt. Johann Lafer und Horst Lichter, die mit Alt-Herren-Humor glänzen und weibliche Gäste als "nougatgefüllte Marzipanpralinen auf zwei Beinen" betiteln. Oder auch jeder C-Promi jemals, der bei "Das Perfekte Dinner" vier Kontrahent:innen bekochen darf und zur Bestürzung aller für sein Matcha-Crème Brûlée-Dessert lediglich "gut gemeinte drei Punkte" kassiert.
"Squid Game" meets "The Menu"
Die Serie "The Bear" hat natürlich zurecht alle Emmys abgeräumt. Attraktive, geplagte Köche und Köchinnen, tolle Neben-Charaktere, eine Geschichte gestrickt rund um Community und Familie und dazu diese ansteckende Passion für gutes Essen. Yes, Chef! Das Interesse an Kulinarik ist noch immer da, nur das Format "Kochshow" ist seit Jahren auserzählt. Dachte ich zumindest. Wäre da nicht ein kleines Land etwa 8.700 km weiter östlich von "Lafer, Lichter, Lecker!": Korea. Von dort hat es jetzt eine kleine Kochshow-Revolution auf die Bildschirme geschafft: Die Netflix-Show "Culinary Class Wars" führt seit Release im September die Watch-Charts der nicht-europäischen Formate an. Aber warum?
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Culinary Class Wars | Official Trailer | Netflix
Das Setting ist erstmal nichts Besonderes und – zugegeben – auch schon mal dagewesen. Die Serie mixt ein bisschen "Squid Game" mit sozial-hierarchischen Spannungen wie in "The Menu". Sprich: Viele Anwärter kämpfen um einen großen Gewinn und werden im Laufe mehrere Runden "eliminiert", dabei spielen auch soziale und kulinarische Standings der Teilnehmenden eine Rolle. Bei "Culinary Class Wars” gehen nicht alle mit den gleichen Grundvoraussetzungen an den Start.
Zu Anfangs gibt es zwei Teams: Auf der einen Seite die sogenannten "White Coats", 20 etablierte Köche und Köchinnen aus der koreanischen Food-Szene, wie die Sterne-Köche Ahn You-seong und Choi Hyun-seok. Ihnen gegenüber stehen 80 relativ unbekannte "Black Coats", also Straßenköche oder sogenannte Chefs de Partie (verantwortlich für einen bestimmten Bereich in der Küche). Diese dürfen aber nur unter Codenamen antreten.
Plottwists und ganz viel Respekt
Eine Jury gibt es auch noch, bestehend aus dem einzigen Drei-Sterne-Koch Koreas Anh Sung-jae und dem Gastronom und Celebrity-Chefkoch Baek Jong-won. Sie entscheiden pro Runde, wer weiterkommt und wer ganz am Ende den Gewinn von 300 Millionen südkoreanische Won (in etwa 200.000 Euro) einsteckt. Das bedeutet: sehr viele Gerichte probieren. Kein Problem für die beiden bei der Palette, die die Teilnehmenden bereits in Runde eins auffahren. Von neapolitanischer Pasta über koreanischem Bibimbap bis hin zu japanischem Sashimi und Futomaki ist alles dabei. Völlig nachvollziehbar also die herrlichen Genuss-Gesichter, die die zwei Gourmet-Judges aufsetzen.
Gourmet sind auch die Twists, die die Showmachenden in die Serie eingebaut haben. Gleich in Level eins zum Beispiel reduziert die Jury 80 "Black Coats" auf 20. Die "White Coats" dagegen sind erstmal safe. Sie haben sich ihren Status bereits erkämpft und dürfen vorerst über den Köpfen der "Black Coats" hinter einem Geländer thronen und den 80 Anwärter:innen beim "Kämpfen" zusehen. Ein Produktions-Schachzug, der erstmal ein bisschen wie "Gladiator meets Hunger Games" wirkt. Hallo Klassismus! - verrät ja auch schon der Titel "Culinary CLASS Wars". Doch irgendwie schafft es die Show das anfängliche Gefälle schnell vergessen zu lassen.
Neben dem ganzen leckeren Essen liegt das unter anderem an der Zwischenmenschlichkeit der Teilnehmenden. Das Verhältnis zwischen den zwei Teams und generell allen ist sehr offen und respektvoll. Viele der "Black Coats" kennen die "White Coats" und die Judges, entweder durch ihre Arbeit oder weil sie selbst einmal unter ihnen arbeiteten. Es wirkt so, als wären zwar nicht alle auf gleichem professionellem Level aber trotzdem auf Augenhöhe – und wahnsinnig froh, jetzt hier zusammen dieses Game spielen und vor allem KOCHEN zu dürfen. Angenehm, dass die Showmacher das Klassen-Gefälle nicht weiter groß ausschlachten. Keine effekthaschenden Effekte oder gesetzten Interviews. Keine groß aufstachelnde Musik. Dafür jede Menge Plottwists.
Zwischen Rinderkutteln und Aglio Oglio
Sind die "White Coats" am Anfang noch die Privilegierten, geht es in Runde zwei bis vier auch für sie ans Eingemachte. Die Jury hat keine Scheu, weiße Jacken für ihre Gerichte zu kritisieren und rauszukicken. Ihnen geht es nur ums Essen. Der angesehene Chef Lu Chinglai verliert zum Beispiel im One on One Cook-Off gegen den "Black Coat"-Self Made-Chef. Dazu verändert sich auch das "Spielfeld" und somit die visuelle Machtdynamik immer wieder: Bei der Bankett-Challenge beispielsweise müssen Team White und Black Coat innerhalb einer bestimmten Zeit 100 Portionen eines Gerichtes zubereiten. In einer Art Amphitheater thront die Jury über ihnen, zusammen mit 100 Food-Tester:innen, die anschließend die Runde entscheiden. Dafür müssen die zwei Judges zwei Runden später selbst ran an den Herd. Gleichberechtigung!
Niemand wird hier bevorzugt, niemand ist sicher. Dazu kommt eine angenehme Showgestaltung, unfassbar leckere Food-Inspo und neben den großen Plotwists hier und da auch kleine Überraschungen. Mein Geheimtipp für alle, die nur kurz Reinzappen wollen: Runde zwei. In der müssen die Teilnehmenden zu zweit einen von vielen Kühlschränken wählen, in dem eine geheime Zutat liegt, die sie verarbeiten müssen. Darunter auch sowas wie Rochen oder Meeraal.
"Class War": Wo ist der Klassismus?
Das Meer hat "Culinary Class Wars” längst überquert. Doch auch in Südkorea selbst ist die Show mittlerweile schon so beliebt, dass sie reale Auswirkungen auf die Food-Szene dort hat: Kim Mi-ryung, in der Show angetreten als Auntie Omakase #1, betreibt ein koreanisches Restaurant am Gyeongdong Market im Osten von Seoul. In der singapurischen Zeitung "The Straits Times” erzählt sie, wie die Netflix-Show für ein Revival der traditionellen Märkte sorgt. Diese hatten in den Jahren zuvor einen massiven Rückgang erlebt. "Die Leute kommen wieder. Ich bin so stolz, dass ich ein bisschen zu diesem Revival beitragen kann", wird Auntie Omakase #1 zitiert.
"Culinary Class Wars” ist ein absoluter Leuchtturm im Meer der Kochshows. Auch wenn sich der Klassenkampf nicht wirklich einlöst. Als Triggerword macht es sich gut, aber hinterm Herd sind hier am Ende alle gleich. Erfrischend. Denn, bei Gott, ich kann Raue, Mälzer und Co. einfach nicht mehr sehen.