Eksotik Müzik Symposium "Die Aufteilung in 'Weltmusik' und westliche Charts ist sehr ungerecht"
Tuncay Acar, Organisator des "Eksotik Müzik"-Symposium in den Münchner Kammerspielen, sagt, wir müssen aufhören, den Begriff „Weltmusik“ zu nutzen. Unterstützung bekommt er von Sinem Arslan, die alte türkische Lieder im neuen Gewand präsentiert.

Zündfunk: Jahrzehntelang wurde alles, was nicht der westlichen Idee von Musik entspricht im Fach „Weltmusik“ abgelegt. Was aber machen wir nun mit dieser Idee: Weltmusik?
Tuncay Acar: Genau darum geht es uns hauptsächlich. Mein Claim mit der Veranstaltung ist auch „Let's Leave World Music Behind“. Also diesen Begriff, den könnte man so langsam mal verabschieden, finde ich. Denn ich denke, dass die Aufteilung in Weltmusik und westliche Charts sehr ungerecht ist. Es gibt so tolle Musik, ohne die die westlichen Charts gar nicht möglich gewesen wären und diese Musik kommt meistens nicht aus Europa. Den Rest der Welt unter dem Titel „Weltmusik“ zusammenzufassen, ist meiner Meinung nach nicht mehr zeitgemäß. Insofern habe ich dann mit diesem Titel auch natürlich einen ironischen Augenzwinker durchgeführt und gesagt: Exotic eben mit KS. Das heißt Exotic aus der Perspektive der „Anderen“. Das bringt die Ironie mit ins Spiel und hilft uns dabei, uns trotz all dieser harten Diskurse, die teilweise stattfinden, zu amüsieren. Und darum geht es bei der Veranstaltung im Wesentlichen.
Sinem, mit welchen Augen blickst du auf die ganze Veranstaltung und auf das Thema?
Sinem Arslan: Ich fand das sehr schön, was Tuncay gesagt hat.
Ich habe mich sehr gefreut, dass ich eingeladen wurde, um mitsprechen zu dürfen, weil ich schon immer ein Problem mit diesem Begriff „Weltmusik“ hatte. Ich glaube aus dem simplen Grund: ich habe es nicht verstanden. Ich dachte oder denke immer noch, Weltmusik müsste doch alles sein. Also je nachdem, von welcher Seite man es betrachtet, auf welchem Kontinent man lebt. Wenn man beispielsweise in Südamerika ist und deutschen Schlager hört, könnte doch der deutsche Schlager auch Weltmusik sein. Ich habe mir sehr schwergetan damit. Sehr lange Zeit im Privaten und dann natürlich mit unserer Band. Als wir 2023 anfingen, kamen Anfragen immer für eben explizit „Weltmusik“-Veranstaltungen. Und dann kam dieses Missverstehen wieder.
„Weltmusik“ ist mittlerweile ja eher ein historischer Begriff. Den man auch aus historischer Sicht betrachten muss, also wie er gekommen ist und wie er jetzt vielleicht langsam verschwindet. Es hat sich da ja sehr viel getan. Es ist nicht mehr so wie früher, dass ein paar große Macker im Westen sagen, das wird veröffentlicht und das nicht und darüber reden wir und über das reden werden nie.
Tuncay Acar: An dem Punkt muss ich noch einmal zurückblicken auf eine Band, die in München sehr lange ganz bewusst „Weltmusik“ gemacht hat: Embryo. Zu der Zeit, in den Siebzigern, war es meiner Meinung nach auch legitim. Und die haben diesen Begriff auch mitpropagiert. Aus der Perspektive kann ich das natürlich verstehen, sie haben sich gegen eine harte Musikindustrie gewehrt und haben ganz bewusst auf den Rest der Welt gezeigt und gesagt, dort gibt es auch gute Musik. Vor allem dort! Die Zeiten sind jetzt aber vorbei. Also, ich will jetzt nicht die Menschen diskreditieren, die diesen Begriff damals benutzt haben oder eingeführt haben. Überhaupt gar nicht. Aber ich glaube, wir sind an einer Zeitenwende, die uns auch ganz gut tut. Sinem spricht mir da aus der Seele. Und ich merke auch, wie diese Herangehensweise auch bei Musikern und Musikerinnen ankommt. Ich glaube, es ist an der Zeit, diese festen Formeln aufzubrechen.
Ihr macht das Ganze ja in einer sehr zugänglichen Form. Es beginnt am Freitagnachmittag mit einem Gelage: Eksotik Müsik Gelage, dass die Sache schon mal erleichtert. Wie schaut dieses Gelage denn aus?
Tuncay Acar: Wir haben uns gefragt, machen wir ein Symposium über zwei Tage oder wie gestalten wir das Ganze? Wir haben gesehen, dass solche Programme meistens sehr strikt ablaufen und man kaum Zeit hat, sich miteinander mal in Ruhe zu unterhalten - vor lauter Programmdruck. Deshalb haben wir überlegt und uns gedacht, machen wir noch am ersten Tag einfach ein Gelage, laden Leute ein. Wir haben auch ein bisschen Fingerfood und Vorspeisen da. Wir bringen Kassetten mit aus unseren persönlichen privaten Archiven, also Musikkassetten. Das war ja das Medium, nicht nur in der Türkei, im ganzen Balkan, auch in Griechenland, überall in den Siebzigern.
Sehr lange übrigens ‒ noch weit in die 90er-Jahre ‒ gab es zum Beispiel hinter dem Münchener Hauptbahnhof etliche Läden, wo es nur Musikkassetten gab.
Tuncay Acar: Vor allem Minareci. Das war der Laden in München, der auch Musik produziert hat und eine wichtige Anlaufstelle war. München spielt innerhalb dieser Kassettenkultur auch eine wahnsinnig wichtige Rolle, zusammen mit Köln und Frankfurt. Insofern haben wir uns gedacht, spielen wir Kassetten, projizieren auch historisch Bilder an die Wand und unterhalten uns einfach mal über dieses Thema. Weil ich gemerkt habe, es gibt sehr viele unterschiedliche Perspektiven darauf und denke, es wäre gut, diese unterschiedlichen Perspektiven mal an einen Tisch zu bringen. Und das war die Idee auch von diesem Symposium.
Wir haben jetzt über „Weltmusik“ als beinah schon historischen Begriff gesprochen. Was hat sich denn seit den 70ern, als es türkische Musik nur auf Kassetten und völlig unbemerkt von den Deutschen nur im Bahnhofsviertel gab, in eurer Wahrnehmung konkret verändert?
Sinem Arslan: Ich fragt mich das immer und immer wieder, denn wir als Band, wir interpretieren ja eben Songs von Cem Karaca, Barış Manço, Selda Bagcan. Es ist so, dass ich natürlich anders mit dieser Musik in Berührung gekommen bin als Tuncay. Also ich habe kein einziges Live-Konzert gesehen, aber ich habe es natürlich über meine Familie miterlebt. Über meine Großeltern und meine Eltern.
Ich kann mir das nicht genau erklären, warum jetzt? Klar, privat kann ich sagen, jetzt spielt es eine Rolle, weil ich seit Ende 2023 auf der Bühne stehe. Aber ich bin seit 33 Jahren schon die Person, die ich bin, höre diese Musik. Aber ich persönlich habe diese Musik sehr lange Zeit nur bei mir zuhause gehört und niemals mit meinen deutschen Freund*innen geteilt. Und das ändert sich jetzt seit ein paar Jahren, was schon eine interessante Sache ist. Warum? Ich habe keine fixe Antwort darauf. Mit Sicherheit spielen Medien eine Rolle, dass man nochmal einen größeren Zugriff hat. Ich glaube, dass natürlich auch die Generation eine Rolle spielt. Also die Generation meiner Großeltern, die nach Deutschland kam, die war damit beschäftigt, zu arbeiten, zu gucken, dass es den Kindern gut geht, dass man irgendwie eine ordentliche Schulausbildung macht. Dann kam die Generation meiner Mutter, die dann schon mehr Zugang hatte, zu Kunst und Kultur. Ich selbst bin 91er-Jahrgang und hatte noch mal ganz andere Voraussetzungen. Ich konnte zur Schule gehen, ich konnte ein Gymnasium besuchen, auch als Mädchen. Wir sind in Oberbayern, in Andechs, groß geworden. Meine Mutter, ein Mädchen, egal ob jetzt mit Migrationshintergrund oder nicht, durfte kein Gymnasium besuchen. Meine Voraussetzungen sind schon wieder ganz anders, aber die Hauptaufmerksamkeit lag daran, möglichst deutsch zu sein. Und damit ging für mich auch diese Musik verloren. Also wie gesagt, das fand für mich im Privaten statt. Und jetzt hat sich etwas getan. Ich habe nun mal diese Möglichkeit gehabt, rauszugehen, ich konnte mein Abitur in Kunst machen, ich konnte Kunstgeschichte studieren, ich bin im Kunst und Kultur Bereich tätig und habe einen ganz anderen Raum, wo ich diese Sachen teilen kann.
Sinem, jetzt gucken wir mal zu deiner Band, die so heißt wie du.
Sinem Arslan: War nicht meine Idee.
YouTube-Vorschau - es werden keine Daten von YouTube geladen.
SINEM - Sivas'ın Yollarına
Es gibt euch noch gar nicht so lange, erst seit Ende 2023. Ihr sagt ja, das war ungeplant und jetzt steht euer Album an. Also es ging schon alles sehr, sehr schnell. Erzähl mal bitte für Menschen, die noch nie von Dir und deiner Band gehört haben, die wichtigsten Grundsatz-Fakten. Was muss man wissen?
Sinem Arslan: Also, wir sind zu dritt. Ein Schlagzeuger, Tom Wu, Schlagzeuger und Produzent, ein Gitarrist, Martin Tagar, und ich als Sängerin. Wir interpretieren alte, bestehende türkische Songs, die auch nicht alle aus dieser Anadolu Rock-Ära sind, sondern wir haben auch die Neunziger oder die Nullerjahre dabei. Und weil wir alle drei musikalisch ähnlich sozialisiert sind oder einen ähnlichen Geschmack haben, kam dabei halt so ein bisschen was Post-Punkigs, Waviges, New-Waviges raus. Ganz ohne Rezept oder Schablone.
Dein Vorname bedeutet auf Deutsch Herz und Seele?
Sinem Arslan: Ja, also in alten, tückischen Texten kommt das Wort auch noch so benutzt vor ‒ aus tiefstem Herzen oder der Seele. Die türkischen Texte sind schon auch immer sehr dramatisch, wenn man so will. Und die Sprache ist halt sehr blumig, oder wie würdest du sagen Tuncay?
Tuncay Acar: Da spielt natürlich der Einfluss Persiens ganz eine große Rolle, wo es ja auch sehr große Tradition in Lyrik und in der Poesie gibt. Auch die arabischen Einflüsse, also die ganze Region Naher Osten, da blüht die Kultur schon seit Jahrtausenden.