Serienkritik "Fallout" lässt Köpfe zerplatzen – und Träume vom Kapitalismus
Der Hype überschlägt sich, für viele ist die Serie "Fallout" eine der stärksten der letzten Jahre. Ja, sie macht erzählerisch viel richtig – aber ihre große Stärke liegt vor allem im Politischen.
"Verlier‘ nicht den Kopf", "don’t lose your head". Das sind die letzten Worte, die Lucy MacLean noch auf einem Plakat erspäht, bevor sie raus muss aus ihrem Atomschutzbunker. Die Hauptheldin der Serie "Fallout", sie ist in diesem Bunker geboren. Noch nie hat sie ihn verlassen. Und eigentlich, glaubt sie, ist außerhalb des Bunkers, in dem eine kleine Gemeinschaft an Menschen überlebt hat, nichts als nuklear verwüstetes Ödland.
Nach dem Atomkrieg
"Fallout" spielt im Jahr 2300, in einer Zeit, nachdem die Menschheit sich mit Atombomben fast komplett ausgerottet hat. In der Welt des Amazon-Serienhits wird die anfangs naive Lucy schnell auf den Boden der Tatsachen geholt. Da trifft sie zum Beispiel auf einen Forscher, der ein für die Menschheit bedeutsames Artefakt in seinen Kopf implantiert hat. Er will damit eine Enklave im postapokalyptischen Los Angeles erreichen. Doch dann überschlagen sich die Ereignisse und der Forscher liegt im Sterben, hat er doch eine Zyankalikapsel geschluckt.
Und dann das: Der Wissenschaftler befiehlt Lucy, dass sie ihm den Kopf mitsamt Artefakt mit einer Motorsäge abschneidet und den toten Kopf nach LA bringt, denn das ist doch deutlich einfacher, als den ganzen Körper hinter sich herzuschleifen. Der Spruch "Don’t lose your head", plötzlich hat er eine ganz andere Bedeutung.
YouTube-Vorschau - es werden keine Daten von YouTube geladen.
Fallout – Offizieller Trailer | Prime Video
Die Videospiel-Adaption erzählt eine eigene Geschichte
"Fallout" ist eigentlich eine Videospiel-Adaption, erzählt aber eine eigenständige Geschichte, stimmig eingebettet in der Logik des Games. Der Produzent und Regisseur der ersten drei Folgen ist Jonathan Nolan, der Bruder von Christopher Nolan. Die Handlung? Vielleicht nur so viel: Die drei Hauptcharaktere sind eben Lucy, der Bunker-Frau, Maximus, ein Kämpfer eines ominösen Ritterordens, der sich draußen im Ödland Militarismus und Männlichkeit verschrieben hat und der Ghoul. Der wurde während der nuklearen Katastrophe radioaktiv verseucht und entstellt und zieht nun wie eine Art Revolverheld mit coolen Sprüchen durch die verwüsteten Städte.
Außerdem erzählt "Fallout" auch die Geschichte, wie es zu der nuklearen Katastrophe kam. Visuell ist das beindruckend, auch weil gigantische Sets und praktische Effekte überflüssiges CGI ersetzen. Kleine Warnung: Im Ödland geht es gewaltvoll zu. Da werden schonmal Finger abgeschnitten und die Köpfe zerplatzen, allzu ernst nimmt man sich dabei nicht, die Serie ist bewusst trashig inszeniert.
"Fallout" ist besonders stark auf politischer Ebene
Besonders stark ist die Serie aber auf politischer Ebene. Zerstört wird nämlich nicht nur allerhand Hirnmasse, sondern auch der Kapitalismus! Die Frage, der Lucy, der Ghoul und Maximus nachgehen: Warum konnten manche Menschen die Katastrophe in Atomschutzbunker, sogenannten Vaults, überdauern, während andere draußen im Ödland um ihr Überleben kämpfen mussten?
Die Erklärung liegt darin, wie es überhaupt zur Katastrophe kam. Im Zentrum der Kritik stehen dabei die Konzerne. Und zwar diejenigen, die sich selbst auf die Fahne schreiben, die Welt zu verbessern. Das Problem in "Fallout" ist, dass es diesen Konzernen aber nicht um die Rettung der Welt geht, sondern um ihr Wachstum, um ihren Profit. Sie wollen die Weltrettung verkaufen, brauchen also erstmal den Weltuntergang. Um zum Beispiel Atomschutzbunker zu verkaufen, braucht es zunächst eine Apokalypse.
"Fallout" packt den Kapitalismus bei den Wurzeln
Damit packt "Fallout" den Kapitalismus bei seiner Wurzel: Nach dem alten Credo der Kapitalismus-Kritiker, die sagen: Wachstum und Profit der einen, beruhen auf Ausbeutung und dem Leid der anderen. Weil Arbeiter ihre Arbeit immer unter Wert verkaufen müssen, um damit die Rendite der Konzerne zu steigern. Bei "Fallout" müssen die Menschen für den Profit in der Apokalypse dann sogar ihr Leben geben.
Auch die Bösewichte in "Fallout" tarnen sich mit Moral. Sie inszenieren sich als Weltenretter, als die Guten. Ein bisschen wie die Vertreter des grünen Kapitalismus heute, die sozialökologische Marktwirtschaft versprechen. Oder wie Elon Musk. Über den hat Sam Altman, der Chef von Open AI, mal gesagt: "Er will unbedingt die Welt retten, aber nur wenn er derjenige ist, der sie rettet."
Misstraut jeglicher Ideologie
Und so will "Fallout" uns vor allem den Skeptizismus näherbringen. Ok, in einem Interview hat Produzent Jonathan Nolan davon gesprochen, dass er mit seiner Serie eigentlich gar keine Botschaft vermitteln will. Aber genau da ist die eigentliche Botschaft versteckt: Sollte man nicht gerade denjenigen misstrauen, die die eine, wahre, frohe, apokalyptische oder sonst irgendeine Botschaft in die Welt hinausposaunen? Auch die Figuren in "Fallout" sie müssen permanent ihre Glaubenssätze hinterfragen. Denn durch Ideologie entsteht in dieser Welt selten etwas Gutes. Viel wichtiger ist, wie es zu Anfang heißt: "Don‘t lose your head!"
"Fallout" ist zu sehen bei Amazon Prime