Meinung Das Ende der Rebellion: Pop wird nur mit staatlicher Stütze überleben
Alles scheint gut im Lande Pop! Taylor und Co. sind wieder unterwegs, ein Mega-Event jagt das nächste. Die Gema meldet ein Rekordjahr bei den Live-Umsätzen. Was auf den ersten Blick nach einem Erfolg aussieht, bedeutet aber eine ernsthafte Gefahr für den Pop.
Yeah, yeah, yeah! Gute Nachrichten aller Orten! Adele kommt für sagenhafte zehn Konzerte nach München. Ed Sheeran läutet in Deutschland die Fußball-EM ein. Und: Taylor Swift hat es endlich auf die Forbes-Liste der reichsten Menschen der Welt geschafft. Pop ist wieder da, hat sich erholt von der langen, einsamen Zeit der Pandemie.
Aber während die einen feiern, verenden die anderen. Festivals und Clubs geht die Puste aus. In Großbritannien, dem Mutterland des Pop, haben im letzten Jahr 125 Clubs die Veranstaltung von Konzerten eingestellt. In Deutschland ist aktuell der legendäre Molotow-Club in Hamburg von der Schließung bedroht, das Harry Klein in München ist schon zu und das Mensch Meier in Berlin genauso, um ein paar Beispiele zu nennen. Gründe sind nicht nur in der Pandemie zu suchen, der Trend besteht schon seit 2014. Schließlich leben wir in einer Welt der Mietsteigerungen und Lärmbeschwerden. Inflation, Energiekrise und Personalmangel tun ihr übriges. Und nicht zuletzt spielen auch wir eine Rolle: Das Publikum geht gerne zu Großveranstaltungen, aber immer weniger zu den tollen, aber noch unbekannteren Bands, die wir halt noch nicht kennen.
Pop hat ein Nachwuchsproblem
Veranstalter müssen sich dreimal überlegen, ob sie das Risiko eingehen wollen, ein Konzert mit einer dieser "kleinen"-Bands zu veranstalten. Und klein meint hier Bands, zu denen auch mal 600 Leute kommen. Es geht also nicht nur um Auftrittsorte, es geht um die Künstler selbst. Bands können es sich schlicht nicht mehr leisten, auf Tour zu gehen. Denn wenn die Booker keine Gagen mehr garantieren können, liegt das Risiko ganz bei den Künstlern und Künstlerinnen. Und wer möchte seine Tour schon gerne mit einem gigantischen Berg Schulden beenden?
Der kritische Geist sagt: War die Band halt nicht gut genug. Nur die Harten kommen in den Garten. In der Kunst greift der American Dream noch voll, zu schön ist die Geschichte des Selfmade-Man oder der -Woman. Aber es bedarf eben Strukturen, damit man oder frau es schafft.
Und diese Strukturen drohen nun zu verschwinden. Das Sterben kleinerer Clubs und Festivals ist der Anfang eines Prozesses, an dessen Ende es nur noch die Rolling Stones gibt. Weil niemand mehr nachkommt. Weil viele Jobs drumherum wegfallen werden, die einen Artist groß werden lassen. Klar, mit viel Glück schaffen Musiker es dann vielleicht allein durch die sozialen Netzwerke oder durch einen Risikodeal mit der Musikindustrie, aber Künstler, die einen ein Leben lang begleiten und prägen – die Radioheads oder Lana Del Reys dieser Welt – wird es so nur mehr schwer geben.
Wo ist der Ausweg?
Wenn uns Pop also lieb und teuer ist, ist es jetzt an der Zeit etwas zu unternehmen. Zum einen, ja: Support your local club, your local Lieblingskünstler. Aber das wird – so schön es auch wäre – den Prozess nicht aufhalten. Es braucht strukturelle Unterstützung, es braucht mehr politisches Engagement. Pop ist als Kulturgut genauso wichtig wie Klassik, Theater oder Kino – Branchen, die enorme Unterstützung vom Staat erhalten. Von daher, liebe Claudia Roth: Es ist an der Zeit den Pop zu retten. Das mag uncool erscheinen – vor allem den Pop-Schaffenden selbst, denn Pop war geschichtlich gesehen immer gegen das Establishment. Aber cool war gestern, hier geht’s ums Überleben. Und ja, es gibt bereits viele Fördermaßnahmen, aber die sind im Vergleich zu anderen Sparten einfach zu wenig, was daran liegt, dass Pop und Dance-Kultur immer noch weniger ernst genommen werden als die sogenannte Hochkultur.
Wir müssen den Pop retten, sonst spielt irgendwann eine seelenlose KI zehn Konzerte im Sommer, die im Jahr drauf durch eine andere seelenlose KI ersetzt wird. Und das können wir nicht wollen.