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„I Saw The TV Glow“ Dieser Horrorfilm zeigt, warum wir Popkultur brauchen, aber Nostalgie gefährlich ist

„I Saw The TV Glow“ gilt als Geheimtipp. Er erzählt von zwei Nerds, die sich in der Schule anfreunden, weil sie für dieselbe Fernsehserie schwärmen. Doch dann wird es unheimlich. Warum feiern diesen Horrorfilm fast alle, die ihn sehen?

Von: Paula Lochte

Stand: 28.11.2024 | Archiv

Owen (Justice Smith) und Maddy (Brigette Lundy-Paine) auf dem Sofa sitzend in einer Filmszene von „I Saw The TV Glow“ | Bild: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | A24 via AP

Nostalgie hat es immer dann besonders leicht, wenn wir Trost suchen. Dann fühlt sich das Vergangene an wie ein Zuhause: warm, schützend, vertraut. Dann können die Fenster noch so sehr scheppern, wir vergessen, dass draußen Kriege wüten. Rechtsextremisten wieder Wahlen gewinnen. Und das feixende Gesicht von Donald Trump – der, wie alle Populisten, ein Nostalgie-Aasgeier ist: „Make America Great Again“, das ist die Chauvi-Parole der Nostalgie. Die dunkle Seite. Aber es gibt auch eine helle – oder bunte.

Zündfunk Popcorn: Filme und Serien auf den zweiten Blick

In der Kolumne „Zündfunk Popcorn“ berichten die Zündfunk-Reporter*innen Paula Lochte und Ferdinand Meyen alle zwei Wochen über aktuelle Kino- und Streamingtipps. Im Fokus: die Indie- und Geheimtipps unter den Blockbustern. Süß. Salzig. Politisch.

Der Film „I Saw The TV Glow“ spielt mit „Buffy“-Referenzen

Im Film „I Saw The TV Glow“, der nun Heimkino-Premiere hat, leuchtet die Nostalgie pink. Sie sieht aus wie ein handgemaltes rosa Gespenst und taucht immer dann im Nacken von zwei Mädchen auf, wenn die gegen Dämonen kämpfen. Die Mädchen erinnern an früher, an die Vampirjägerin Buffy und sind, wie sie, Serienfiguren.

„Der pinke Nebel“, so heißt die Serie, in der sie auftauchen. Es ist die Lieblingsserie von Owen (Justice Smith, als Kind Ian Foreman) und seiner besten Freundin Maddy (Brigette Lundy-Paine). Eigentlich liegen zwischen den beiden Welten, denn sie ist in der neunten Klasse – er erst in der siebten! Oder, in Maddys Worten: „Du bist ja noch ein Baby!“

Ein Eiswagen versinkt in pinkem Nebel.

Aber alle, die früher zu anderer Musik getanzt haben als ihre Mitschüler; alle, die gemerkt haben, dass sie abseitige Filme gut finden oder lieber Bücher lesen als Komasaufen, können bestätigen, wenig schweißt so eng zusammen, wie zu merken: Ich bin doch nicht allein in meiner Nische! Popkultur macht es möglich, sich selbst zu finden – aber eben auch andere, die ähnlich ticken.

Gastauftritte von King Woman, Sloppy Jane und Snail Mail

Dazu passt nur allzu gut, dass auf dem Soundtrack von „I Saw The TV Glow“ eine ganze Armada von Indie-Künstlerinnen versammelt ist; King Woman und Sloppy Jane treten sogar wortwörtlich auf, als sich die beiden Hauptfiguren in eine Spelunke verirren. Und Lindsey Jordan aka Snail Mail spielt eine der beiden Dämonenjägerinnen in der fiktiven TV-Show „Pinker Nebel“. 

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Tonight, Tonight

Wieder und wieder schauen Owen und Maddy die auf VHS-Kassetten aufgenommenen Episoden ihrer gemeinsamen Lieblingsserien an, flüchten sich in die Fantasy-Welt. In einer amerikanischen Kleinstadt Mitte der 90er Jahre, wo die beiden aufwachsen, ist das schließlich der Jackpot: Zwischen all den Angepassten Mainstream-Heinis jemand Gleichgesinnten zu finden, und das noch bevor das Internet es so viel leichter gemacht hat, sich mit anderen Nerds zu vernetzen.

„I Saw The TV Glow“ erinnert an Röhrenfernseher und Röhrenjeans

Der Film „I Saw The TV Glow“ beschwört wohlige Erinnerungen herauf an ausgetauschte Mixtapes, große Augen vorm Röhrenfernseher und Röhrenjeans. Aber: Wir können diesen Erinnerungen nicht trauen. Als der kleine Owen längst erwachsen ist, schaut er nochmal seine Lieblingsserie von damals. Die gibt es mittlerweile im Stream, aber: „Die Serie war völlig anders, als ich sie in Erinnerung hatte: Es war total abgedroschen und billig, veraltet und kein bisschen gruselig.“

So ist das mit der Nostalgie. Sie tut so, als würde sie die Vergangenheit erinnern. Aber eigentlich verklärt sie die Vergangenheit. Dem aktuellen 90ies-Revival in der Mode und der Sehnsucht nach einer Zeit, in der es kurz so schien, als sei das „Ende der Geschichte“ erreicht, Demokratie und Frieden Konsens, diesem Hype setzt der Film Horror entgegen. Ähnlich wie bei „Stranger Things“ (nur eben ein Jahrzehnt später angesiedelt) bekommt die Retro-Romantik Risse: „Bist du sicher, dass 'Der pinke Nebel' nur eine Serie ist?“, fragt Maddy Owen.

Die Monster bleiben nicht hinter dem Fernsehbildschirm

Denn es scheint plötzlich, als würden die Monster nicht hinter dem Fernsehbildschirm bleiben wollen. Und so wird aus dem Coming-of-Age-Film ein Horrortrip. Allerdings: In einem klassischen Horrorfilm würde es nun darum gehen, dem Bösen die Stirn zu bieten, damit Sitte und Moral wiederhergestellt werden. Aber in „I Saw The TV Glow“ steckt gerade darin, in der Normalität, das eigentliche Grauen. Hauptfigur Owen sagt schließlich diesen klugen Satz: Die Vorstadt ist der eigentliche Horror.

Denn die Vorstadt in den 90er Jahren war ein Ort, an dem ein kleiner Junge wie er eine Tracht Prügel riskiert, wenn er eine „Mädchenserie“ wie „Der pinke Nebel“ guckt. Und an dem seine lesbische beste Freundin irgendwann alle Hoffnung verliert. Sie verschwindet spurlos. Im Garten findet die Polizei noch ihren Fernseher, der in Flammen steht.

Nostalgie kann uns kurz trösten, ja. Aber früher war eben nicht alles besser.

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I Saw The TV Glow | Official Trailer HD | A24

„I Saw The TV Glow“, USA 2024, Regie & Drehbuch: Jane Schoenbrun, u. a. mit Justice Smith, Brigette Lundy-Paine, Fred Durst und Danielle Deadwyler, 100 Minuten, zum Kaufen und Leihen bei gängigen Streaming-Anbietern.