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Fußball und Gewalt Ultras - die provokante Fan-Avantgarde

Hooligans waren gestern, heute geben die sogenannten Ultras den Ton an - auch sie ein Import-Phänomen. Es entstand im Italien der 60er-Jahre als linke Protestbewegung gegen die Kommerzialisierung im Fußball.

Stand: 16.05.2012 | Archiv

Fußball-Fan mit "Ultras"-Schriftzug auf der Kapuzenjacke | Bild: picture-alliance/dpa

In Deutschland tauchten die Ultras Mitte der 90er-Jahre auf, die ersten bei Eintracht Frankfurt. Heutzutage hat praktisch jeder Verein von der Bundes- bis hinab in die Regionalliga eine derartige Szene. Die Ultras organisieren sich in Vereinigungen, die weder offiziellen Fanklub-Status haben noch sich von ihrem Fußballverein finanziell unterstützen lassen (würden).

Stimmungskanonen

Im Gegensatz zu den Hooligans sind die meisten Ultras keine dumpfen Schläger. Sie verstehen sich als Elite-Anhänger - weil ultra-treu. Und das nicht nur zu Hause. Keine Reise zu einem Auswärtsspiel, auch nicht zu entlegensten Orten, ist ihnen zu beschwerlich. Sie definieren sich als dynamisches Gegenereignis zum passiven Zuschauer, der allenfalls bei der Welle mal kurz vom Sitzplatz aufspringt. Die Ultras, das sind die Stimmungsmacher im exklusiven Block.

Ihre Hingabe zum Fußballklub ist rückhaltlos, geradezu ein Lebensgefühl, dem alles andere untergeordnet wird. Wer in der internen Hierarchie aufsteigen will, investiert sehr viel Zeit, um Fahnen und Transparente zu basteln, Gesänge und aufwändige Choreografien für die Fankurve einzuüben. Höhepunkt der Woche ist dann die Show während des Spiels: 90 Minuten Volldampf-Support. Zeremonienmeister ist der sogenannte "Kapo". Mit dem Rücken zum Spielfeld auf dem Zaun postiert, dirigiert er die Menge.

"Schickeria", "Cosa Nostra" und andere Ultras

Sie ist nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen Bussi-Bussi-Gesellschaft: "Schickeria" nennt sich die Ultra-Szene des FC Bayern München. Ihr Engagement beschränkt sich nicht nur auf den Support für den Rekordmeister, sondern auch auf soziale Projekte, zum Beispiel mit Initiativen gegen Rassismus oder Schwulenfeindlichkeit. Auf der anderen Seite gerät die "Schickeria" immer wieder durch zum Teil brutale Gewalttäter aus ihren Reihen in die Schlagzeilen.

"Cosa Nostra"? Da denkt jeder zunächst an die sizilianische Mafia. Doch "unsere Sache" ist in diesem Fall der TSV 1860 München. Die Löwen-Ultras bezeichnen sich so.

Eine der größten Ultra-Szenen, eine der ersten in Bayern, fühlt sich dem Club verpflichtet. Sie nennt sich schlicht und einfach "Ultras Nürnberg". Auch beim FC Augsburg, der SpVgg Greuther Fürth und viele anderen Vereinen im Freistaat gibt es solche Fanvereinigungen.

Die Meinungen zu den Ultra-Shows sind geteilt: Während die einen die Choreografien als kreativ empfinden, sind diese auch schon mit der Ästhetik "nordkoreanischer Feierlichkeiten" verglichen worden.

Lese-Tipp

Philipp Köster: Der dressierte Fanblock - Wie Ultras in den Stadien das Stimmungsmonopol auf sich veranschlagen.
In: 11 Freunde, Magazin für Fußball-Kultur, Heft 85, Dezember 2008

Moniert wurde auch, dass die einstige Spontaneität inzwischen starren Ritualen gewichen sei: "Nicht selten spulen Ultras gänzlich unabhängig vom Spielverlauf ihr Programm herunter und lassen sich, polemisch formuliert, nur ausnahmsweise und höchst ungern von Toren unterbrechen", schrieb Philipp Köster, Gründer des Fußball-Magazins "11 Freunde".

Damit klingt ein weiterer Kritikpunkt an: Die Aktionen hätten sich längst vom Sport abgekoppelt, die Ultras würden nicht das Fußballspiel als Hauptsache begreifen, sondern sich selbst.

Bei Misserfolg: Liebesentzug

Für ihren bedingungslosen Einsatz wollen die Ultras eine Gegenleistung: Die Spieler sollen gefälligst auf dem Platz dasselbe Engagement zeigen wie sie auf der Tribüne. "Wir wollen euch kämpfen sehen", schallt es von den Rängen, wenn's nicht läuft. Übersetzt heißt das: "Wir zahlen, wir wollen dafür Siege." Bleiben die sportlichen Erfolge aus, kann es schon mal vorkommen, dass Fans das Trainingsgelände stürmen, um die Stars auf ihre Aufgaben "einzuschwören". Eine beliebte Sanktion ist "Liebesentzug", also Schweigen während des Spiels.

Anti-Kommerz

Ein weiteres wichtiges Element des Ultra-Selbstverständnisses ist die Kritik am kommerzialisierten und medialisierten Fußball, der den Fan zum Statisten eines gigantischen Spektakels degradiert. Den Ultra stört: Traditionsvereine werden in Aktiengesellschaften umgewandelt.

Altehrwürdige Stadien mutieren zu antiseptischen Arenen, die die Namen der Klub-Sponsoren tragen. Die Deutsche Fußball-Liga (DFL) zerstückelt den Spielplan, um die Interessen von TV-Sendern zu befriedigen. "Fußball-Millionäre" identifizieren sich nicht mehr mit den Vereinen, sondern wechseln sie wie Hemden.

Uli Hoeneß' legendäre Fanschelte

Demgegenüber verstehen sich die Ultras als die Hüter des "wahren Fußballs", den ihrer Meinung nach Klubs und Organisationen wie DFL oder DFB "verraten" haben. Ein nostalgisches Fußballverständnis, monieren Kritiker der Szene. Aber vor diesem Hintergrund wird klar, warum oft genug das Verhältnis von Klubs zu ihren Ultra-Gruppierungen gespannt ist.

In diesem Kontext berühmt wurde die Wutrede von Ex-Manager Uli Hoeneß während der Jahreshauptversammlung im November 2007 als Reaktion auf Kritik von FC Bayern-Anhängern: "Das ist eine populistische Scheiße! Es kann doch nicht sein, dass wir kritisiert werden, die wir uns hier jahrelang den Arsch aufreißen. Was glaubt Ihr, wer Euch finanziert? Die Leute aus den Logen, denen wir das Geld aus der Tasche ziehen", schimpfte er.

Aus der Mitte der Gesellschaft

Übermotivierte Fans, von denen manche auch gewaltbereit sind? Da wird rasch das Klischee vom Arbeitslosen ohne Perspektive bemüht, für den der Fußball Ventil zum Dampfablassen ist. Für die Ultras gilt das nicht. Sie sind in der Regel zwischen 15 und 25 Jahre alt und stammen meistens aus der Mittelschicht: Schüler und Studenten gehören zu ihnen ebenso wie Bildungsbürger oder Büroangestellte. Auch Rechtsanwälte oder Ingenieure tummeln sich unter ihnen.

Unpolitisch - meistens

Ultras vertreten in der Regel keine politische Richtung. Ausnahmen sind die vom FC St. Pauli, die dezidiert links stehen, in manche Szenen der neuen Bundesländer haben sich auch Neonazis gemischt. In Italien ist inzwischen sogar ein Großteil der Ultras rechtsextrem.


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