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Diabetes, Therapie Diabetes Typ 2: moderne Behandlung und Prävention

Diabetes mellitus ist eine Volkskrankheit in Deutschland. Rund acht Millionen Menschen sind betroffen; die meisten haben Diabetes-Typ-2. Eine chronische „Überzuckerung“ des Blutes birgt das Risiko für gefährliche Folgeerkrankungen wie Herzinfarkt und Schlaganfall. Mindestens zwei Millionen Menschen leiden zudem unter einem Prädiabetes – einer Vorstufe von Diabetes. Gesundheit! zeigt, wie eine moderne Therapie aussieht und was es Neues zur Präventions-Forschung gibt. Wissenschaftler aus dem Deutschen Zentrum für Diabetesforschung in Tübingen haben eine ganz neue Studie dazu vorgestellt.

Stand: 09.10.2023

Diabetes, Prävention: Diabetes Typ 2: moderne Behandlung und Prävention

Oft beginnt es schleichend: Viele Patienten leiden unter unspezifischen Beschwerden. So war es auch bei Wolfgang Müsel aus München:

"Ich hab sehr starken Durst gehabt, was ich früher eigentlich nicht so gehabt habe. Dann: Müdigkeit, Abgeschlagenheit, ich bin auch immer kraftloser geworden. Ich hab nicht mehr so den Pepp gehabt, den ich früher mal gehabt habe und dann bin ich irgendwann mal zu meinem Hausarzt und der hat dann ein Blutbild gemacht."

Wolfgang Müsel, Diabetespatient

Symptome und Definition von Diabetes

Betroffene klagen teils außerdem über juckende Haut, eine schlechte Wundheilung aber auch häufiges Wasserlassen oder Verstimmungen können hinter der Stoffwechselerkrankung stecken.
Laut den WHO-Kriterien wird zur Diagnose unter anderem der Nüchternblutzucker betrachtet – ein normaler Wert unter 100 Milligramm pro Deziliter gilt als gesund. Ab 126 und darüber hat man per Definition Diabetes. Zur Diagnose sollte der Wert – wegen der Schwankung – immer zwei Mal erhoben werden. Zusätzlich wird der sogenannte Langzeitzuckerwert herangezogen, der HbA1c-Wert. Liegt er bei 6,5% und mehr hat man Diabetes.

Die Ursachen für die Erkrankung sind vielfältig – neben genetischen Faktoren zählen vor allem die Lebensumstände dazu – wie Übergewicht, falsche Ernährung, Stress und schlechter Schlaf.
Allen Diabetes-Typ-2-Patienten gemein ist eine Störung im Insulinhaushalt: Wenn wir essen, steigt der Blutzuckerspiegel, und die Zellen fangen an, Insulin zu bilden. Nur so kann der Körper die Energie aus der Nahrung im Körper verteilen. Dann sinkt der Blutzuckerspiegel normalerweise wieder ab. Bei Diabetes ist dieser Prozess gestört.

"Das heißt, es ist genügend Insulin an Bord - der Körper produziert genügend Insulin, aber es wirkt nicht dort, wo es wirken soll – am Muskelgewebe und am Fettgewebe und daraus resultiert, dass der Zucker von den Blutgefäßen nicht in die Zielorgane hinein wechseln kann."

Priv.-Doz. Dr. med. Martin Füchtenbusch, Internist - Endokrinologe und Diabetologe, München

Die Folge im Fall von Wolfgang Müsel: eine erschöpfte Bauspeicheldrüse – man spricht von Insulinresistenz.

Diabetes: Gefährliche Komplikationen

Das kann für die kleinen und großen Gefäße im Körper langfristig Folgen haben:

"Was die meisten Menschen kennen, sind die bekannten Komplikationen, wenn der Zucker dauerhaft zu hoch ist. Das sind Schäden am Augenhintergrund, in der Netzhaut, an den Nerven und an der Niere. Das ist aber nicht alles - ein erhöhter Blutzuckerwert bedeutet auch ein erhöhtes Risiko für Ereignisse an den großen Gefäßen, zum Beispiel einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall."

Priv.-Doz. Dr. med. Martin Füchtenbusch, Internist, Endokrinologe und Diabetologe, München

Einige Patienten, wie auch Wolfgang Müsel, leiden unter dem diabetischen Fußsyndrom: Es kann zu Geschwüren und Durchblutungsstörungen kommen. Deshalb ist gute Fußpflege wichtig. Er darf nicht barfuß laufen, um sich nicht zu verletzen. Jede kleine Stelle kann bei ihm dramatische Folgen haben. Im schlimmsten Fall kann eine Amputation drohen. Regelmäßig werden seine Füße auf Nervenschädigungen untersucht.

Moderner Behandlungsansatz bei Diabtes mellitus Typ 2

Die meisten Diabetiker werden von ihren Hausärzten betreut. Bei einigen Patienten reichen eine Ernährungsumstellung und mehr Bewegung.  Die meisten brauchen aber Medikamente. Im Fokus steht heute eine personalisierte, moderne Therapie.

"Heute wissen wir, dass es nicht DEN Diabetes-Typ-2 gibt, sondern tatsächlich unterschiedliche Subtypen. Das ist wichtig, die zu kennen, weil wir danach die Therapie ausrichten. Wir schauen zum Beispiel auf das Alter, das Geschlecht, einen hohen Blutdruck, Fett im Bauch vor allen Dingen und starkes Übergewicht. All das spielt dann bei der Auswahl der Behandlung eine Rolle."

Priv.-Doz. Dr. med. Martin Füchtenbusch, Internist - Endokrinologe und Diabetologe, München

Leben mit Diabetes                                   

Der Alltag von Wolfang Müsel will gut geplant sein. Feste Mahlzeiten, Medikamente vorbereiten und immer dabei haben und natürlich messen: und zwar vor jeder Mahlzeit. Ein Sensor erfasst den Zucker im Unterhautfettgewebe und leitet ihn an eine App. Die Daten kann er direkt an seinen Arzt übertragen, das macht die Auswertung einfacher als früher.
Der 69-Jährige muss viele verschieden Medikamente am Tag nehmen, um seine Zucker-Werte zu normalisieren, etwa das Basis-Mittel Metformin. Das hemmt die Freisetzung von Zucker aus der Leber.                                            

"Zusätzlich nimmt unser Patient einen sog. SGLT2-Inhibitor ein, der über eine vermehrte Ausscheidung von Zucker über die Nieren zu einer Absenkung  des Zuckers führt und zusätzlich die Nierenfunktion als auch das Herz schützt."

Priv.-Doz. Dr. med. Martin Füchtenbusch, Internist, Endokrinologe und Diabetologe, München

Trotzdem braucht Wolfang Müsel zusätzlich Insulin. Drei Mal täglich vor dem Essen, und einmal nachts ein lang wirksames.
Das Thema Ernährung spielt bei Diabetes natürlich eine wichtige Rolle: In der speziellen Schulung, die allen Patienten zusteht, lernen sie etwa, wie viel Kohlenhydrate für sie ideal sind, wie ein perfektes Mittagessen aussieht und was gegen Heißhunger hilft. Außerdem lernt man, bewusster und gesünder zu essen.

"Wir raten den Patienten viel Gemüse zu essen. Dass sie da sich daran satt essen. Vollkornprodukte sind natürlich den Weißmehlprodukten vorzuziehen und man sollte auch keine Säfte trinken, weil man da schnell viel Obst auf einmal in dieser kleinen Flasche hat.Außerdem ist wichtig, dass die Patienten auch schauen, dass sie nicht hungern und vor allen Dingen auch keine Crash-Diäten machen."

Luna Gerhardt, Diabetesberaterin DDG, München

Diabetes Prävention: neue Studie der Uni Tübingen

Ob und wie man Diabetes verhindern kann, wird an der Uniklinik Tübingen untersucht. Ein Forscherteam hat mit dem Institut für Diabetesforschung und Metabolische Erkrankungen vom Helmholtz Institut München Ende September eine neue Studie veröffentlicht:

"In Deutschland haben ungefähr zwei Millionen Menschen einen Prädiabetes, das ist eben so eine Vorstufe des Diabetes, wo man schon ein erhöhtes Risiko hat, auch Komplikationen wie zum Beispiel Herzinfarkte zu entwickeln. Die Studie hat sich deswegen damit beschäftigt, wie kann man denn so einen Prädiabetes rückgängig machen."

Prof. Dr. med. Andreas Birkenfeld, Ärztlicher Direktor, Innere Medizin IV, Universitätsklinikum Tübingen

Einer, der es geschafft hat, ist Albert Sessler. Er wiegt heute gut 20 Kilogramm weniger und hat keinen Prädiabetes mehr. Er ist zwar nicht geheilt, aber in Remission, wie es heißt. Für ihn ein Meilenstein. Der neue Lebensstil tut ihm gut, er fühlt sich fitter denn je.

"Früher war es ganz anders: schnell essen, was gerade zur Verfügung stand, am liebsten dann natürlich auch den berühmten Leberkäs-Weck. Heute bewusstes Essen, andere Lebensmittelqualitäten, nicht zu spät essen. Früher bin in rein ins Auto, dann aufs Sofa. Heute bewege ich mich jeden Tag rund 12 Kilometer – mit meiner Frau, die unterstützt mich da sehr."

Albert Sessler

In der Studie wurden die Teilnehmer berücksichtigt, die durch eine sogenannte Lebensstil-Intervention mindestens fünf Prozent ihres Körpergewichtes verloren haben. Und zwar durch eine bewusste, pflanzenbasierte, ausgewogene Ernährung - und durch regelmäßige Bewegung.

Das Erstaunliche: Obwohl alle erfolgreich abgenommen haben, konnten nur rund 40% wieder normale Zuckerwerte erreichen. Von einer Remission bei Prädiabetes ist der Studie zufolge auszugehen, wenn der Nüchternblutzucker unter 100mg/dl, die 2-Stunden-Glukose unter 140mg und der HbA1c-Wert unter 5,7 Prozent sinkt. Die Ursache für den Erfolg einiger Teilnehmer scheint im Körperinneren zu liegen – und zwar im Bauch.

"Wir konnten zeigen, dass bei den Menschen, die den Prädiabetes losgeworden sind, das viszerale Bauchfett deutlich abgenommen hat; also das Fettdepot, das allgemein als gefährlich gilt. Das hat sicherlich eine positive Wirkung auf das Insulin gehabt, also das blutzuckersenkende Hormon und wie das Insulin im Körper wirkt."

Prof. Dr. med. Reiner Jumpertz-von Schwarzenberg, Innere Medizin IV, Universitätsklinikum, Tübingen

Die Teilnehmenden, die in Remission gingen, hatten zudem weniger Entzündungsproteine im Blut. Der Schüssel ist also das viszerale Bauchfett! Als Faustregel gilt: Männer sollten rund sieben, Frauen vier Zentimerter Umfang verlieren, um einen positiven Effekt zu haben.

Denjenigen, die es nicht geschafft haben, raten die Forscher, mit der Lebensstil-Intervention weiterzumachen, bis es quasi  „an die Reserven“ geht und sie viszerales Bauchfett verlieren. Denn generell gilt: Je mehr man am Bauch abnimmt, desto größer ist die Chance auf normale Blutwerte. Weil es für Prädiabetes kein Medikament gibt, ist die Remission als Therapieziel umso wichtiger.

"Man kann, glaub ich, nicht früh genug beginnen, und man muss den Prädiabetes viel ernster nehmen als man das heutzutage tut. Wenn man den Diabetes-Typ-2 erst einmal entwickelt hat, dann ist das Kind im Grunde genommen in den Brunnen gefallen und man kann das sehr schwer rückgängig machen. Im Prädiabetes ist das viel einfacher und auch viel nachhaltiger."

Prof. Dr. med. Andreas Birkenfeld, Ärztlicher Direktor, Innere Medizin IV, Universitätsklinikum Tübingen

Die Studie zeigt, auch nach zwei Jahren hatten diejenigen, die in Remission waren, ein um 73% niedrigeres Risiko, an Diabetes zu erkranken.


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