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Deutsches Herzzentrum München 50 Jahre Spitzenmedizin fürs Herz

Von: Bernd Thomas

Stand: 25.06.2024

Heute kaum vorstellbar: Mindestens 100 Herzpatienten sterben in Bayern Ende der 1960er Jahre, weil zu wenige Herz-OPs möglich sind. Um das zu ändern, wurde vor genau 50 Jahren die erste Ein-Organ-Klinik Europas eröffnet, das Deutsche Herzzentrum München. Was macht den Erfolg des Zentrums aus, das heute zu den führenden Herzkliniken Europas zählt?

50 Jahre Deutsches Herzzentrum München | Bild: BR

Zahlen, die beeindrucken

Pro Jahr finden in den vier Kliniken des Deutschen Herzzentrum München mehr als 3.100 Herzoperationen bei Erwachsenen und Kindern, 5.000 kardiologische Interventionen und achthundert Katheteruntersuchungen bei Kindern statt. Um die 1.000 Herzschrittmacher und Defibrillatoren werden implantiert und rund 2.100 Menschen mit Herzrhythmusstörungen behandelt, zudem knapp 20.000 Erwachsene und Kinder in den Ambulanzen. Untersützt wird die Arbeit durch drei Institute.

Spitzenmedizin für Herzpatienten

50 Jahre Deutsches Herzzentrum München: Spitzenmedizin für Herzpatienten

Neuartige Klinik: für ein Organ

50 Jahre Deutsches Herzzentrum München | Bild: BR

"Das Deutsche Herzzentrum ist eine der ersten Ein-Organ-Kliniken gewesen, die überhaupt gegründet worden sind mit der Idee, für ein Organ alles unter einem Dach zu haben. Das macht uns sehr, sehr effizient."

Prof. Dr. med. Markus Krane, Direktor der Klinik für Herz- und Gefäßchirurgie, Deutsches Herzzentrum München

Vor 50 Jahren: bedrohliche Situation

Deutsches Herzzentrum München: Neues Herzzentrum im Aufbau

Zu Beginn: Arbeiten rund um die Uhr

50 Jahre Deutsches Herzzentrum München | Bild: BR

"Mein Vorgänger in der Anästhesie, der 1974 begonnen hat, hatte eine stellvertretende Oberärztin bei sich, aber die waren die einzigen am Anfang. Jede Woche war ein anderer praktisch permanent hier im Dienst. Inzwischen sind wir 20 Anästhesisten."

Prof. Dr. med. Peter Tassani-Prell, Direktor des Instituts für Anästhesie, Deutsches Herzzentrum München

Herzzentrum mit internationalem Ruf

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Mit knapp 300 Mitarbeitern begann damals die Arbeit, heute sind es 1.400. Das Zentrum bietet alle Diagnose- und Therapieangebote auf international neuestem Stand, mit Ausnahme von Herztransplantationen. Die erfordern eine andere Infrastruktur. Mit 197 Betten ist das Deutsche Herzzentrum München eher klein. Das ist kein Nachteil, im Gegenteil: Schon immer arbeiten Herzchirurgen und Kardiologen intensiv zusammen. Das ermöglicht viele Innovationen.

Herzchirurgie: vermehrt minimalinvasiv

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Im Neubau, der 1996 fertiggestellt wurde, wird in fünf Sälen täglich mindestens zweimal operiert, meist mit Einsatz der Herz-Lungen-Maschine, aber vermehrt minimalinvasiv: Selbst Bypass-Operationen sind möglich, ohne den Brustkorb zu eröffnen. Über 500 Tavi-OPs, Transkatheter Aortenklappenimplantationen, werden pro Jahr durchgeführt. Die schonende, minimalinvasive und inzwischen weit verbreitete OP- Technik wurde hier mitentwickelt und schon ab 2007 als einem der ersten Häuser etabliert.
Auch die noch junge Ozaki-Technik, bei der Herzklappen aus Teilen des patienteneigenen Herzbeutels direkt im OP hergestellt und eingesetzt werden, bietet das Zentrum jüngeren Patienten unter 50 Jahren an. Vorteile, die in einer Langzeitstudie untersucht werden, sind Langlebigkeit und keine Abstoßreaktionen.  
Eine Besonderheit der Anästhesie aus der Anfangszeit, die damals aus China übernommen wurde: Bis heute wird Akupunktur - wenn möglich - als Ergänzung zur Narkose eingesetzt. Auf Opiate kann so auch bei großen Eingriffen oft verzichtet werden. Inzwischen wurde diese Praxis auch in mehreren Studien untersucht.

Herzchirurgie bei Kindern

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Mehr als 550 Kinder werden pro Jahr operiert, 200 davon als Neugeborene. Vor 50 Jahren gab es weder das Fachgebiet der Kinderherzchirurgie noch viele OP-Techniken. Prof. Rüdiger Lange, von 1999 bis 2023 Direktor der Klinik für Herz- und Gefäßchirurgie und lange selbst als Kinderherzchirurg tätig, hatte die Anfänge als junger Arzt selbst miterlebt. Da es keine Herz-Lungen- Maschine für Kinder gab, musste deren Körpertemperatur in einem Eisbad heruntergekühlt werden, bevor die OP dann rasch - in nicht einmal einer Stunde - durchgeführt wurde. Anschließend wurden die kleinen Patienten langsam wieder erwärmt. Ein Verfahren mit erheblichen Risiken.  
Heute werden jährlich rund 400 Kinder mit Herz-Lungen-Maschine operiert. Das Fachgebiet Kinderherzchirurgie wurde zu Beginn der neunziger Jahre eingeführt. Eine Besonderheit mit Modellcharakter: Das Team der Kinderherzchirurgen arbeitet inzwischen in zwei Kliniken - dem Deutschen Herzzentrum München und der Klinik der Universität München.   

OPerationen angeborener Herzfehler

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"Es gibt alleine über 240 angeborene Herzfehler. Heute sind wir in der Lage, praktisch alle angeborenen Herzfehler zu operieren, auch im Neugeborenenalter. Das war nicht immer so, früher ging das nicht einfach, aufgrund der Kleinheit der Strukturen. Da waren sehr viele Innovationen notwendig, damit das heute möglich ist."

Prof. Dr. med. Jürgen Hörer, Direktor der Klinik für Chirurgie angeborener Herzfehler und Kinderherzchirurgie, Deutsches Herzzentrum München

Notdienst für Neugeborene

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Bisher über 20.000 Not-Einsätze des Deutschen Herzzentrums und der Berufsfeuerwehr München gab es seit 1978 in "fahrenden Intensivstationen".  

Kinderkardiologie: weniger OPs, mehr Interventionen

50 Jahre Deutsches Herzzentrum München | Bild: BR

Hochauflösende 3D-Aufnahmen ermöglichen auch die Planung kardiologischer Interventionen bei Kindern, beispielsweise um „Löcher“ in der Scheidewand der Vorhöfe zu verschließen. Früher mussten die mit Herz-Lungen-Maschine operiert werden. Inzwischen werden solche minimalinvasiven Katheter-Eingriffe ambulant durchgeführt. Die jungen Patienten können nachmittags schon wieder nach Hause.
Als weltweit einziges Zentrum setzt die Klinik für Kinderkardiologie und angeborene Herzfehler auch eine selbst entwickelte Technik ein, mit der sogar frühgeborene Kinder ab einem Gewicht von gerade einmal 700 Gramm mit Katheterinterventionen direkt vor Ort im Inkubator behandelt werden können. Die Herzspezialisten kommen dazu mit Equipment in die jeweilige Geburtsklinik.

Therapien bei angeborenen Herzfehlern

50 Jahre Deutsches Herzzentrum München | Bild: BR

"Katheterinterventionen im Kindesalter gehören meiner Meinung nach mit zum Faszinierendsten, was es in der Kardiologie gibt. Die Kinder haben ja angeborene Herzfehler und die sind sehr selten. Sie sind immer wieder komplex und unterschiedlich. Man muss sich für jedes Kind eine individuelle Strategie überlegen. Außerdem geht es dabei nicht um Therapien nur für drei oder fünf Jahre, sondern man muss das ganze Leben des Kindes quasi mitdenken. Das heißt, man muss sich fragen, was machen wir jetzt? Muss man später im Leben des Kindes noch etwas machen? Wir haben heute sehr viele Möglichkeiten, und wir können vielen Kindern wirklich helfen."

Prof. Dr. Peter Ewert, Direktor der Klinik für angeborene Herzfehler und Kinderkardiologie, Deutsches Herzzentrum München

Bildgebung und Labor Voraussetzung für Therapien

Ohne Bildgebung sind Diagnosen und Therapien heute undenkbar. An der Entwicklung der Myokardszintigrafie und des Herz CT-Scanners war das Zentrum maßgeblich beteiligt. Beide Untersuchungen ermöglichen die nichtinvasive Abklärung chronischer Durchblutungsstörungen am Herzen, erklärt Prof. Martin Hadamitzky, Direktor des Instituts für Radiologie und Nuklearmedizin. Das Herz CT spielt zusätzlich eine herausragende Rolle bei der Planung interventioneller Eingriffe, um Herzklappen zu ersetzen. Es liefert eine millimetergenaue Darstellung der Anatomie und ist für die Planung vieler Eingriffe heute Goldstandard.

Grundlage vieler Therapieentscheidungen sind die rund eine Million Blutanalysen des Routinelabors. Es ist neben einem Forschungslabor und speziellen Biobanken, in denen ausgewählte Gewebeproben gesammelt und gelagert werden, das Herzstück des Instituts für Laboratoriumsmedizin. Auch kleinste Protein-Marker werden dabei bestimmt. Wichtig, um einen Herzinfarkt frühzeitig zu entdecken, erklärt Prof. Stefan Holdenrieder und liefert gleich einen beeindruckenden Vergleich: Die Messungen sind so genau, dass sie einen Zuckerwürfel in einem Stausee aufspüren könnten.

Stents und Ablationen gegen Herzinfarkt und Herzrhythmusstörungen

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In den 1990er Jahren begann der Siegeszug der Stents. Rund 5.000 Interventionen pro Jahr werden in vier Sälen durchgeführt. Ein weiterer, inzwischen großer und wichtiger Behandlungsschwerpunkt sind Herzrhythmusstörungen. Die Technik der Elektrophysiologie entwickelt sich rasant weiter. Unterstützt durch 3D-Mapping und KI liegen die Erfolgsquoten bei der Therapie des Vorhofflimmerns, der häufigsten Behandlung, heute bei rund 80 Prozent. Das Deutsche Herzzentrum zählt mit rund 2.100 Katheterablationen zu den drei größten Zentren Europas.

Aus der Forschung in die Klinik

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"Das Tolle im Herzzentrum ist, dass wir direkt alles, was neueste Erkenntnisse der Forschung sind, auch direkt in der Patientenbehandlung einsetzen können."

Prof. Dr. med. Isabel Deisenhofer, Klinik für Herz- und Kreislauferkrankungen, Deutsches Herzzentrum München

Internationale Grundlagenforschung

Wie jedes universitäre Zentrum betreiben auch die Klinken des Zentrums Grundlagenforschung. Viele international vernetzte Projekte werden federführend im Deutschen Herzzentrum koordiniert. Ein aktuelles Thema, das in naher Zukunft als Ergebnis der VRONI Studie wahrscheinlich zu einem bundesweiten Screening bei Kindern führen wird, ist die Früherkennung des genetisch bedingten Herzinfarktrisikos.

Früherkennung von Herzinfarktrisiken

50 Jahre Deutsches Herzzentrum München | Bild: Deutsches Herzzentrum München

"Wir haben neue Faktoren identifiziert, die eben auch das Herzinfarktrisiko nach oben treiben und neue Angriffspunkte für Medikamente liefern. Außerdem können wir bei Menschen, die eine sehr starke genetische Veranlagung haben, schon frühzeitig eingreifen und damit das Risiko für den Herzinfarkt senken."

Prof. Dr. med. Heribert Schunkert, Direktor der Klinik für Herz- und Kreislauferkrankungen, Deutsches Herzzentrum München

Herausforderung alternde Gesellschaft 

Die Erfolge der letzten Jahrzehnte sind beeindruckend: Innerhalb der letzten 50 Jahre ist die Sterblichkeit bei akutem Herzinfarkt von rund 40 auf heute zwei bis drei Prozent gesunken. Über 90 Prozent der Neugeborenen mit angeborenen Herzfehlern werden heute erwachsen, haben oft eine gute Lebensqualität, erlernen einen Beruf und gründen Familien.
Die Spezialisierung in der Herzmedizin schreitet unterdessen weiter voran, nicht zuletzt, weil es vermehrt Techniken und Eingriffe gibt, bei denen sich die Felder der Herzchirurgie und Kardiologie überschneiden. So rechnet Prof. Dr. Markus Krane, Direktor der Klinik für Herz- und Gefäßchirurgie damit, dass es in Zukunft ein eigenes Fachgebiet für interventionelle Klappentherapie geben wird. Die Nachfrage nach solchen Eingriffen steigt, denn eine der großen Herausforderungen - auch für die Herzmedizin insgesamt - ist die alternde Gesellschaft.

Herz-OPs und demografischer Wandel

50 Jahre Deutsches Herzzentrum München | Bild: BR

"Das, was man vor 30 Jahren angekündigt hat, ist heute Realität. Wir haben inzwischen viele Patienten, die über 80 Jahre alt sind. Aber die Sicherheit leidet darunter nicht, weil sich die Verfahren extrem gut adaptiert haben. Heute versuchen wir, minimalinvasiv und körperschonender zu operieren, katheterbasierte Verfahren vermehrt einzusetzen, dort, wo es sinnvoll ist. Dadurch können wir heute auch kränkere Menschen operieren. Die Zahl der Patienten wird in Zukunft weiter zunehmen. Schon heute könnten wir, wenn wir mehr Infrastruktur zur Verfügung hätten, leicht die doppelte Zahl an Patienten operieren."

Prof. Dr. med. Markus Krane, Direktor der Klinik für Herz- und Gefäßchirurgie, Deutsches Herzzentrum München

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