Chip im Gehirn Hoffnung für Querschnittsgelähmte?
„Computerchip in ein menschliches Gehirn implantiert“: In der Medizin wird das Potential solcher Anwendungen bereits seit Jahren erforscht, vor allem mit dem Ziel, Querschnittsgelähmten wieder zu Bewegung zu verhelfen. Der Niederländer Gert-Jan O. kann seine gelähmten Beine tatsächlich schon dank Gehirn-Chip steuern. Guido S. hingegen kann seine gelähmte Hand mit einem Exoskelett bewegen.
Eine Roboterhand, die eine gelähmte Hand bewegt – durch Gedankenkraft: Mit dieser Technik kann Guido S. wieder greifen. Seit einer Gehirnoperation ist seine linke Hand gelähmt.:
"Zu der Zeit hatte ich null Kontrolle über meine Hand. Und dann habe ich versucht, die Hand zu schließen und auf einmal ging es los, dass die sich bewegt hat. Das waren so viele Glückshormone, das war Wahnsinn."
Guido S.
Gehirn-Computer-Schnittstellen in der Medizin
Solche Techniken erforscht Surjo Soekadar. Er ist Psychiater und Neurotechnologe, Spezialist für die Kommunikation zwischen Gehirnen und Computern.
"Gehirn-Computer-Schnittstellen wurden schon vor über 50 Jahren konzipiert, aber erst seit den 90er Jahren wirklich so auch in der Klinik erforscht. Und jetzt sind wir so weit, dass wir diese Gehirn-Computer-Schnittstellen auch am Patienten für konkrete klinische Anwendungen einsetzen können."
Prof. Surjo Soekadar, Psychiater und Neurotechnologe, Charité Berlin
Einen großen Schritt auf diesem Weg verkündete Anfang des Jahres der amerikanische Unternehmer Elon Musk. Seine Firma Neuralink hatte einem Menschen einen neu entwickelten elektronischen Chip ins Gehirn implantiert. Er soll mit seinen Gedanken künftig Smartphones und andere Geräte bedienen, und sogar Gliedmaßen bewegen können. Musks Ziele sind hoch gesteckt.
"Es ist geplant, über 20.000 Patienten im Jahr 2030 zu implantieren. Und das war natürlich nie Gegenstand der akademischen Forschung. Sondern da ging es darum, bei einzelnen Patienten zu zeigen, was möglich ist."
Prof. Surjo Soekadar, Psychiater und Neurotechnologe, Charité Berlin
Forschung gegen Lähmungen
Wie zum Beispiel bei Lähmungen. Denn Gehirn-Computer-Schnittstellen können auch den Bewegungsapparat ansteuern.
Wenn das Rückenmark verletzt und die Verbindung zwischen Gehirn und Muskeln unterbrochen ist, geht gar nichts mehr. Bisher ist die Medizin dagegen noch weitgehend machtlos. Der Neurologe Volker Hömberg hat jahrzehntelang daran geforscht, gelähmten Menschen zu helfen.
"Das ist natürlich wünschenswert, die Lähmung grundsätzlich zurückzudrängen und so, dass der Patient, sich wieder normal bewegen kann. Das ist ein uralter Traum der neurologischen Rehabilitation. Wir arbeiten in vieler Hinsicht dran, aber es ist schwierig."
Prof. Volker Hömberg, Neurologe, Weltverband für Neurorehabilitation
Elektronische Chips im Gehirn
Erste Ansätze dafür gibt es bereits. In Zukunft geht es womöglich mit Hilfe elektronischer Chips direkt im Gehirn. Bei einem querschnittgelähmten Mann haben Schweizer Mediziner das im letzten Jahr erstmals in Europa gemacht. Der Niederländer Gert-Jan Oskam hat zwei Chips unter seiner Schädeldecke. Sie senden Signale über den Querschnitt hinweg an einen weiteren Chip, der an seinem Rückenmark liegt. Von dort gelangen die Bewegungsimpulse in seine Beine.
So kann er sie mit Gedankenkraft zumindest wieder etwas bewegen. Volker Hömberg ist Präsident des Weltverbandes für Neurorehabilitation. Für ihn ist dieser Einzelfall ein Meilenstein.
"Das ist ein gigantischer Fortschritt, weil man die Rückenmarkssteuerung mit den komplett implantierten Systemen hat. Keine Kabel außen mehr, muss nichts anziehen. Aber es hat natürlich Risiken wie Infektionen oder Blutungen durch die Implantation. Das ist sicherlich noch eine Sache, die 15 Jahre brauchen wird, bevor sie dann nutzbar ist."
Prof. Volker Hömberg, Neurologe, Weltverband für Neurorehabilitation
Exoskelette: Gelähmte Körperteile wieder bewegen
Ohne Chip im Hirn funktionieren Exoskelette. Sie schienen gelähmte Gliedmaßen und bewegen sie von außen mit Motoren.
"Die einfachste Möglichkeit ist, dass diese Exoskelette auf Knopfdruck funktionieren. Der viel wichtigere Schritt ist dann natürlich hinzugehen und die Prothese über die Hirnaktivität, also über die Gedanken, zu steuern."
Prof. Volker Hömberg, Neurologe, Weltverband für Neurorehabilitation
Jetzt schon lassen sich über Gehirnsignale verlorengegangene Funktionen des Bewegungsapparats wieder erlernen.Die Technik lernt, welche Gehirn-Wellen welche Bewegungen steuern. Surjo Soekadar misst die Impulse durch die Schädeldecke und leitet sie weiter. Sie bewegen dann über das Exoskelett die Hand von Guido S.. Dadurch entstehen in seinem Gehirn neue Verknüpfungen.
"Nachdem wir das das erste Mal gemacht haben, hat mein Gehirn schon nach einer halben Stunde gemerkt, da kann man so ein bisschen bewegen. Die ersten Ansätze waren da. Das war faszinierend."
Guido S.
Technologie noch nicht im Alltag eingesetzt
In der gelähmten Hand ist wieder etwas Bewegung. Dass es funktioniert, Gehirn-Computer-Schnittstellen für die Rehabilitation zu nutzen, ist schon erwiesen. Noch wird es aber nicht angewendet.
"So ein Training ist aktuell für diese Patienten, die keine Fingerbewegung mehr haben nach dem Schlaganfall die einzige und beste Therapie, die es gibt. Aber sie wird in der Klinik nicht eingesetzt, weil es nicht zertifiziert ist, weil das Personal nicht geschult ist. Und das ist unser Ziel, dass diese Technologie jetzt auch bei den Patienten eingesetzt werden kann."
Prof. Surjo Soekadar, Psychiater und Neurotechnologe, Charité Berlin
Gehirnwellen entschlüsseln und damit Computer ansteuern oder gelähmte Gliedmaßen bewegen – das ist jetzt schon keine Zukunft mehr.