Prämenstruelle Dysphorische Störung (PMDS) Zyklusstörungen: Depressionen vor den Tagen
PMS, das prämenstruelle Symptom, ist weitgehend bekannt. Aber PMDS? Kennen nur wenige. Die betroffenen Frauen haben in der zweiten Zyklushälfte, zwischen Eisprung und Periode, mit psychischen Problemen zu kämpfen: Ängste, Depressionen, Wesensveränderungen. Doch da die Krankheit so wenig bekannt ist, dauert es oft lange, bis den Patientinnen wirklich geholfen wird.
Das Leben von Lisa Baumgarte war lange Zeit in zwei Hälften geteilt. Die gute, normale Zeit vor dem Eisprung. Und die schlechte, zwischen Eisprung und Periode. Die 31-Jährige leidet unter PMDS. Der Prämenstruellen Dysphorischen Störung. Los ging es nach der Geburt ihres Sohnes.
"Besonders schlimme Momente waren zum Beispiel, wenn ich gemerkt habe, dass ich gar nicht mehr richtig fühlen kann. Etwa, wenn mein Sohn irgendwas Tolles gemacht hat – da fehlte mir die Freude darüber. Ich bin immer in ein depressives Loch gefallen. War sehr reizbar, ängstlich, verzweifelt und müde. Eigentlich alles, was man sich vorstellen kann, wenn man so eine richtige Depression hat. Ich habe mich oft gefragt: Wer bin ich eigentlich. Und dann, wenn die zweite Zyklushälfte vorbei ist und die Periode kommt, geht es langsam wieder aufwärts."
Lisa-Marie Baumgarte, bekam vor 1,5 Jahren die Diagnose PMDS
Bei Dani Wolf fingen die Symptome nach dem Absetzen der Pille an. In der PMDS-Phase fühlt sie sich oft wie ein anderer Mensch.
"Ich bin eigentlich sehr harmoniebedürftig und relativ leise. In dieser Phase bin ich impulsiv, werde schnell wütend, unkonzentriert. Kleinigkeiten, ein kleines Geräusch oder irgendetwas, das nicht so funktioniert, wie ich mir das vorstelle, machen ein riesiges Fass auf. Alles Dinge, die mich sonst überhaupt nicht aus der Ruhe bringen würden. Man steht neben sich, sieht sich reagieren und hat keinen Einfluss darauf. Das ist das Extremste an dieser Erkrankung: Dass man sich selbst nicht mehr spüren kann und die Reaktion nicht beeinflussen kann."
Dani Wolf, bei ihr fingen die Symptome nach dem Absetzen der Pille an
PMS und PMDS
Etwa drei Viertel der Frauen spüren ihren Zyklus mehr oder weniger stark. PMS, das prämenstruelle Syndrom, ist weitgehend bekannt. Etwa 25 Prozent aller Menstruierenden haben es – mit überwiegend körperlichen Symptomen wie Kopf- und Rückenschmerzen, Wasseransammlungen, einem Spannen in der Brust, Schlafproblemen und Stimmungsschwankungen. Der Übergang zur weniger bekannten Krankheit PMDS ist fließend. Die sogennante Prämenstruelle Dysphorische Störung gilt als die schwerste Form von PMS. Bis zu acht Prozent aller Frauen sind betroffen. Typisch sind Depressionen, Angstzustände, Anspannung und Wesensveränderungen.
Da PMDS bislang wenig bekannt ist, dauert es oft Jahre, bis eine Diagnose gestellt wird. Wie bei Lisa Baumgarte.
"Ich hab gewusst, dass irgendetwas nicht stimmt. Bin aber nie richtig ernst genommen worden. Dann ist mir gesagt worden, dass ich einfach depressiv bin. Und irgendwann hab ich an mir selber gezweifelt."
Lisa-Marie Baumgarte, Patientin
Erst ihre jetzige Gynäkologin Kirstin Golombeck-Banse konnte ihr helfen. Seitdem Lisa-Marie Baumgarte auf eine Kombination aus Medikamenten und Lebensstiländerung setzt, hat sie keine schlimme Phase mehr gehabt. Doch bis dahin war es ein langer Weg. Der erste wichtige Schritt ist die Diagnose. Dabei gilt es, andere Probleme auszuschließen. Etwa ein Zuviel an männlichen Hormonen oder eine Schilddrüsenerkrankung.
"Sehr viele Frauen haben auch Veränderungen der Schilddrüsenstoffwechsellage und häufig geht mit einer veränderten Schilddrüsenstoffwechsellage auch Müdigkeit, auch depressive Verstimmungen einher.
Und das muss man ganz klar voneinander trennen."
Dr. med. Kirstin Golombeck-Banse, Fachärztin für Frauenheilkunde, Geburtshilfe und gynäkologische Endokrinologie, Kiel
Normale hormonelle Schwankungen werden zum Problem
Die Gynäkologin Anneliese Schwenkhagen ist auf PMDS spezialisiert. Gemeinsam mit anderen Expertinnen hat sie ein detailliertes Buch dazu geschrieben. Bei der Krankheit werden komplett normale Hormon-Schwankungen im Zyklus zum Problem:
"Der Eierstock funktioniert normal. Es gibt hormonelle Schwankungen. Und in Folge dieser hormonellen Schwankungen reagiert das Stimmungssystem dieser Frauen nicht so, wie bei gesunden Frauen."
Dr. med. Anneliese Schwenkhagen Fachärztin für Frauenheilkunde und gynäkologische Endokrinologie, Hamburg
Über eine Blutuntersuchung allein lässt sich keine Diagnose stellen. Ein Zyklustagebuch, das über mehrere Monate geführt wird, gibt ebenfalls Hinweise darauf, ob PMDS vorliegt, oder eine andere Krankheit. Wenn die Probleme immer erst in der zweiten Zyklushälfte, also nach dem Eisprung auftauchen, deutet das auf die Prämenstruelle Dysphorische Störung hin. Zeigen sich auch in anderen Zyklusphasen Symptome, trifft eher eine andere Diagnose zu.
Es gibt zwei medikamentöse Wege, die zur Therapie eingesetzt werden:
"Das eine ist: Ich unterdrücke die Eierstocksfunktion, ich unterdrücke den Eisprung. Mit der Pille zum Beispiel.
Der zweite Weg ist: Ich beruhige das Stimmungssystem.
Zum Beispiel mit einem Antidepressivum.
Eingesetzt werden da bevorzugte selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer."
Dr. med. Anneliese Schwenkhagen Fachärztin für Frauenheilkunde und gynäkologische Endokrinologie, Hamburg
Die Forschung zum PMDS läuft
Doch was sind die Ursachen für die psychischen Veränderungen? Am Max-Planck-Institut erforscht die Professorin Julia Sacher, was im Gehirn von PMDS-Patientinnen während der Symptom-Phase passiert. Ergebnis: Der sogenannte Serotonin-Transporter im Gehirn verändert während des Zyklus seine Dichte.
"Serotonin, das Glückshormon, ist ein wichtiger Botenstoff im Gehirn. Der Serotonintransporter ist dafür da, das Serotonin zurück zu pumpen. Wenn besonders viel von diesem Transporter zur Verfügung steht, wird besonders viel Serotonin zurück gepumpt. Dann ist weniger vom Botenstoff für die Signalübertragung verfügbar. Das kann zu depressiven Verstimmungen führen."
Prof. Dr. med. Julia Sacher, Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften, Leipzig
Die Pille oder Antidepressiva durchgehend einzunehmen – damit fühlen sich viele Betroffene unwohl. Auch wegen der Nebenwirkungen. Ziel der Max-Planck-Studie daher: Den Behandlungszeitraum bei den Antidepressiva auf die schlimmsten PMDS-Tage einzugrenzen. Denn wenn die Betroffenen die Medikamente etwa nur an drei oder fünf Tagen einnehmen müssten, würde das zu einer deutlichen Entlastung führen. Gerade in der reproduktiven Phase des Lebens, so Professorin Sacher.
An erster Stelle steht die Diagnose
Seit Januar 2022 steht PMDS als offizielle gynäkologische Diagnose im Katalog der Weltgesundheitsorganisation. In der vorläufigen deutschen Entwurfsfassung heißt es dort:
"Die Symptome sind schwerwiegend genug, um signifikanten Stress oder signifikante Beeinträchtigungen in persönlichen, familiären, sozialen, schulischen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen zu verursachen und stellen nicht die Exazerbation einer psychischen Störung dar."
Auszug aus dem Katalog der Weltgesundheitsorganisation
Psychiater Cornelius Schüle sieht das positiv. Denn bisher wurde die Krankheit oft nicht ernst genommen.
"Wenn man die Menschen sieht, die einen sehr hohen Leidensdruck haben und einfach eine Dysfunktionalität privat und beruflich – die brauchen auch Hilfe. Und für diese Patientinnen, für diese kleinere Gruppe ist es wichtig, dass die Diagnose auch wirklich gestellt wird und auch wirklich Kriterien etabliert werden."
Dr. med. Cornelius Schüle, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, LMU Klinikum München
Neben Medikamenten spielen auch Verhaltenstherapie, Entspannungsübungen, eine gesunde Ernährung und Sport eine Rolle beim Umgang mit der Krankheit. Und Techniken zur Bewältigung von Stress und zum Umgang mit Stresssituationen. Wichtig, so Dr. Schüle, sei auch, dass die Betroffenen ihre Krankheit und die Vorgänge im Körper annehmen und akzeptieren. Damit nicht jeden Monat wieder die Angst vor dem Eisprung den Alltag überschatte.
Jede muss für sich eine individuelle Lösung finden
Auch Dani Wolf hat für sich Methoden gefunden, um mit der Krankheit und den Symptomen klar zu kommen: Sie treibt Sport, trinkt kaum Alkohol, hat ihre Ernährung umgestellt, ein Buch geschrieben, eine Selbsthilfegruppe und einen Verein gegründet.
"Weil wir viel mehr Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit brauchen. Und wir würden gerne juristisch agieren. Also auch mit Krankenkasse sprechen, mit Ärzten ins Gespräch kommen. Und auch Veranstaltungen organisieren, wo sich Betroffene treffen können. Je mehr man über die eigene Erkrankung weiß, desto besser. Denn Wissen ist Macht."
Dani Wolf, Patientin
Es ist noch viel Wissen und Aufklärung über die Prämenstruelle Dysphorische Störung nötig. Damit Betroffenen schneller geholfen werden kann.