Radfahrer-Lähmung Radfahrlähmung: Plötzlich taube Finger
Wenn beim Radeln plötzlich der kleine und der Ringfinger taub werden, spricht man von der Radfahrerlähmung. Eine Kältetherapie kann sinnvoll sein, eine OP eher nicht. Außerdem empfehlenwert: ein Besuch im Radlabor.
Monika und Rainer Wingender sind leidenschaftliche Radfahrer. Ihr Plan: von Wien nach Belgrad zu radeln. Doch schon nach zwei Tagen geht bei Rainer nichts mehr.
"Los gegangen ist es mit dem kleinen Finger in der rechten Hand. Der hat erst angefangen zu kribbeln und ist dann ein wenig taub geworden. Das ist innerhalb von zwei Tagen auf Radreise auf den Ringfinger gegangen. Und am dritten Tag habe ich die Hand fast nicht mehr benutzen können."
Rainer Wingender, Betroffener der Radfahrerlähmung
Kribbeln und Taubheitsgefühl in der Hand
Dr. Bernhard Rozée ist Handchirurg an der Hessing Klinik in Augsburg. Immer wieder kommen Patienten – vor allem Radfahrer – mit ähnlichen Symptomen zu ihm.
"Aufgrund des Festhaltens am Lenker werden die Hände in bestimmten Bereichen komprimiert und dann kann es dazu kommen, dass Nervenbahnen komprimiert und dadurch auch geschädigt werden. Lähmung trifft es vielleicht nicht ganz, da kommt es eher zu Gefühlsstörrungen, speziell am Ring- und Kleinfinger. Das hat aber den Namen Radfahrerlähmung bekommen, weil es im schlimmsten Fall zu Lähmungen kommen kann."
Dr. med. Bernhard Rozée, Facharzt für Handchirurgie, Hessing-Kliniken Augsburg
Großer Druck auf den Ulnaris-Nerv
Im Handgelenk verläuft der Ulnaris-Nerv, der für das Gefühl im kleinen und im Ringfinger zuständig ist, durch die sogenannte Loge de Guyon. Dort ist es relativ eng, weil zwei Handwurzelknochen und einige Bänder aufeinandertreffen. Wird diese Stelle noch weiter verengt, etwa durch übermäßige Belastung wie beim Radfahren, wirkt großer Druck auf den Ulnaris-Nerv und die Weiterleitung der Impulse ist gestört.
Das Resultat: Kribbeln, Taubheitsgefühl und Lähmungserscheinungen in der Hand und in den Fingern. Man spricht vom Loge-de Guyoun-Syndrom. Weil dieser Nerv für die Gefühlsversorgung des kleinen und des Ringfingers verantwortlich ist, kommt es genau dort zu Kribbelerscheinungen, dem sogenannten Loge-de-Guyoun-Syndrom. Das kommt nicht nur bei Radfahrern vor, sondern zum Beispiel auch bei Schleifern, die ebenfalls viel Druck auf das Handgelenk ausüben.
"Das kann aber genauso von intern sein, dass da was reinwächst, klassisch ein Ganglion. Dabei tritt Flüssigkeit aus dem Gelenk in den Kanal ein, wie so eine Art Ballon, und verdrängt den Nerv an die Wand. Oder auch Tumore oder Brüche. Also alles, was den Kanal in seiner Weite verändert kann zur Kompression des Nervs führen."
Dr. med. Bernhard Rozée, Facharzt für Handchirurgie, Hessing-Kliniken Augsburg
Kältetherapie sinnvoll – OP eher selten
Operiert wird beim Loge-de-Guyoun-Syndrom nur in seltenen Fällen. Meist wird versucht, mit lokalen Schmerzmitteln oder Medikamenten zur Muskelentspannung den Druck auf den Nerv zu vermindern.
Auch eine Kältetherapie kann helfen. Dabei wird die geschädigte Stelle oberflächlich mit Kälte behandelt, zum Beispiel mit Sprays oder Eispackungen. Dadurch wird die Aktivität von Botenstoffen verringert, die die Entzündung in Gang halten. Zudem schüttet das Gehirn auf den Kälte-Reiz hin Endorphine aus, die den Schmerz lindern.
"Je nach Ausprägung, je nach Stärke des Syndroms muss man den Leuten tatsächlich sagen, dass es bis zu einem halben Jahr dauern kann, bis diese Pelzigkeit in den Fingern weggeht. Und so lange müssen sie dann auch Geduld haben, bis das Gefühl langsam wieder kommt."
Dr. Bernhard Rozée, Handchirurg, Hessing Klinik Augsburg
Hilfreich: Fahrrad optimal einstellen lassen im Radllabor
Bei Rainer Wingender dauerte es drei Monate, bis er seine Hand wieder benutzen konnte. Im Radlabor München hat er herausbekommen, wieso er sich den Nerv eingeklemmt hat und wie das optimale Fahrrad für ihn aussieht. Experten überprüfen die Sitzposition und schauen, ob Sattel und Lenker richtig eingestellt sind.
Auffällig ist, dass das Handgelenk stark abknickt, auch mal zur Seite wegknickt. Dadurch kann eine Überlastung im Handgelenk entstehen. Der Lenker ist sehr tief eingestellt, der Schulter-Winkel ist zu klein. Die Folge: sehr viel Last auf die Hände, was am Ende das Problem verstärkt.
Die Lösung für Rainer Wingender: Sein Griff wird ausgetauscht. Für ihn ist ein festverschraubter Lenker mit größerer Auflagefläche besser, damit die Hand nicht mehr abknicken kann und auch in die richtige Position rotiert wird. So ist das Handgelenk weniger belastet. Auch die Sitzposition wird verändert: Der Lenker wird dafür höher eingestellt. So sitzt Rainer Wingender komfortabler und aufrecht auf dem Rad. Jetzt ist das Handgelenk optimal gestreckt und der Nerv wird nicht mehr abgeknickt.