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Psychologie So gelingt die Abnabelung von den Eltern – auch im Erwachsenenalter

"Mir begegnen immer wieder Erwachsene, die noch nicht ausreichend von ihren Eltern abgelöst sind", berichtet Familientherapeutin Birgit Salewski aus ihrem Praxisalltag. Welche Probleme kann eine unzureichende Abnabelung mit sich bringen? Was für Ursachen können dahinterstecken? Und wie kann die Loslösung im fortgeschrittenen Alter gelingen? Birgit Salewski hat die Antworten und viele hilfreiche Tipps.

Stand: 27.02.2025

alte und junge Hand | Bild: BR/stock.adobe.com/zahar2000

Was sind Anzeichen dafür, dass Erwachsene sich nicht genügend von ihren Eltern abgenabelt haben?

Birgit Salewski: "Ein Anzeichen für eine unzureichende Abnabelung ist immer, wenn die Abhängigkeit von den eigenen Eltern der Eigenständigkeit und Entscheidungsfreiheit entgegensteht. Es gibt verschiedene Arten der Abhängigkeit:
Bei der emotionalen Abhängigkeit ist den Kindern das Urteil der Eltern noch über die Maßen wichtig. Konflikte mit den Eltern werden gescheut und damit die eigene Meinung oder die eigene Entwicklung zu Gunsten der Meinung der Eltern zurückgestellt. Eine übermäßige Loyalität zu den Eltern kann auch einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Verhalten der Eltern entgegenstehen.
Bei der finanziellen Abhängigkeit sind die Betroffenen noch sehr auf die materielle Unterstützung der Eltern angewiesen. Das bedeutet nicht, dass Eltern nicht großzügig sein dürfen. Die Frage ist vielmehr, ob die erwachsenen Kinder zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes auf die Eltern angewiesen sind und dies zum Beispiel zu unangenehmen Gefühlen führt. Nach dem Motto: "Ich schaffe es einfach nicht alleine."
Daneben gibt es Ebenen wie die fehlende Eigenständigkeit oder eine Verantwortungsübernahme."

Warum ist die Abnabelung von den Eltern wichtig?

Birgit Salewski: "Die Abnabelung von den Eltern beginnt bereits im Kindesalter, wenn Kinder anfangen, die Welt auf ihre Art zu entdecken, eigenen Interessen und Neigungen zu folgen und schließlich eigene Vorlieben und Bezugspersonen (zum Beispiel Freunde) für sich erkennen und zu wählen. Kinder bestehen darauf, Dinge selbst zu tun, was für ihre Entwicklung unabdingbar ist. Dabei lernen sie Selbstständigkeit und Verantwortungsübernahme. In der Jugend vollziehen die meisten einen weiteren großen Schritt hin in Richtung Eigenständigkeit. Hier geht es um den eigenen Freundeskreis, eigene Interessen und Hobbys, die Berufsorientierung und auch erste Erfahrungen mit Liebesbeziehungen. Diese Entwicklungsschritte sind wichtig, da junge Menschen so ihre Identität weiter ausbilden und wertvolle Kompetenzen erwerben, die sie zu mündigen jungen Erwachsenen machen."

Welche Probleme können Erwachsene bekommen, die sich nie richtig abgenabelt haben?

Birgit Salewski: "Menschen, die nicht richtig abgelöst sind, zeigen meiner Erfahrung nach häufig einen niedrigen Selbstwert, da sie oft überzeugt sind, es im Leben nicht ohne den Beistand und die Unterstützung der Eltern zu schaffen. Das bedeutet nicht, dass wir unsere Eltern nicht gerne in unserem Leben haben und auch als Unterstützer und Berater nutzen dürfen. Die Frage ist, ob es uns guttut. Es können sich Symptome zeigen wie Schwierigkeiten in der Lebensführung, keine oder unbefriedigende Partnerschaften, Lebenswege, die nicht die eigenen sind und insgesamt daraus resultierende Unzufriedenheit."

Welche Ursachen können dazu führen, dass die Abnabelung nicht gelingt?

Birgit Salewski: "Die Ursachen, warum eine Ablösung nicht ausreichend gelingt, sind vielfältig. Manchmal ist es notwendig, dass Eltern ihre Kinder sehr stark fördern und unterstützen, da manche Kinder Startschwierigkeiten ins Leben haben. Und gleichzeitig fällt es manchen Eltern schwer, zu akzeptieren, dass ihre Kinder mit dem Zugewinn ihrer Eigenständigkeit sich auch von ihnen weg entwickeln. Dies erzeugt manchmal Distanz, die als unangenehm empfunden werden kann. Die Beziehung zu den Eltern unterliegt vielen Transformationen im Laufe des Erwachsenwerdens. Genauso kann es sein, dass die Fürsorge und Orientierung der Eltern als angenehm und erleichternd empfunden wird und gerne angenommen wird. Manchmal fällt nicht gleich auf, dass dies der Eigenständigkeit auch im Wege stehen kann."

Wie kann ich es als Erwachsener noch schaffen, mich von meinen Eltern abzunabeln?

Birgit Salewski: "Sowohl Eltern von erwachsenen Kindern als auch erwachsene Kinder wünschen sich häufig einen nächsten Schritt in ihrer Ablösung und nehmen hierfür Beratung in Anspruch. In jedem Falle ist es hilfreich, sich Gedanken darüber zu machen, wie die Beziehung zu den Eltern oder die Beziehung zu den erwachsenen Kindern weitergeführt werden soll und wie diese Beziehung gestaltet werden kann. Es geht nicht um Kontaktabbruch, sondern um eine Neugestaltung der Beziehung. Und dieser Prozess ist sehr individuell."

Wie können Eltern ihre Kinder bei der Abnabelung unterstützen?

Birgit Salewski: "Eltern können ihre Kinder bei der Ablösung unterstützen, indem sie die Autonomiebestrebungen ihrer Kinder von Beginn an liebevoll und sorgsam begleiten. Kinder sollten positiv bestätigt werden, wenn sie sich auf den Weg machen, das Leben auf ihre Art zu erkunden. Natürlich bleiben Eltern wachsam an der Seite ihrer Kinder und begleiten deren Entwicklungsschritte. Selbstverständlich haben Eltern oft mehr Weitblick und erkennen Gefahren schneller, dennoch ist es wichtig, dass Kinder ihre eigenen Erfahrungen machen und mit den Eltern über diese sprechen und gemeinsam reflektieren können. Wir alle sollten Kindern und Jugendlichen Mut machen und nicht das Bild einer schrecklichen und beängstigenden Welt zeichnen."

Viele Kinder fühlen sich verpflichtet, sich um ihre Eltern zu kümmern, vor allem, wenn diese einsam oder gesundheitlich angeschlagen sind. Ist das ein Zeichen von unzureichender Abnabelung?

Birgit Salewski: "Wenn wir als erwachsene Kinder unsere Eltern unterstützen, ist dies erst mal ein Ausdruck von Fürsorge und Liebe. Und gleichzeitig ist auch hier wieder die Frage: Welche Unterstützung ist wirklich erforderlich? Und welche kann ich tatsächlich leisten? Engagiere ich mich über die Maßen für meine Eltern, so dass ich mein eigenes Leben vernachlässige oder aufgebe? Selbstverständlich dürfen wir nicht so tun, als hätten wir immer eine Wahl. Es gibt Lebenskontexte, da hilft es nichts, und wir müssen da sein und unterstützen. Und gleichzeitig lohnt es sich immer wieder zu fragen: Was tut mir gut? Was kann ich wirklich leisten? Oder habe ich nur Angst, dass meine Eltern enttäuscht von mir sind? Gibt es Einflüsse aus der Großfamilie oder Moralvorstellungen, die mich unter Druck setzen?"

Wie kann ich meinen Partner oder meine Partnerin unterstützen, wenn ich das Gefühl habe, sie sind nicht richtig abgenabelt?

Birgit Salewski: "Wenn mein Partner oder meine Partnerin mir noch unabgelöst erscheint, ist es wichtig, nicht zu massiv aufzutreten. Wenn ich zum Beispiel über die Eltern meiner Partnerin schimpfe, dann erzeuge ich bei meiner Partnerin einen Loyalitätskonflikt. Hilfreicher sind Fragen wie:

  • Wie empfindest du die Beziehung zu deinen Eltern?
  • Hast du das Gefühl, sie schränken dich manchmal ein?
  • Darf ich dir sagen, wie ich es wahrnehme?
  • Manchmal mache ich mir Sorgen, dass du dein Leben mehr an der Meinung deiner Eltern ausrichtest, anstatt dass wir beide überlegen, was gut für uns wäre.

Das Thema Umgang mit den eigenen Eltern oder Schwiegereltern ist tatsächlich ein sehr häufiger Anlass für Beratung und ich kann jeden nur ermuntern, mit diesen Themen nicht allein zu bleiben, da dies sehr besondere Beziehungen in unserem Leben betrifft und für uns alle sehr herausfordernd sein kann. Viele Paare streiten sehr darüber und verlieren sich leider auch dabei. Mein Rat ist hier, sich fragend aneinander anzunähern und sich erst mal im Sinne einer kleinen Standortbestimmung in Ruhe auszutauschen, wie es jedem mit der Situation geht. Anschließend kann das Paar gemeinsam entscheiden, ob es gegebenenfalls Unterstützung in Anspruch nehmen möchte."


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