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Psychologie Tipps gegen "Aufschieberitis" (Prokrastination)

Schieben Sie gerne unangenehme Erledigungen vor sich her und machen sie auf den letzten Drücker? Oder haben Sie jemanden in Ihrem näheren Umfeld, der Ihnen mit seiner "Aufschieberitis" auf die Nerven geht? Familientherapeutin Birgit Salewski erklärt, wann es sich dabei um eine sogenannte Prokrastination handelt und welche Ursachen dahinterstecken können. Zudem gibt sie Tipps, was Sie dagegen tun können.

Stand: 20.12.2024

Symbolbild „Aufschieberitis“  | Bild: picture-alliance/dpa/Sascha Steinach

"Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen" ist eine gängige Redewendung. Und trotzdem gibt es wohl kaum jemanden, der nicht wenigstens ab und zu unangenehme Dinge vor sich herschiebt und auf den letzten Drücker erledigt. Es gibt aber auch Menschen, die ständig (unangenehme) Aufgaben vor sich herschieben und deshalb ernsthafte Probleme bekommen können. Im Fachjargon spricht man in solchen Fällen von Prokrastination.

Hat Prokrastination etwas mit Faulheit zu tun?

Birgit Salewski: "Ja und nein. Prokrastination ist im Allgemeinen das Aufschieben von wichtigen Aufgaben, die erledigt werden sollten. Diese Aufgaben werden entweder sehr spät oder gar nicht erledigt. Das kann zu massiven Problemen im Alltag führen oder zumindest immer wieder zu Konflikten.
Es gibt Menschen, die haben in ihrem Leben zu wenig gelernt, auch unangenehme Sachen ohne viel Murren zu erledigen und können sich selbst schlecht motivieren und regulieren. Deshalb vermeiden sie die unangenehmen Aufgaben und damit auch die unangenehmen Gefühle. Letztlich müssen schon Kinder lernen, dass es Aufgaben gibt, die erledigt gehören, auch wenn sie einem nicht immer Freude bereiten.
Von Erwachsenen erwarten wir in der Regel, dass sie auch Aufgaben, die eher unangenehm sind, erledigen können, wenn sie wissen, dass sie so weitreichende Folgen durch das Nichterledigen verhindern können.
Oft ist Prokrastination auch verbunden mit der Angst vor Versagen, einem übertriebenen Perfektionismus oder schlicht einer schlechten Aufgaben- und Zeitplanung.
Im besten Fall ist Prokrastination keine Faulheit, sondern eine Vermeidungsstrategie, um unangenehme Situationen und Gefühle zu vermeiden. Was genau dahinter steckt, muss bei jeder Person einzeln betrachtet werden."

Ist Prokrastination eine krankhafte Störung?

Birgit Salewski: "Prokrastination kann ein Symptom einer psychischen Erkrankung sein. Zum Beispiel kann Prokrastination im Zuge von Depressionen, Ängsten und ADHS auftreten und ist dann auch Teil der Behandlung."

Warum neigen Menschen dazu, Dinge aufzuschieben, selbst wenn sie wissen, dass dies negative Folgen haben kann?

Birgit Salewski: "Der Mensch an sich vermeidet gerne unangenehme Gefühle, ähnlich wie wir versuchen, Schmerz zu vermeiden. Unliebsame Aufgaben machen einfach keine Freude. Menschen mit Prokrastination tun sich schwer, ein höheres Ziel in der Zukunft, das vielleicht sogar attraktiv sein könnte, so fest in den Blick zu nehmen, dass sie die Anstrengung des Momentes überwinden können. Sie weichen also von der momentanen Anstrengung zurück. Dabei schwindet natürlich die Aussicht auf Erfolg.
Wenn sich dazu noch eine Versagensangst mischt, wird es immer unwahrscheinlicher, dass sie sich der Aufgabe stellen. Die Angst zu versagen, wird ihnen immer einreden, dass egal, was sie tun, es eh nicht zum Erfolg führt. Und indem sie Aufgaben nicht angehen, wird genau das bestätigt, nämlich, dass sie es nicht schaffen.
Das permanente Erleben von: Ich kann mich nicht aufraffen, ich kann mich nicht strukturieren, ich lenke mich ab, ich erreiche meine Ziele nicht, schlägt sich leider oft auch auf den Selbstwert nieder. Menschen, die ständig Dinge aufschieben, verlieren oft die Zuversicht und den Glauben an sich selbst."

Kann Prokrastination Auswirkungen auf die psychische Gesundheit der Betroffenen haben?

Birgit Salewski: "Dauerhafte Prokrastination hat zahlreiche negative Auswirkungen, die sich auch auf die Gesundheit schlagen können. Ich erlebe es immer wieder, dass Menschen mit Prokrastination tatsächlich Probleme bekommen, die erneut viel Energie und Kraft von ihnen erfordern, um bewältigt zu werden. Diese Kraft steht dann nicht für andere Lebensbereiche zur Verfügung. Es kann ein Selbstbild entstehen von: Warum immer ich? Alle anderen haben frei, aber ich muss noch Dinge erledigen.
Des Weiteren schämen sich manche Menschen sehr für ihre Prokrastination und versuchen sie zu vertuschen. Dieses Schamgefühl kann dazu führen, dass sie ihre Bezugspersonen anlügen oder sich sozial isolieren, damit niemand mitbekommt, wie es tatsächlich um sie steht.
Die Folgen von Schamgefühl, Isolation und weiteren Problemlagen als Folge der Prokrastination können zu Stimmungstiefs, Ängstlichkeit und gemindertem Selbstwert führen."

Gibt es Tipps, wie ich Prokrastination überwinden kann? Wie kann ich mich motivieren, unangenehme Aufgaben anzugehen?

Birgit Salewski: "Wer eine Prokrastination überwinden will, braucht viel Geduld mit sich und vor allem den guten Vorsatz, es nun endlich anzugehen.
Mir fällt immer wieder auf, dass Menschen, die lange Prokrastination haben, keine Idee haben, wie sie ihre Aufgaben in kleine Schritte strukturieren, geschweige denn, wie viel Zeit sie für die Aufgaben benötigen. Es geht also in einem ersten Schritt darum, unangenehme Aufgaben erst mal in viele kleine Schritte zu zerteilen und diese nach und nach zu erledigen. Dabei ist es wichtig, die Zeit im Blick zu haben und sich selbst nicht erneut unter Stress zu setzen. Die meisten Aufgaben brauchen doch mehr Zeit als anfangs gedacht und das ist erst mal nicht schlimm. Wichtiger ist es, die Aufgaben überhaupt anzugehen und jeden Tag einen kleinen Schritt zu machen."

Wie können Familienangehörige oder Freunde den Betroffenen helfen?

Birgit Salewski: "Freunde und Familie können den Betroffenen immer wieder signalisieren, dass sie sie für ihr Verhalten nicht abwerten, sondern Unterstützung anbieten. Nach dem Motto, dann machen wir die Post eben zusammen auf oder ich helfe dir bei deiner Steuererklärung. Zusammen geht manches sehr viel leichter.
Sollte man trotz aller Unterstützung nicht vom Fleck kommen, ist es gut, sich professionelle Hilfe zu suchen. Auch mit diesem Thema muss niemand allein fertig werden."


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