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Psychologie Kindern und Jugendlichen Zuversicht geben

Besonders für Kinder und Jugendliche sind die vergangenen zwei Jahre keine leichten gewesen. Klimakatastrophe, Corona und jetzt der Krieg in der Ukraine, das geht vor allem an den jungen Menschen nicht spurlos vorüber. Viele von ihnen sind motivationslos, leiden unter Ängsten, Ess- oder Schlafstörungen sowie Depressionen. Wie können Familie und Freunde Kindern und Jugendlichen in dieser schwierigen Situation helfen und ihnen wieder Zuversicht geben? Tipps von Familientherapeutin Birgit Salewski.

Stand: 28.02.2022

Symbolbild Trauer  | Bild: BR/stock.adobe.com/AungMyo

Wie hat sich ganz generell in den vergangenen zwei Jahren Deine Arbeit als Therapeutin verändert?

Birgit Salewski: "Mich erreicht schon seit Monaten eine nicht gekannte Welle an Anfragen aller Art: Paare, die sich in den vorangegangenen Jahren verloren haben, Erwachsene, die am Rande aller Belastungsgrenzen stehen und völlig erschöpft sind (beispielsweise Angestellte in Gesundheitsberufen, pflegende Angehörige oder Pädagogen) sowie Kinder und Jugendliche, die massive Erschöpfungszustände, Depressionen, Ängste und Verhaltensauffälligkeiten zeigen. Das Ausmaß, das diese Pandemie uns allen an Langzeitfolgen bringt, zeichnet sich bereits ab und wir alle arbeiten gerade deutlich über unseren Kapazitätsgrenzen. Und man darf nicht vergessen: Die vielen niedergelassenen Therapeuten, die Kliniken für Kinder und Jugendliche, die Kindergärten, Schulen und die unzähligen pädagogischen Einrichtungen waren teilweise vorher schon am und über dem Limit." 

Was sind die häufigsten Probleme, die die Pandemiebeschränkungen bei Kindern und Jugendlichen ausgelöst haben?

Birgit Salewski: "Seit letztem Herbst geht es manchen Kindern und Jugendlichen wohl etwas besser, da gewohnte und notwendige Strukturen in ihrem Leben wieder mehr oder weniger vorhanden sind. Das ist erstmal gut. Wir wissen schon länger, dass die Pandemie gravierende Auswirkungen auf Kinder- und Jugendliche hatte und noch immer hat. Besonders belastet sind Kinder und Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien.
Laut einer aktuellen Studie beurteilen aber immer noch mehr als ein Drittel der befragten Kinder und Jugendlichen ihre Lebensqualität als eingeschränkt.
Bei den psychischen Störungen wie Ängsten und Depressionen gibt es wohl einen leichten Rückgang.

Was mich persönlich sehr besorgt, ist, dass sich immer noch acht von zehn Jugendlichen belastet fühlen. Das zeigt sich vor allem in Form von psychosomatischen Symptomen wie Schlafproblemen, Gereiztheit sowie Magen- und Kopfschmerzen. Hier ist das Niveau stabil hoch."

Wie kann man Kindern und Jugendlichen helfen, die unter den Coronaregeln leiden oder gelitten haben?

Birgit Salewski: "Die Familie ist nach wie vor eine der wichtigsten Ressourcen für eine gesunde Entwicklung. Daher sind gerade in dieser Zeit stabile und freundliche Familienverhältnisse für Kinder besonders wichtig. Achten Sie auf ein friedliches und auch entspanntes Familienleben zu Hause, wo immer dies möglich ist. Investieren sie in schöne gemeinsame Zeit, versuchen sie kleine und abwechslungsreiche Unternehmungen zusammen zu ermöglichen. Hier geht es mir um die regelmäßigen, alltäglichen Momente im Familienleben, die den Kindern und Jugendlichen Halt, Geborgenheit, Sicherheit und Zuversicht vermitteln. Lassen Sie Sorgen und schlechte Nachrichten nur einen kleinen Platz und versuchen Sie vor allem das Gute, Positive, Freundliche, Lebensbejahende zu betonen. Und Abwechslung und Ablenkung tun in bestimmten Dosen sowohl Kindern und Jugendlichen als auch Erwachsenen gut."

Wie wirken sich die aktuellen Kriegsentwicklungen auf Kinder und Jugendliche aus?

Birgit Salewski: "Das kommt stark darauf an, was die Kinder und Jugendlichen mitbekommen. Kinder und Jugendliche sind mit der Massivität der Medienberichtserstattung, die nun mal für Erwachsene gemacht ist, meist völlig überfordert. Dazu kommt dann noch das ganze Unseriöse, das darüber hinaus verbreitet wird.
Viele Kinder und Jugendliche machen sich Sorgen, weil sie die Ereignisse nicht einordnen können. Das Denken von Kindern und Jugendlichen ist deutlich weniger abstrakt als das von Erwachsenen, was Sorgen und Unsicherheit erhöhen kann. Sind wir hier sicher? Was passiert mit den Menschen? Was bedeutet es, sein Zuhause verlassen zu müssen? Sterben Menschen? Was ist überhaupt ein Krieg?"

Wie erklärt man Kindern, was gerade in der Ukraine passiert und wie können wir Kinder und Jugendliche unterstützen?

Birgit Salewski: "Zunächst ist es wichtig, dass wir Erwachsenen uns überprüfen und regulieren. Schauen Sie nur nach seriösen Nachrichten und Berichten und hören/lesen/schauen Sie nur zu bestimmten Zeiten Nachrichten. Es ist wichtig, dass wir unseren Alltag nicht vollständig von diesen schrecklichen Ereignissen überschwemmen lassen, auch wenn wir alle verständlicherweise gerade sehr besorgt und ernüchtert sind. Die Kinder und Jugendlichen brauchen jetzt aufgeräumte und zuversichtliche Eltern, die den Alltag mit ihnen erleben und auch gedanklich und emotional bei den Kindern und Jugendlichen anwesend sind.
Was mir persönlich wichtig ist: Umso kleiner die Kinder sind, umso weniger sollten sie mitbekommen. Und da stehen wir alle in der Verantwortung, Kindern diese Nachrichten zu ersparen und im Beisein der Kinder unsere Gespräche über den Krieg einzuschränken oder es einfach bleiben zu lassen. Das gilt auch für Radio-, Fernseh- und Internetinhalte: In vielen Familien läuft dauernd Radio oder Fernsehen. Schaffen Sie das ab, damit ihre Kinder nicht zufällig Dinge hören oder sehen, die einfach unnötig für Kinder sind. Sie denken, die Kinder bekommen das doch gar nicht so mit? Oh doch, Kinder bekommen das mit.
Radio, Fernsehen und Internet sollte im Beisein von Kindern daher gerade nur genutzt werden, wenn die Inhalte frei von Nachrichten und Berichterstattungen sind. Wenn es doch um den Krieg gehen soll, dann mit gezielten Inhalten, die extra für Kinder gemacht sind und die Sie mit Ihren Kindern gemeinsam ansehen und nachbesprechen. Soviel Zeit muss sein.

Ältere Kinder und Jugendliche kann man nicht mehr so explizit schützen. Hier ist es wichtig zu fragen: Was hast Du gehört, gelesen oder gesehen?

Erklären Sie Kindern und Jugendlichen in einer einfachen und altersangemessenen Sprache die notwendigsten Fakten und bieten Sie Kindern und Jugendlichen immer wieder Gespräche an, aber auch nicht dauernd.“

Ukraine-Krieg: Hilfreiche Tipps zum Umgang mit Kindern und Jugendlichen

  • Sagen Sie den Kindern und Jugendlichen, dass wir hier sicher sind.
  • Erklären Sie, dass die Weltgemeinschaft sieht, was passiert und nicht tatenlos zusieht, sondern den Menschen hilft und diejenigen, die Kriege beginnen und sich nicht an die Gesetze halten, bestraft.
  • Berichten Sie, wohin die Menschen flüchten können und dass auch wir in Deutschland Geflüchtete aufnehmen und helfen werden.
  • Halten Sie sich an die Fakten.
  • Geben Sie zu, wenn sie sich Sorgen machen, aber wichtiger ist ihr Glaube an das Gute und an friedliche Lösungen.
  • Und Sie können mit Kindern und Jugendlichen aktiv werden: Bereiten Sie Spenden und Sachspenden vor, schicken Sie gute Wünsche in die Ukraine, beteiligen Sie sich an Lichterketten und Solidaritätsveranstaltungen oder zünden Sie eine Kerze an.

Wann sollte man professionelle Hilfe in Anspruch nehmen?

Birgit Salewski: "Wie immer bei den typischen Symptomen wie anhaltender Freudlosigkeit, Niedergeschlagenheit, Ängstlichkeit und sozialem Rückzug, auffälligem Verhalten wie Aggressivität oder selbstverletzendem Verhalten. Dazu gilt es, Überlastungssymptome wie Schlafstörungen, Appetitlosigkeit, Bauch- oder Kopfweh gut im Auge zu behalten und auch abklären zu lassen."

Weniger Leistungsdruck in der Schule

Birgit Salewski: "Wenn die Schule gerade eine Herausforderung ist, empfehle ich erstmal weniger Leistungsdruck von allen Seiten. Kinder und Jugendliche brauchen Zeit und Hilfe von uns Erwachsenen, sich auch in diesen sozialen Gefügen wieder einzuleben und zurechtzuruckeln. Erst wenn es sozial wieder ein bisschen gefestigter und normaler zugeht, haben Kinder und Jugendliche einen Nerv für Inhalte und Lernen."

Wie findet man derzeit einen Therapieplatz?

Birgit Salewski: "Leider gibt schon länger in vielen Praxen und Beratungsstellen lange Wartezeiten. Und dennoch empfehle ich jedem, der sich in irgendeiner Weise sorgt, nach Hilfe zu suchen. Sprechen sie mit Erziehern, Lehrern, Sozialarbeitern oder Psychologen in den Einrichtungen, die Ihre Kinder besuchen. Lassen sie sich auf Wartelisten setzen und lassen Sie sich von Beratungskräften vor Ort dabei helfen, Wartezeiten zu überbrücken. In vielen Städten und Gemeinden gibt es hervorragende Beratungsangebote und schließlich kann auch das Jugendamt ein Ansprechpartner sein, wenn Ihnen die aktuelle Situation zu Hause über den Kopf wächst. Eltern und ihre Kinder haben ein Recht auf diese Hilfen. Bleiben Sie vor allem nicht allein mit ihrem Anliegen."

Für uns alle gilt: Mithelfen!

Kinder und Jugendliche brauchen uns alle. Als Erwachsene in ihren Bezugssystemen und auch als Gesellschaft, die ihnen Sicherheit und Zuversicht vermittelt.


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