"Italienische Gemälde" Jean Paul und das virtuelle Arkadien
Wer sich in einem Touristikbüro wegen Urlaubsangeboten nach Arkadien erkundigen würde, stieße sicherlich auf eine verdutzte Unkenntnis. Wer sich von Jean Paul ins italienische Arkadien mitnehmen lässt, weiß mehr.
In den Katalogen taucht das Land Arkadien nicht auf. Wer sich Ratschlag im Lexikon holen würde, erfährt, dass es sich um eine gebirgige Landschaft auf dem Peleponnes handelt, wenig attraktiv, aber man kann die Gegend natürlich bereisen. "Oder meinen Sie den Schauplatz idyllischen Lebens, so wie er in der Kunst und Dichtung bekannt ist?" Da folgt als Empfehlung wahrscheinlich Inseln der Südsee, ausgewählte Bereiche in Afrika und vieles mehr. Aber vor allem Italien.
Arkadien als Wunschlandschaft
Der römische Dichter Vergilus Maro (70 – 19 v. Chr.) hat Arkadien als Wunschlandschaft, ohne dass er wirklich Arkadien kannte, erfunden; es war, da von Rom relativ weit entfernt und unbekannt, also gut geeignet, den – seiner Meinung nach – verderbten römischen Großstädtern ein Gegenbild mit ehrbarem einfachem Hirtenleben entgegen zu halten. Seitdem sind wir immer auf der Suche nach Arkadien und Flugreisen haben es ermöglicht, dass wir es überall auf dem Erdball anzutreffen glauben.
Goethe: "Auch ich in Arkadien"
Für Johann Wolfgang Goethe war der Radius beschränkter; aber Italien ist als arkadische Landschaft mit Palästen im Mondenschein, prächtigen Sommernächten, verschlafen rauschenden Brunnen und vielen weiteren romantischen Requisiten das uns nächst gelegene Sehnsuchtsziel. "Auch ich in Arkadien", so überschrieb der Dichter den Bericht über seine Italienreise 1786, als er sich aufmachte, die düstere nördliche Kulturlandschaft, der Kleinstadt Weimar überdrüssig, zu verlassen, um in Italien ein sinnliches Lebensglück zu erfahren.
"Kennst du das Land, wo die Citronen blühn, /
Im dunkeln Laub die Gold-Orangen glühn."
Für mich war die Lektüre von Goethes "Italienischer Reise" nicht überzeugend; denn als Fremdenführer erwies er sich doch als sehr nüchtern; er hat mir die südliche Farbenglut, das "savoire vivre" und das mediterrane Flair nicht so vermittelt, wie es meine innere Gestimmtheit erwartete. Bis ich einen fand, der auf ganz andere Weise in Arkadien war – auf eine Weise eben, die südliche Seligkeit, der ich entgegen fieberte, beschwor. Das war Jean Paul.
"Neapel. Tief in der Nacht nach zwei Uhr rollten wir in und durch die lange Prachtstadt, worin noch der lebendige Tag fortblühte. Heitere Menschen füllten die Straßen – die Balkons warfen sich Gesänge zu – auf den Dächern blühten Blumen und Bäume zwischen Lampen, und die Horen-Glöckchen vermehrten den Tag, und der Mond schien zu wärmen. … Mit zwei Armen umfassete die Erde das schöne Meer, auf ihrem rechten, auf dem Posilippo, trug sie blühende Weinberge weit in die Wellen, und auf dem linken hielt sie Städte und umspannte seine Wogen und seine Schiffe und zog sie an ihre Brust heran. Wie eine Sphinx lag dunkel das zackige Kapri am Horizont im Wasser und bewachte die Pforte des Golfs. Hinter der Stadt rauchte im Äther der Vulkan, und zuweilen spielten Funken zwischen den Sternen. … Spricht nicht die Landschaft, der Berg, die Küste gleich einem Echo desto mehr Silben zur Seele, je ferner sie sind? – Wie jung fühlt' ich die Welt und mich, und der ganze Morgen meines Lebens war in den italienischen Morgen, als er anbrach, in diesen gedrängt!"
Jean Paul
Carpe diem statt Memento mori
In Italien ist Jean Paul nie gewesen. Nicht einmal bis zu den Alpen haben ihn seine Reisen geführt; aber sein Werk ist voll von südlicher Bilderfülle (er sprach dann von "italienischen Gemälden"). Dem Memento mori – gedenke des Todes – setzte er das Carpe diem – Halte den Tag fest und genieße ihn – entgegen. Er war ein Sänger der Weltenfülle, der Natur, Liebe, Lebenslust. Wer wollte nicht mit ihm eine Reise ins italienische Arkadien buchen?