Franken - Kultur


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Was ist ein Idyll? Jean Paul und die friedliche Abgeschiedenheit

Wenn man im Literaturlexikon unter Jean Paul nachschlägt, kann man die Bezeichnung "Idylliker" finden. Doch was ist eigentlich ein Idyll?

Von: Hermann Glaser

Stand: 07.10.2013 | Archiv

Ein Morgen am See | Bild: picture-alliance/dpa

In der Mittagsstunde, gut gesättigt, im lauen Sommerwind sich unter einem Apfelbaum zum Schlafen ausstrecken, wobei einem vielleicht ein Apfel in den Mund fällt. Ist das ein Idyll? In der Tat ist solche abgeschiedene Zufriedenheit das Thema von Eidyllia; kleinen "Bildchen", die der griechische Dichter Theokritos (310-250 v. Chr.) mit Worten malte: Seine genaue Beobachtungsgabe galt dem Leben der Hirten in seiner Heimat. Und seither empfindet man die ländliche Lebensart, wo Milch und Honig fließen, manchmal auch Wein, sowie Liebe und Gesang vorwaltet, als unbeschwertes Glücklichsein.

Wenn man die Idyllen von Jean Paul, in all den kleinen fränkischen Dörfern wie Hukelum, Kuhschnappel und Auenthal illustrieren wollte, nähme man am besten Zeichnungen von Ludwig Richter. Der Lenz ist gekommen und er scheint ein Dauerzustand zu sein, denn der Winter ist auch voller Frühlingsheiterkeit. Ihr Auskommen haben die Jungen und Alten, die Frauen und die Männer, die Enten, Lämmer und Hunde. Glückskind mit Lamm grapscht nach dem Schmetterling; über dem Silberquell tiriliert die Lerche; Töchterlein, gefolgt vom Spitz, bringt Krug und Brot den Schnittern auf dem Feld; in dunklem Grün blinken die roten Kirschen; Regenbogenlandschaft und glitzernder Sternenhimmel.         

Aus Versponnenheit wurden Spinnweben

Das "deutsche Idyll" ließ den Menschen freilich häufig in spießbürgerlicher Enge verkümmern. Die Übergänge von der echten zur falschen Idylle sind fließend. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nahmen Romantik- und Biedermeierepigonen Zeitschriften, Taschenbücher, Kalender und Lesebücher in Besitz. Aus der Ver­sponnenheit wurden Spinnweben; die Dorf- und Kleinstadtwelt war idealisierte Stumpfheit, der Nachtwächter ein kostümierter Reaktionär, das Leitbild der bornierte Philister, der die Nase nicht aus seinen vier Wänden herausstreckt, mit Gott und der Welt zufrieden ist, und vor allem "Ruhe bewahrt" – geschehe, was da wolle.

"Die bewahrende Hand, die immer noch ihr Gärtchen hegt und pflegt … ist bereits die, welche dem politischen Flüchtling das Asyl verweigert."

Theodor W. Adorno

Jean Paul jedoch wusste, dass das Idyll nur Augen-Blicke dauert. Es sind die Augenblicke, da der Gott Pan schläft; aber er wird erwachen – wieder Panik verbreitend. Der Dichter erkennt und schildert immer ein Glück, das wieder rasch enden kann. Kein Schrebergartenglück, keine Gartenlauben-Saturiertheit. Das "panische Idyll"; eben das wahre, ehrliche Idyll.


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