Bayern 2 - Nachtmix

Neuerscheinungen der Woche Neue Alben von Chilly Gonzales, Floating Points und der Antilopen Gang

Welche relevanten Platten erscheinen, was sollte man sich davon nicht entgehen lassen. Darum geht im wöchentlichen Neuheiten-Check. Heute im Fokus: die neuen Alben von Chilly Gonzales, den Nerven, Floating Points, der Antilopen Gang, Nitsch, den Tindersticks, Lady Blackbird, der Raketenumschau und Nilüfer Yanya.

Von: Angie Portmann

Stand: 13.09.2024

Drei Jungs auf der Straße | Bild: Danny Koetter

Nilüfer Yanya – My Method actor

Die Britin mit den türkisch-irischen Wurzeln spielt im Video zu „Like I say ( I runaway)“ eine Braut, die in letzter Sekunde Reißaus nimmt und den Bräutigam verdattert in der Kirche stehen lässt. Laut Nilüfer Yanya hat ihr Freundeskreis sie zu dem Song inspiriert. Denn um sie herum findet gerade eine Hochzeit nach der anderen statt. Für die 29jährige Yanya ist heiraten aber aktuell keine Option. Überhaupt geht es auf dem dritten Album der Britin viel um ihr momentanes Lebensgefühl, das Gefühl sich in einem Zwischenraum zu befinden, einem Ort, an dem aber die besten Ideen entstehen, „You’re still living in your teenage head, but you’re an adult” … beschreibt Yanya diese Zeit Ende zwanzig. In dem Titelsong „Method actor“ testet Yanya dann auch verschiedene Strategien, wie es sich am besten vermeiden lässt, Verantwortung zu übernehmen. Offensichtlich ein Thema, das Nilüfer Yanya sehr beschäftigt – denn „My Method actor“ ist ein sehr nachdenkliches, in der zweiten Hälfte auch sehr ruhiges Album. Mir persönlich hier manchmal fast etwas zu ruhig, zu verhalten. Da hätte ich mir etwas mehr Energie, mehr Entschlossenheit, mehr Gitarren-Ausbrüche wie in der ersten Hälfte des Albums gewünscht. Mehr Indie-Rock statt sanft dahinfließenden Pop. (7,5 von 10 Punkten)

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Nilüfer Yanya - Method Actor (Official Visualiser) | Bild: NiluferYanyaVEVO (via YouTube)

Nilüfer Yanya - Method Actor (Official Visualiser)

Tindersticks – Soft Tissue

Vergessen sind die elektronischen Ablenkungen, die „Distractions“ vom gleichnamigen Vorgängeralbum der Tindersticks. Die Band um Stuart A. Staples hat sich diesmal wieder auf einen organischen Sound konzentriert. Auf Streicher, Bläser, Gitarre, Percussion. Und hat so ein wunderbar schwebendes Slow-Motion-Album gezaubert.

Stuart A. Staples erklärt es so: "Die letzten beiden Alben waren extrem unterschiedlich – auch in der Herangehensweise. „No Treasure But Hope“ war eine sehr naturalistische Platte. Wir saßen um ein akustisches Klavier mit akustischen Instrumenten und dachten uns Lieder aus. Und dann waren wir eine Woche in einem Studio in Paris und haben die Songs live aufgenommen. Das war quasi eine Reaktion auf meine Arbeit davor, auf den Soundtrack für „High Life“ von Claire Denis, auf den Film „Minute Bodies“ oder auf mein Soloalbum „Arrhythmia“. Das waren alles wirklich experimentelle Projekte, sehr studiobasiert. Ich brauchte da einen Ausweg, einen Weg, wie wir als Band wieder zusammenkommen konnten. Eine naturalistische Platte zu machen hat großen Spaß gemacht und wir haben es genossen. Es ging vor allem um die Körperlichkeit des Musizierens, darum, dass wir zusammen in einem Raum waren. Aber danach schwang das Pendel wieder zurück. Es gab einen Lockdown und mit „Distractions“ haben wir eine wirklich experimentelle Platte gemacht, eine Platte, die auf vielen verschiedenen, für uns extremen Ansätzen beruht. Für „Soft tissue“ wollte ich, dass diese beiden Elemente zusammenkommen. Das organische Zusammenspiel und das experimentelle Songwriting."

„Soft tissue“ thematisiert die menschliche Zerbrechlichkeit. Denn die Welt kann noch so ein harter und unfreundlicher Ort sein, ihre Bewohner sind doch alle eher aus „soft tissue“ gemacht, also eher weich, so Staples. Entstanden ist „Soft tissue“ übrigens u.a. in Nordspanien, nicht weit entfernt von Stuart Stapels französischer Wahlheimat. Dort, wo die dunkle Melancholie, der Kammerpop der Tindersticks schon seit den 90er Jahren fast besser ankommt als Zuhause in Großbritannien. Aber auch bei uns haben die Tindersticks – auch nach über 30 Jahren Bandgeschichte - nach wie vor ihre Fans. So gibt es für ihr Konzert am 5. Oktober in München im Prinzregententheater nur noch wenige Karten. (8 von 10 Punkten)

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New World | Bild: Tindersticks - Topic (via YouTube)

New World

Lady Blackbird – Slang Spirituals

2021 hatte Lady Blackbirds sehr reduziertes, sehr tolles Jazz-Debüt „Black Acid Soul“ voll eingeschlagen. Für ihren Zweitling hat die US-Amerikanerin aber jetzt dem Jazz den Rücken gekehrt und feiert auf „Slang Spirituals“ u.a. die große Gospelmesse. Aber auch zurückhaltender Folk („Man on a boat“), ausladender Soul mit massiver Orchesterunterstützung („Like a woman“) bzw. Disco-Einschlag („Reborn“) und Psychedelic-Rock-Passagen („Whatever his name“) finden sich auf diesem unglaublich diversen Album. „Slang Spirituals“ sei ihr persönlicher Befreiungsschlag, der Weg zu ihrem eigentlichen Ich, so Marley Munroe alias Lady Blackbird. Sie habe sich noch nie, nur, als Jazz-Musikerin gefühlt. Stattdessen hätte sie schon immer davon geträumt ein Rock’n’Roll-Star zu sein! Ich muss gestehen, mich hat dieses Album überfordert. Gerade eben war ich noch völlig hingerissen von der umwerfenden Soulstimme von Lady Blackbird, hab sie schon auf dem Soundtrack zum nächsten James Bond gehört, da rutscht sie mit ihrem High-Energy-Disco-Pop plötzlich in eine seltsame Belanglosigkeit ab. Oder ich freu mich über minimalistischen, wunderbar soulfullen Folk - schon macht psychedelisches Gitarrengeniedel auf über 8 Minuten alles kaputt  … hier hat eine absolute Ausnahmestimme wirklich alle, aber auch alle stilistischen Möglichkeiten ausgeschöpft. Etwas weniger Abwechslung, weniger Bombast und dafür etwas mehr „Black Acid Soul“ hätte mich glücklicher gemacht. (6,5 von 10 Punkten)

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Let Not (Your Heart Be Troubled) | Bild: Lady Blackbird - Topic (via YouTube)

Let Not (Your Heart Be Troubled)

Chilly Gonzales – Gonzo

Vorhang auf für den genialen Entertainer Jason Beck aka Chilly Gonzales, kurz auch Gonzo genannt. Wir erinnern uns: Ende der 90er brachte uns Chilly Gonzales mit seinem super unterhaltsamen Electro-Rap zum Tanzen. Damals lebte er, genauso wie seine kanadischen Kolleginnen Feist und Peaches in Berlin. Mutierte aber dann vom „President of the Berlin Underground“ zum Piano-Aficionado. Seit einigen Jahren lebt er nun in Köln, dort ist auch sein neues Album „Gonzo“ entstanden, ein Klavier-Rap-Album, wie es nur von Chilly Gonzales kommen kann. Was die Lyrics angeht, ist Gonzo diesmal superkritisch und ja, auch selbstkritisch. Wenn er sich z.B. in dem Titel-Song „Gonzo“ mit der eigenen Künstleridentität beschäftigt. Seinen Werdegang beschreibt, wie aus dem Kanadier Jason Beck „Gonzo“ geworden ist, ein „Belmondo im Bademantel“, ein Chansonier in Paris, ein Chilly Gonzales, dessen Name so silly ist, dass ihn keiner ernst nimmt. Oder wenn er in dem Song „Neoclassical massacre“ das gleichnamige Genre scharf angeht, Klassik mit Popattitüde, ein Genre, das er selbst 2004 mit seinen „Solo-Piano“- Alben ins Leben gerufen hat. Ein Genre, das seiner Meinung nach aber mittlerweile zum langweiligen, gesichtslosen Massenphänomen verkommen ist. Oder wenn er sich mit der Trennung von Künstler und Werk beschäftigt wie in dem Song „F*ck Wagner“, mit dem er, der jüdische Kanadier gegen den Komponisten Richard Wagner anrappt. Dessen Werk er zwar verehrt, aber dessen Antisemitismus er verabscheut. Weshalb er auch dafür plädiert die Richard-Wagner-Straße in Köln in Tina-Turner-Straße umzutaufen. Und selbst wenn Gonzo in dem Song  „ICE“ auf deutsch rappt: „Dieses Lied ist mein Liebeslied an die Bundesrepublik“ – dann hat auch dieses witzige, fast gagaeske „Liebeslied“, seine Ecken und Kanten. Gonzo im rotzigen Randale-Modus. Was wir übrigens seinen jahrelangen Therapie-Stunden verdanken.

Chilly Gonzales erzählt: "Als die Therapie vorbei war, kamen plötzlich Lyrics - in zwei und fast drei Sprachen: Französisch, Englisch, und auch ein bisschen Deutsch. So ich hab mir gesagt: die Lyrics kommen, so let’s go, wir machen eine Rap-Platte. Der rote Faden der Platte: ich habe ein besessenes Interesse an der Rolle des Künstlers in unserer Gesellschaft. „Fuck Wagner“ ist z.B. ein Lied zu dieser Thematik. Aber es gibt auch mehr persönliches exploration of the role of the Künstler in unserer Gesellschaft. Z.B. im Titelstück „Gonzo“, dafür habe ich eine eigene Persona kreiert. Ich glaube auch „Neo Classical Massacre“ ist ein sehr zeitgenössisches Lied - über die Verantwortung des Künstlers zum Authentisch-Sein. Oder muss ein Künstler immer mit die Algorithmus einen Kompromiss finden? Das ist auch eine wichtige Frage. Vielleicht ohne gute Antwort. Aber ich glaube, meine Lyrics sind gut fürs provokative Fragen stellen. Sogar wenn ich keine gute Antwort habe."

Mehr ähnlich unterhaltsame Statements von Chilly Gonzales gibt’s in der aktuellen Ausgabe unseres Popcasts mit Ralf Summer. Zu finden in der ARD-Audiothek, auf der Homepage des Goethe-Instituts und bei Spotify & Co. (7,9 von 10 Punkten)

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Gonzo | Bild: Chilly Gonzales - Topic (via YouTube)

Gonzo

Die Nerven - Wir Waren Hier

Unverkennbar: Die Nerven. Sie können nur groß, angefangen bei den wieder in Großbuchstaben geschriebenen Titeln der Songs bis zu den gigantischen Melodien, den schneidenden Riffs und dem grandiosen, unglaublich mitreißenden Noiserock mit den ganz großen Gesten. Die Nerven, das sind Kevin Kuhn, Julian Knoth und Max Rieger. Rieger hat der „Spiegel“ schon „das Mastermind des deutschen Indie-Rocks“ genannt und der „Tagesspiegel“ hat ihn sogar schon mit dem US-amerikanischen Rock-Visionär Rick Rubin verglichen. Fest steht: Max Rieger ist einer der einflussreichsten Produzenten in der deutschen Musiklandschaft. Aber Max Rieger aus Stuttgart, jetzt Berlin ist nicht nur der Kopf der Band Die Nerven und Produzent von z.B. Casper, Ilgen-Nur, Stella Sommer, Jungstötter, Drangsal und, gerade erst erschienen, der Mausis … Rieger veröffentlicht auch wunderbare Solo-Alben als All diese Gewalt. Und jetzt eben wieder ein neues Album mit Die Nerven. „Wir waren hier / Wir waren hier / Keine Pflanze, kein Tier war so wertvoll wie wir / Nach uns kommt die Sintflut / Wir fressen vorher alles auf“. Die Nerven kritisieren hier die gnadenlose Verschwendung, die Vergiftung der Welt. Und klingen dabei: unglaublich dringlich und dramatisch und gleichzeitig extrem euphorisierend und in jeder Hinsicht: GROSS. (8,2 von 10 Punkten)

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WIR WAREN HIER | Bild: Die Nerven - Topic (via YouTube)

WIR WAREN HIER

Antilopen Gang – Alles muss repariert werden

„Alles muss repariert werden" ist ein "Hälfte-Rap-Hälfte-Punk"-Doppelalbum und damit nach15 Jahren Antilopen Gang das Punkrock-Debüt des Trios. Auf dem ausnahmsweise mal nicht nur gerappt, sondern auch gesungen bzw. geschrien wird.  Vielleicht war diese zweite Hälfte für die Antilopen Gang auch dringend nötig – nach zehn bitteren, kurz auch mal verhalten humorvollen, aber ansonsten durchgehend nachdenklichen, ja desillusionierten bis völlig resignierten Rap-Songs über politische Schönmalerei, linken Antisemitismus („Oktober in Europa“ in der LP-Version mit der tollen Sophie Hunger), HipHop-Größenwahn und Drogen, klingt Teil zwei fast kathartisch. Den Frust, die Wut, aber auch den Spaß einfach mal rausschreien.

Danger Dan, Koljah und Panik Panzer lassen es hier ordentlich krachen, machen eskapistischen, meist gut gelaunten Punkrock über Fitness-Studios, Ruhrpott-Rock und romantische Hochzeiten. Statt zu resignieren, werfen die Drei mit witzigen Wortspielen um sich. Und plötzlich fällt mir wieder ein: war die rappende Antilopen Gang vor 10 Jahren nicht dieser vermeintliche Fremdkörper auf dem Punk-Label der Toten Hosen? Offensichtlich nicht, wie wir spätestens jetzt feststellen dürfen. Hier macht sich eine Band völlig frei und praktiziert die Antilopen-Dialektik, kommt über den Umweg von zwei sehr gegensätzlichen Alben offensichtlich zum ureigenen Band-Ich. (8,4 von 10 Punkten)

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Antilopen Gang - Für wenige | Bild: Antilopen Gang (via YouTube)

Antilopen Gang - Für wenige

Nitsch - Die Bar von Josefine

Nitsch, ein Duo, das sich am Münchner Residenztheater kennengelernt hat. Nick McCarthy (Ex-Franz Ferdinand/Lunsentrio/Embryo/Ströme/Box Codax/Manuela) schreibt dort Theatermusik, der Grazer Niklas Mitteregger ist Schauspieler. Die beiden beginnen zusammen Songs zu schreiben, die sie seit 2022 als Nitsch veröffentlichen. Sehr lässige Songs über die Liebe, die unerwartete, die verschmähte, die romantische und die, die einen nicht mehr loslässt, der man folgt … bis ans Ende der Welt. Mit Wave-Gitarren, Italo Disco und Grazer Schmäh umkreisen wir hier die Liebe in all ihren Schattierungen. Schlingern cool durch die Nacht, stehen bei Josefine am Tresen, ohne Handyempfang, aber dafür gibt’s Schnaps und Zigaretten. „Die Bar von Josefine“ ist Song- und Albumtitel (diese Bar gibt’s übrigens wirklich, ist eine legendäre, etwas abgeranzte Jazz-Bar in Graz, der Lieblings-Ort von Niklas Mitteregger). Ein Ort, wie aus der Zeit gefallen. Genauso wie der Sound von Nitsch. Dieses Debüt ist der perfekte Absacker, die Platte, die man auflegt, wenn alle zu müde sind um zu tanzen … aber noch keiner nach Hause gehen möchte. Eine leichte Melancholie durchzieht den Raum, Sehnsüchte und Enttäuschungen hängen in der Luft wie die Zigarettenschwaden. Wunderbar. (7,9 von 10 Punkten)

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NITSCH - Bar von Josefine (Official Video) | Bild: Nitsch (via YouTube)

NITSCH - Bar von Josefine (Official Video)

Raketenumschau – Ist es die Euphorie?

Auch Leon Frei und Quirin Schacherl haben sich am Theater kennengelernt. Bei ihnen waren es die Münchner Kammerspiele. Dort haben die beiden 2018 ein FSJ absolviert, ein Freiwilliges Soziales Jahre. Später kamen dann noch Paul Sternagel und Jonathan Peterson dazu. Ihr Trikont-Debüt „Ist es die Euphorie?“ haben sie im ehemaligen Gasteig, heute Fat Cat, aufgenommen. In einem Raum, der früher Schlagzeug- und Chorübungsraum war. Die Texte der Raketenumschau haben etwas angenehm Unscharfes, Verschwommenes. Die Umrisse der Vergangenheit („Weißt du noch?) wie der Zukunft („Denk nicht zu viel drüber nach“) fransen hier eher aus als dass sie genau beschrieben bzw. besungen werden. Perfekt für das ganz persönliche Kopfkino! Die hochpoetischen Vorlagen tragen zwar oft sehr konkrete Titel wie „Das blaue Auto“ oder „Rosamunde Pilcher“, konkret ist hier allerdings nichts, stattdessen: alles im Fluss („Ich will nicht für immer, für immer bei dir sein, nur so lange immer die Sterne über uns scheinen“). Das Ganze verpackt in 1a-Indie-Gitarrensound. Was will man mehr? „Der Kopf schwebt in Gedanken, der Körper in Gefühl …“ („Alles hat seine Zeit“). Auf alle Fälle toller Sound, tolle Band! (7,8 von 10 Punkten)

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Das Leben ist nicht leicht | Bild: Raketenumschau - Topic (via YouTube)

Das Leben ist nicht leicht

Floating Points – Cascade

Ich war ja schon immer ein Fan von Floating Points. Aber nachdem ich 2021 sein, wie ich finde, wirklich mind-blowing Meisterwerk „Promises“, diese Kollabo mit dem London Sympony Orchestra und der mittlerweile verstorbenen Jazz-Legende Pharoah Sanders gehört hatte, war ich völlig schockverliebt. Deshalb waren meine Erwartungen an das neue Album des Briten Sam Shepherd alias Floating Points natürlich entsprechend hoch.

Der aus Manchester stammende Floating Points gehört zusammen mit seinen Kumpels Four Tet und Caribou, zu den Vorzeige-Nerds unter den Elektronik-Produzenten. Nicht nur weil er einen Doktortitel für Pharmakologie hat und erst über die Klassik zum Jazz und von dort zur Elektronik gekommen ist, sondern weil er jetzt schon etliche Jahre ganz großartige Alben produziert. Zuletzt das bereits erwähnte „Promises“-Album, ein Pandemie-Album par excellence, wunderbar ruhig und schwerelos. Die Distanz, die die Musiker damals zueinander halten mussten, war hier regelrecht spürbar. Sein neues Album „Cascade“ hat sie auch, diese ruhigen, sehr sphärischen Momente. Aber nur damit wir kurz Luft holen können, bevor wir uns mit dem Superfrickler Floating Points in die nächste Runde hibbelige Breakbeat-Madness stürzen. Ein Sound, der so unglaublich euphorisch und tanzbar ist, dass ich dazu schon Tausende von TänzerInnen glücklich die Hände in die Luft werfen sehe. Bereits der Einstiegstrack, der Club Mix der schon etwas älteren Nummer „Vocoder“, ist ein totaler Dancefloor-Banger. Wahnsinnig cool auch das bereits im vergangenen Jahr erschienene „Birth4000“ mit einer versteckten Donna Summer-Reminiszenz. Ein Track, der sich lange aufbaut und mit dem sein Freund Four Tet im letzten Festivalsommer schon die ganz großen Bühnen gerockt hat. Auch „Ocotillo“ nimmt nur langsam Fahrt auf, beginnt mit ruhigen fast asiatischen Klängen, um im weiteren Verlauf des Songs dann doch noch zu eskalieren. Und „Affleck Palace“ kulminiert in einem waschechten Schlagzeug-Solo. Floating Points ist eben der Supernerd unter den nerdigen Elektronik-Produzenten. Und mit „Cascade“ hat er ein ausgesprochen ambitioniertes Clubalbum geschaffen. (8,5 von 10 Punkten)

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Key103 | Bild: Floating Points - Topic (via YouTube)

Key103