Bayern 2 - Nachtmix

Neuerscheinungen der Woche - Late Night Sounds Neue Alben von Bon Iver, MC5, Porridge Radio und Kelly Lee Owens

Welche relevanten Platten erscheinen morgen, was sollte man sich davon nicht entgehen lassen und worauf kann man vielleicht auch besser verzichten. In unserem wöchentlichen Neuheiten-Check in den Late Night Sounds - diesmal im Fokus: Porridge Radio, MOMO, Bon Iver, Kylie Minogue, MC5, Bazzazian, Kelly Lee Owens, Ätna, Tank and The Bangas und High Vis.

Von: Katja Engelhardt

Stand: 17.10.2024

ÄTNA - Lucky Dancer | Bild: ÄTNA

MC5 – Heavy Lifting

Nur zwei Alben haben MC5 veröffentlicht, bevor sie sich erst mal wieder aufgelöst haben – und die haben gereicht, um ihnen Legendenstatus zu verpassen. Anfang der 70er Jahre sind die Alben rausgekommen und gelten als Startschuss für Punk und als Vorbilder, etwa für den Punk-Veteranen Iggy Pop. Nach über 50 Jahren kommt nun das neue Studioalbum „Heavy Lifting“ - kein leichtes Unterfangen also - breitbeinig und mit einem Augenzwinkern. Dieses Album überlebt die Gründungsmitglieder der Detroiter Band MC5. Die letzten beiden Verbliebenen sind in diesem Jahr verstorben. Einer davon ist Gründer und Gitarrist Wayne Kramer, der fast alle Songs des Albums geschrieben hat. Außerdem hören wir Schlagzeuger Dennis „Maschine Gun“ Thompson. Vor ihrem Ableben haben sie andere große Namen um sich versammelt, Gäste wie Slash (Guns’n’Roses), Tom Morello (Rage Against The Machine, Audioslave) und Vernon Reid (Living Colour). Ein bisschen tröstlich ist, dass Kramer und Thompson zumindest davon noch Teil waren, auch wenn sie nicht mehr miterleben können, wie das Album in die weite Welt entlassen wird. Und auch wenn kein zweites „Kick Out The Jams“ dabei ist. (keine Wertung)

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Heavy Lifting

Kelly Lee Owens – Dreamstate

Diese Frau schreitet elegant Stufe für Stufe in den Olymp der elektronischen Musik: Die Walisische Kelly Lee Owens tourte zuletzt mit großen Depeche Mode. Sie arbeitet außerdem auf ihrem neuen Album mit dem angesagten Duo Bicep und einem der Chemical Brothers zusammen und behält trotz gewichtiger Kollaborationen alle Zügel in der Hand. Gelöst und euphorisch klingt „Dreamstate“. Der Traumzustand, das Tagträumen, sei ihr schon immer wichtig gewesen, sagt Kelly Lee Owens. Auch hier zieht sich, wie durch alle Alben von Owens, der Versuch, über sich hinaus zu reichen, andere zu berühren – das Transzendentale. „Dreamstate“ erreicht Techno-Gefilde, hat etwas von den 90ern und ist für größere Bühnen angelegt als ältere Veröffentlichungen. Und will dabei doch wieder sphärisch sein, mit eingängigen Melodien im Huckepack. „Dreamstate“ will die Intimität und die Bühne, was aber nur teilweise gelingt. Oft verlieren sich die Songideen zugunsten des träumerisch-wattigen Sounds. Owens ist seit diesem Album als erstes Signing des neuen Sublabels dh2 unter Vertrag, unter der Federführung von George Daniel – Produzent und Bandmitglied von den 1975 und Partner von Charli „Brat Summer“ XCX, mit der Owens auch zusammenarbeitet. (6 von 10 Punkten)

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Kelly Lee Owens - Love You Got (Official)

Tank and the Bangas - The Heart, The Mind, The Soul

Wir begeben uns in den Spoken-Word-Dunstkreis von Tank and the Bangas. Jazzig ist der Sound, voller Soul, rappend und singend bewegt sich die Band um Frontfrau und Texterin Tank. Gewitzt, mit Humor und popkulturellen Referenzen – Tarriona „Tank“ Ball möchte Poesie als Ausdrucksform cool machen, sagt sie. Und das Album hört sich auch cool an – es hat das Gefühl einer Netflix-Dramedy: süffig, aber schlau, aufregender als das eigene Leben und doch gar nicht so weit weg von einem selbst. Tank denkt und dichtet um die Ecke und performt so leichtfüßig, als würde es direkt aus ihr heraussprudeln. In der Vergangenheit haben Tank and the Bangas mit dem legendären Schlagzeuger Questlove von The Roots zusammengearbeitet oder der laut-fröhlichen Rapperin Freedia. Und auch auf ihrem neuen Album sind einige Features. Mit dem renommierten Jazzpianisten Robert Glasper zum Beispiel (der letzte Woche ein neues Album rausgebracht hat). Tank klingt übrigens selbst wie Features – weil sie ihre Stimme moduliert, verschiedene Personen und Gedanken unterschiedlich darstellt. Ein bisschen Theater steckt also auch drin. Dabei lassen Tank und ihre Band zwei Ebenen verschmelzen: Was Tank denkt – was sehr analytisch ist – und wie sie sich dabei fühlt. Auch große Fragen und Antworten klingen nicht wie ein altkluger Essay, sondern wie ein persönliches Gespräch mit einer guten Freundin, die sogar den größten Hindernissen am Ende doch etwas Positives abgewinnen kann. (7 von 10 Punkten)

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Tank and the Bangas - Remember ft. Samara Joy and Robert Glasper (Official Lyric Video)

Ätna – Lucky Dancer

Das Duo aus Sachsen hat sich an der Musikhochschule Carl Maria von Weber kennengelernt und ist im Spagat zwischen Pop und Hochkultur – Ätna sind unter anderem mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks aufgetreten. Was schon eine sehr extravagante Backing-Band ist. „Lucky Dancer“ schwelgt nicht so in Glückseligkeit, wie der Titel glauben macht. Das Album ist hochdramatisch und dringlich. Der Titeltrack ist in einer absurden Situation entstanden. Aus dem Musikstudio in Andalusien konnten Ätna Waldbrände beobachten und waren selbst in luxuriöser Sicherheit: Pool, Musikstudio, an Songs arbeitend. Diese kuriose Gleichzeitigkeit treibt das Duo um. Genauso wie der Kampf iranischer Frauen um Freiheit und der Eskapismus, den wir uns gönnen („Hiatus“) – wenn wir ihn uns gönnen können. Weil auf die neue furchtbare Schlagzeile dann eben doch der Matcha Latte folgt. Das Nebeneinander aus unser aller Alltag in der Trackreihenfolge widerzuspiegeln – ist Geschmackssache. Im November gehen sie auf Tour, unter anderem werden sie in Hamburg, München, Jena und Dresden spielen. (9 von 10 Punkten)

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ÄTNA - Major Love (Official Video)

High Vis – Guided Tour

Wenn auf einem Albumcover aus Großbritannien ein schwarzweißes Foto ist, mit Plattenbau drauf - am besten noch mit Kindern, die irgendwie zu rough aussehen für ihr Alter, dann kann man schon ahnen, wo es hingeht: Dann wird’s rumpelig, dann werden soziale Missstände angeklagt und es wird laut. Das alles trifft auf das Album von High Vis zu – „Guided Tour“ hält aber trotzdem ein paar Überraschungen parat. Dieses Album ist ein ziemlich wilder Ritt. Nicht nur, weil Frontman Graham Sayle uns mehr anschreit als ansingt, sondern auch, weil hier so viele Stile anklingen. Britpop, Postpunk, ein bisschen Hardcore und dann wird’s sogar clubbig. Ich bin überrascht, wie gut das ineinander übergeht, ohne wie ein konstruiertes Experiment zu klingen und an Energie einzubüßen. Schlagzeuger Edward Harper fasst zusammen: Wenn die Band 60 Jahre alt ist, können sie vielleicht noch ein bisschen rumsitzen und am Sound feilen – jetzt gerade aber würde es doch darum gehen, Dinge fertig zu kriegen – „getting things done“. Die High Vis sind breitschultrig. Gefühle, auch eigene Schuld, werden nicht besungen, sondern beschrien. Trauer kippt sofort in Wut. Ab und an hätte ich mir in den Gefühlen die Bandbreite gewünscht, die den Genres zugestanden wird. Aber was sie tun, tun sie wirklich sehr gut. Einen hervorragenden Live-Ruf haben High Vis auch. Im November sind sie unter anderem in Berlin, München und Hamburg. (8 von 10 Punkten)

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High Vis - "Mind's a Lie" (Official Audio)

Bazzazian – 100Angst

Wer einen Namen hat im Dunstkreis des Deutschrap, der hat entweder mit ihm zusammengearbeitet oder will es sicherlich mal – unterstelle ich zumindest. Der Kölner Produzent Bazzazian hat die düsteren Emotionen für den Deutschrap ausgeleuchtet, einen Grimme-Preis eingesackt, für den Soundtrack der deutschen HipHop-Serie „Skylines“ und jetzt mit „100 Angst“ ein erstes Soloalbum. Und dem Titel folgend denke man als Kulisse nicht an einen euphorischen Partyabend, sondern eher an Neonlichter, die sich auf nassem Asphalt spiegeln. Die Stimmung ist gedrückt. Als Produzent wagt man sich mit einem eigenen Album ja etwas aus der Deckung. Hier steht Bazzazian im Mittelpunkt, hier hat er alles selbst kuratiert - auch wenn viele Wegbegleiter dabei sind. Sehr viele. Die Gästeliste auf „100Angst“ ist lang und kredibel: Reibeisenstimme Casper, KIZ-Mitglied Tarek, Haiyti, Miss Platnum, Trettmann, Newcomer Apsilon ist mehrmals drauf, genauso wie Sänger Schmyt oder Souly. Irgendwo versteckt sich Haftbefehl. Und das waren längst nicht alle. Sie sind bekannt dafür, auch den düsteren Momenten Platz einzuräumen – der titelgebenden Angst, natürlich, aber auch der Ohnmacht, Depressionen – und eigenen Verfehlungen. Und auch wenn man damit spielen kann: Machen sich hier alle etwas verletzlich. Als wären sie bei Bazzazian im Studio auf dem Beichtstuhl – oder in der Therapie. Wer diese Facette von Deutschrap auch nur im Mindesten interessant findet, kommt an diesem Album nicht vorbei. (7 von 10 Punkten)

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Bazzazian - Fleisch & Geld (feat. Brutalismus 3000) [Official Video]

Porridge Radio – Clouds In The Sky They Will Always Be There For Me

Sich unerbittlich selbst sezieren, das tut Dana Margolin von Porridge Radio so schmerzhaft wie wundervoll. Das neue Album fängt immer wieder das erschütternde Gefühl ein, nicht bei sich zu sein. Nach einer intensiven Beziehung musste Frontfrau und Texterin Dana Margolin sich neu finden - als Person und auch kreativ. Zum ersten Mal habe sie die Songs als Gedichte begonnen, hat Margolin gesagt. Mit diesem Ansatz hat sie sich selbst das Verarbeiten in der Kunst noch mehr erlaubt. Es klingt mühelos und gleichzeitig voller Energie, was für eine emotionale Achterbahnfahrt. Man bekommt das Gefühl, dass Margolin an einer Kurve stehen bleibt und darüber sinniert, während sie gleichzeitig auf der anderen Seite der Kurve immer wieder in den Abgrund guckt – das schafft diese Spannungsdynamik. „Clouds In The Sky They Will Always Be There For Me“ zelebriert nicht nur die Widersprüchlichkeit von Emotionen, sondern auch die Ambivalenz des Aufeinandertreffens von Leben und Kunst – und die Zerbrechlichkeit von beidem. Das Ergebnis ist lyrisch so prägnant und gleichzeitig so zugänglich, dass es wie eine Art Zauber wirkt. Mich macht es ehrfürchtig und ich hoffe, dass Margolin es durch den Erfolg bald mehr auf die Bühnen der Welt schaffen kann. (9 von 10 Punkten)

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Porridge Radio - A Hole In The Ground (Official Video)

Hope Tala – Green

Im Sommer 2022 hat die Londonerin Hope Tala ihr Debüt-EP „Girlhood“ veröffentlicht – und damit ein Hochgefühl ausgelöst, das sich über zahlreiche Songs und Genres erstreckt. Mit ihrem neuen Werk „Green“ erweitert sie ihre Schaffensphase, die wir seitdem erleben dürfen. Der Titelsong hat das Potential zur Hymne. Aber der Titel ist auch Programm – der erste Teil des neuen Albums ist fröhlich, leicht und oft sehr persönlich. In „Anxious“ geht es um die Kämpfe, die wir ausfechten, während „All the Time“ sich mit dem Sog des Erwachsenwerdens beschäftigt. Und dann ist da noch die erste Single „Lose My Head“ – der Track springt mit einem ungeheuren Optimismus direkt ins Ohr. Es klingt, als wären die Songs in einem sonnigen Moment geboren – und trotz all der Entbehrungen, die wir alle in der Pandemie erlitten haben, zieht sich das Licht hindurch. Hope Tala ist eine der vielversprechendsten Newcomerinnen und hat das Talent, die Farben des Lebens zu vermitteln – auch in Momenten, in denen wir uns verletzlich fühlen. „Green“ ist ein echter Erfolg, der nach der Leichtigkeit und dem Verlust des letzten Jahres aufblüht. Das Album ist von viel Emotion und Aufrichtigkeit durchzogen. Das lässt die Künstlerin und ihre Songs noch mehr in den Fokus rücken – und sie zeigen damit, dass auch das Aufwachsen kein allzu einfacher Weg ist, um die eigenen Stärken und Schwächen zu finden. (7 von 10 Punkten)

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Hope Tala - Thank Goodness (Official Visualizer)

Daft Punk - Outtakes

Die Daft Punk Outtakes, die sich während der Produktionsphase ihrer Alben angesammelt haben, sind jetzt veröffentlicht worden und die Welt ist begeistert. Zwischen House, Disco und einem ganz eigenen unverwechselbaren Sound hat das Duo seine Musik über die Jahre enorm verändert und immer wieder neu interpretiert. Die Outtakes sind jedoch etwas ganz Besonderes, denn sie zeigen die verschiedenen Facetten der Band. „Beneath The Waves“ ist nicht nur ein grooviger Track, sondern auch einer, der den Stempel der Daft Punk-Ära trägt – und auch „The Crying Game“ oder „Reality Check“ erzählen eine eigene Geschichte und unterstreichen, warum das Duo so einzigartig ist. Sie erwecken nostalgische Gefühle und führen den Hörer durch die Höhen und Tiefen des Lebens. Auch wenn das Material nicht für eine Veröffentlichung gedacht war, sind die Outtakes trotzdem ein Glücksfall. Sie fangen den Witz und die Verspieltigkeit der Band ein. „Outtakes“ klingt wie eine Zeitreise zurück in die Anfänge der elektronischen Musik und ist ein großartiges Dokument ihrer Schaffenszeit. Die Erinnerung an das Vermächtnis der beiden Musiker wird eindrucksvoll untermalt, sodass man den Daft Punk-Groove auch nach all den Jahren noch spüren kann. (8 von 10 Punkten)