Bayern 2 - Nachtmix

Neuerscheinungen der Woche Neue Alben von u. a. Sharon Van Etten, Squid und Guided By Voices

Unser wöchentlicher Neuheiten-Check in den Late Night Sounds mit Sharon Van Etten, Squid, Guided By Voices, Astrobal, Ghost Dubs, Oklou, Heartworms, Kratzen, Nadia Reid, Silvan Strauss, Traxman, John Coltraine und The Wallners

Von: Ralf Summer

Stand: 06.02.2025 16:08 Uhr

Sharon Van Etten and the Attachment | Bild: Susu Laroche

SHARON VAN ETTEN & THE ATTACHMENT THEORY – s/t

Man kennt die elegische US-Songwriterin schon lange solo: Ich erinnere mich noch an ihr Konzert Anfang 2020 in den Münchner Kammerspielen – es war mein letzter Live-Musik-Abend vor dem Lockdown. Sharon Van Etten scherzte damals vor ihrer Band bzw. dem Publikum, dass sie glaubt, dass sie auch schon dieses „neue Virus“ haben könnte, weil es in ihrem Hals kratze. Unsicheres, leises Gelächter der Zuhörer:innen.
Nun wagt Sharon Van Etten einen Neuanfang: Erstmals hat sie ihre Band gebeten, mit an neuen Songs mitzuwirken. Was sich elektrisierend auf Sharons Stimmung auswirkte. Und die Mitmusiker:innen der New Yorkerin freute. Der Bandname „The Attachment Theory“ meint den Terminus „Bindungstheorie“ - in der Psychologie beschreibt er unser angeborenes Bedürfnis, Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen. Zum Miteinander-Warmwerden und Eingrooven hat „The Attachment Theory“ erst mal gejammt – diese Live-Sessions werden nach und nach auf YouTube hochgeladen.
In Deutschland werden sie das Album nur einmal spielen: in Berlin – 4.3. Astra Kulturhaus. (7,5 von 10 Punkten)

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Sharon Van Etten & The Attachment Theory - Trouble (Live from the Church Studios in London)

SQUID – Cowards

Die junge, englische Gitarren-Band mit den nervösen Sounds: Squid bringen morgen ihr drittes Album „Cowards“ raus. Beide Vorgänger-Alben erreichten locker die UK-Album-Charts, das Debüt kletterte sogar bis Platz 4. Die neue Platte changiert stilistisch von Art Rock bis Post-Punk – mit Ausflügen Richtung Folk, Kosmische Musik, Jazz, Psychedelia und Elektronik. Inhaltlich geht es u. a. um Kulte, Charisma und Apathie.
So handelt „Crispy Skin“ z. B. von Kannibalismus und Feigheit. „Building 650“ von Tokio bzw. ihrer ersten Japan-Reise. Sänger Ollie Sludge: „Wir spielten 2022 auf dem Summersonic-Festival. Glücklicherweise wurden wir für zwei Tage nach der Aufhebung des COVID-Reiseverbots gebucht, weshalb wir uns wie einige der wenigen Touristen in Tokio fühlten. Im Flugzeug las ich „In der Miso-Suppe“ von Ryu Murakami und schaute mir vor Aufregung „Lost in Translation“ an. Später beschloss ich, einen Songtext über das Gefühl des Außenseitertums bei einem Besuch in Japan zu schreiben.“
Gemischt hat Post-Rock-Pionier John McEntire (von Tortoise bzw. The Sea And Cake), produziert hat Marta Salogni (Depeche Mode). Nicht unanstrengend, aber lohnend. (7,4 von 10 Punkten)

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Squid - Building 650 (Official Video)

TRAXMAN – Da Mind Of Traxman Vol.3

Planet Mu wird 30 und feiert mit besonderen Alben – wie z. B. mit dem Footwork/Juke-Produzenten aus Chicago: Da Mind Of Traxman Vol.3 ist die erste Platte im Jubiläumsjahr des Londoner Labels, das sich stets um neue elektronische Sounds kümmert. Traxman ist ein wichtiger Protagonist seiner Stadt: Die Windy City ist seit den 80ern mit ihrem Chicago House ein fester Bestandteil der Dance-Music-History. Die neue Generation der Footwork-Produzent:innen führt die Black American Tradition fort.
Auch diesmal kombiniert Traxman wieder dreiste Pop-Samples (u. a. Carly Simons You’re So Vain) mit den brutal steppenden Hoppel-Beats des Footwork. Der Track heißt I Bet U Think This Track Is About U!!.
Einziger DJ-Termin in D: 15.2. Berlin (Panke). Planet Mu stolz: So müssen sich die Label-Leute eines Miles Davis gefühlt haben, wenn sie aus einer Fülle von neuen Songs ein Album zusammenstellen konnten. (8,0 von 10 Punkten)

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House Of Werkz

ASTROBAL – L´uome e la Natura

Die Pop-Welt kennt Emmanuel Mario aus Paris sonst als Mitmusiker von Stereolab-Sängerin Lætitia Sadier. Und so wie Lætitias Band für Space-Pop-Sound steht, widmet sich auch Astrobal dem luftigen Genre und driftet solo noch weiter hinaus. Bei ihm kommen immer noch etwas Easy Listening/Exotica/50´s hinzu. Das dritte Album, das übersetzt „Mensch & Natur“ heißt, schickt uns auf eine güldene Retro-Futura-Reise. Der Schlagzeuger und Produzent braucht so gut wie keine Vocals, spielt vielmehr entrückte Keyboards und Synthies – wie eine Mischung aus Air, Stereolab und Library Music: atmosphärische Klangwelten eines Sci-Fi-Soundtracks, bei dem auch Klassik und Cosmic durchblitzt. Durch Titel wie „End Of Capitalism“ führt uns Astrobal auch auf eine politische Ebene. Er blickt nach vorne und stellt sich vor, wie es in wenigen Jahrzehnten um unser System bzw. unseren Planeten aussieht. Ohne Lösung für die Zukunft, aber mit Musik dafür. Was alles zu tun ist, wissen wir ohnehin. (7,9 von 10 Punkten)

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Astrobal - L'uomo e la natura (part1) Una melodia, i miei ricordi

NADIA REID – Enter Now Brightness

Die neuseeländische Indie-Singer-Songwriterin mit der glasklaren Stimme hat während ihrer Schwangerschaft Songs für die neue Platte geschrieben. Wenn also öfter von „Baby“ die Rede ist bzw. gesungen wird, dann ist das mal nicht im übertragenen Sinne gemeint. Daher die vier Jahre Albumpause bei Nadia Reid, die nun inzwischen Mutter zweier Töchter ist und über die Zeit während ihrer Mutterschaft sagt:

"Es gibt Momente im Leben, in denen man rückblickend feststellt, dass es sich um eine Zeit des fast zellulären Wandels handelt."

(Nadia Reid)

Wir betreten mit ihr und ihrem Kind nun das helle, neue Licht: „Enter Now Brightness“ enthält mit „Send It Down The Line“, „Hotel Santa Cruz“, „Changed Unchained“ sowie „Baby Right“ jede Menge mitnehmender Folk-Pop-Radiosongs. Die dafür sorgen sollten, dass sie nicht mehr „New Zealands best kept secret“ ist. Und nun endlich wieder touren kann: Neuseeland hatte die strengsten Lockdown-Reisebeschränkungen der Welt. Live: 4.3. HH und 5.3. Berlin. (7,2 von 10 Punkten)

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Nadia Reid - Hold It Up (Official Music Video)

GUIDED BY VOICES – Universe Room

Rockt wie in den 90ern. Manchmal erinnert der Gesang der US-Band-Institution an einen in die Jahre gekommenen Michael Stipe. Robert Pollard, Sänger der Formation aus Ohio, gilt neben Mountain Goats-Frontmann John Darnielle als einer der herausragenden Texter der US-Indie-Szene. Und Pollard ist einer der emsigsten: „Universe Room“ ist das 41. in der Karriere der Band, die 1983 gegründet wurde. Und es ist das 18. Album in nur zehn Jahren. Für die 17 Tracks brauchen Guided By Voices keine 40 Minuten – oft sind die kürzeren Stücke auch die catchy ones. Wie „Independent Animal“, das nur 73 Sekunden braucht, zu überzeugen. Große Chöre gehören der Vergangenheit an.

"Ich wollte ein Erlebnis schaffen, eine Art wilden Ritt, bei dem der Hörer es mehrmals hören möchte, um alle Abschnitte und Klangfelder zu erfassen und bei jedem Hören etwas Neues zu entdecken“.
„Ich habe die Songs so gekürzt, dass es nicht zu viele Wiederholungen gibt. Und ich wollte für dieses Album eine größere klangliche Vielfalt erreichen, also bat ich jedes Bandmitglied, alle Instrumente aufzunehmen."

(Robert Pollard)

Tolle Idee, um der Routine zu entkommen – nach über 40 Alben. Mit „Universe Room“ wollen Guided By Voices für uns neue Horizonte und unvorhersehbare Welten eröffnen. Für manche ihrer Parallelwelten braucht man allerdings etwas. (7,1 von 10 Punkten)

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Guided By Voices - "I Will Be A Monk"

OKLOU – Choke Enough

2018 lief sie zum ersten Mal hier im Nachtmix/Bayern2: mit den Stücken „Valley“ und „Samuel“. Sieben Jahre hat die Französin, die sich Oklou nennt, dann noch fürs Debüt gebraucht. Daraus hörten wir „Family and Friends“. Oklou heißt bürgerlich MaryLou Mayniel, kommt aus Paris und experimentiert mit Auto-Tune-Gesang und R’n’B-Beats – mal reduziert, mal überladen. „Oklou - so modern klingt Pop in 2018“, war unser Urteil damals – und es gilt noch heute. Man hört die Einflüsse von Rap, Trap und Hyper Pop – wie A.G. Cook, der Producer von Charli XCX, war auch hier Mitproduzent.

"Das Album ist eine Reflexion über die unterbewussten und bewussten Anforderungen einer künstlerischen Psychologie. Ich kann mir ein Leben ohne Tagträume nicht vorstellen."

(Oklou zum Debüt)

Man hört, dass sie Klavier und Geige gelernt hat, bevor ihr der Hyper Pop entgegenkam. Sehen wir uns an, mit wem sie im Studio war: Mura Masa und Flume. Mit wem sie tourte: Oneohtrix Point Never und Caroline Polachek. Ihren Namen sollten wir uns wirklich merken. (7,3 von 10 Punkten)

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Oklou - choke enough (Official Visualizer)

HEARTWORMS – Glutton For Punishment

Sie klingt ein wenig wie die junge Siouxsie & The Banshees – doch statt dem Goth/Wave/Punk der späten 70er/frühen 80er greift die Britin den Indie-Geist von heute auf. Heartworms ist mit ihrem Debüt bei Speedy Wunderground gelandet, dem Londoner Label von Produzent Dan Carey (Hot Chip, Kate Tempest, Loyle Carner...).

"Ich bin oft in einem ungesunden Kreislauf gefangen, in dem ich mich nach strenger Disziplin sehne, gierig nach der Vertrautheit, die sie mit sich bringt, aber ängstlich vor den Konsequenzen - besser den Teufel, den man kennt."

(Jojo Orme alias Heartworms)

In Deutschland wird sie ihre erste, sehr zugängliche Platte drei Mal vorstellen: Anfang März in B, HH und K. Eine Bereicherung für die englische Szene. (7,6 von 10 Punkten)

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Heartworms - Extraordinary Wings (Official Video)

THE WALLNERS – End Of Circles

Das gab’s so wohl noch nie: eine Band aus vier (!) Geschwistern. Die Wallners aus Wien – darunter Zwillinge – klingen etwas nach den österreichischen Cigarettes After Sex. Sprich ultramelancholisch. Anna, Laurenz (die Twins), Nico und Max entstammen einem musikalischen Haushalt: der Vater führt ein Klavier-Geschäft in Wien. Aber sie teilen sich schön auf: Nino und Max an Gitarre und Bass, Anna singt, Laurenz am Klavier. Bereits ihr erstes Lied „In My Mind“ von 2020 wurde bekannt. Regisseur Christian Petzold hörte es im Radio und holte es in seinen Film „Roter Himmel“. Nach einer EP und einer weiteren Single nun das Debüt: „eine sinnliche Welt, in der das Träumen und Wachen ineinander übergehen.“ (7,7 von 10 Punkten)

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Wallners - Shadowplay

JOHN COLTRANE – A Love Supreme (60th Anniversary Edition)

Die Jubiläums-Ausgabe der mehrfach zur besten Jazz-Platte aller Zeiten gewählten LP von 1965. Für Sammler gibt es eine Spezial-Ausgabe zum 60. Geburtstag: Wer 200 € locker machen kann, bekommt den Coltrane-Klassiker in der Box – darunter zwei Vinyls, die auf 45 UpM laufen, inklusive Booklet.
A Love Supreme ist eine gut halbstündige, vierteilige Suite und ein Loblied auf Gott: Die vier Teile heißen Acknowledgement („Anerkennung“), Resolution („Entschluss“), Persuance („Streben“) und Psalm.
„Es war die Ära der östlichen Religionen, eine Zeit voller Spiritualität und Hare Krishna, und das war genau Coltranes Matrix – er traf genau die Stimmung“, erklärt Saxophon-Kollege Archie Shepp.
Auch außerhalb des Jazz kam und kommt Lob: „Als ich A Love Supreme das erste Mal hörte, traf es mich wie ein Überfall“, sagt Carlos Santana. Bono von U2 lobt: „Mit dieser LP lernte ich die Lektionen meines Lebens.“
2001 gab es für 500.000 verkaufte Platten in den USA Gold. (10 von 10 Punkten)

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A Love Supreme, Pt. I – Acknowledgement

Anm. der Red: Wie immer gilt: die digitale Veröffentlichung kommt meist zuerst. Seht es euren Plattenläden nach, wenn sie die LP/CD noch nicht vorrätig haben.