Neuerscheinungen der Woche Neue Alben von u. a. Cindy Lee, Murder Capital und Porridge Radio
Unser wöchentlicher Neuheiten-Check mit The Murder Capital, Porridge Radio, Cindy Lee, Ada Oda, Basia Bulat, Albertine Sarges, Beachpeople, Ralph Heidel, Maria de Val, Saya Gray, Masako Ohta & Matthias Lindermayr und Baths
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SAYA GRAY – Saya
Ihre Fans aus aller Welt schreiben ihr auf YouTube die schönsten Komplimente in die Kommentare: „Das wird 1000 Jahre überdauern.“ Oder: „Bin ich froh, zur gleichen Zeit wie sie zu leben.“ Oder: „Wenn Prince noch leben würde, würde er dir einen Song schreiben, Saya!“ Wobei sie selbst sagt, dass die Beatles, Led Zeppelin und Joni Mitchell ihre Einflüsse sind. Toll: die kurzen Banjo- bzw. Country-Einsprengsel. „Saya“ muss sich nicht für ein Genre entscheiden und kann mit unterschiedlichen Liedern jede Playlist bereichern – zwischen Nilüfer Yanya, Arlo Parks und Faye Webster. Alternative/Indie/R&B/London – hilft sie uns beim Einordnen. Das Debüt der übertalentiert wirkenden Musikerin kommt bei Dirty Hit, dem Label aus London, an dem die Band The 1975 beteiligt ist und Artists wie MGMT, Kelly Lee Owens oder Jack Antonoff (u. a. Produzent von Taylor Swift) unter Vertrag sind. In dieser Liga ist Saya Gray also schon unterwegs. 2023 gab es dort zwar ihr „19 Masters“-Album, doch sie nennt „Saya“ ihr eigentliches Debüt. Macht mächtig Eindruck, auch wenn sie sich manchmal vor lauter Ideen selbst im Weg zum Pop-Hit steht. Außer beim Stück „Shell (of a man)“. Das hätte auch auf Beyoncés Grammy-gekröntes „Cowboy Carter“-Album gepasst. (8,2 von 10 Punkten)
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Saya Gray - LIE DOWN.. (Official Video)
PORRIDGE RADIO – Machine Starts To Sing EP
Wie schade: die Abschieds-EP des britischen Indie-Rock-Quartetts. Die kommt auch sehr schwermütig-melancholisch daher. Dabei waren sie gerade hierzulande noch auf Tour, nun die Nachricht vom Ende:
"Dies wird die letzte neue Musik von uns als Porridge Radio sein und markiert das Ende der Band. Diese Gruppe war unser Leben, wir sind jetzt eine Familie. Diese Tour wird unsere letzte sein, vielen Dank fürs Zuhören."
Porridge Radio
Schade, wir haben sie gern gehört und gespielt. Mit „Sweet“ landeten sie im April 2020 unseren Top Track des Monats. Weitere beliebte Lieder in unserer Nachtmix- und Zündfunk-Hitparade hießen „Back To The Radio“, „7 Seconds“ oder zuletzt 2024 „A Hole In The Ground“. Vielleicht schafft es „Don’t Want To Dance“ noch ein letztes Mal? Wir freuen uns schon auf neue Projekte von Sängerin/Gitarristin Dana Margolin. Nach drei so tollen Indie-Rock-Alben als Porridge Radio muss es bei ihr doch weitergehen – wenn sie denn nicht ausschließlich ihrer Leidenschaft als Malerin nachgehen sollte. Bis dahin: große Vermissung! (8,3 von 10 Punkten)
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Porridge Radio - Don't Want To Dance (Official Lyric Video)
ADA ODA – Pelle d’oca
Das zweite Album des italienisch-singenden Schrammel-Pop-Punk-Duos aus Brüssel macht irre Spaß – dank seiner ungestümen, dynamischen Art. César Laloux (The Tellers, BRNS, Italian Boyfriend) und die aus Sizilien stammende Sängerin Victoria Barracato haben sich im Netz in ganz anderer Mission kennengelernt: via Tinder. Die Liebe zur Musik hat überlebt – in Form von Ada Oda. Über 200 Konzerte in USA, Kanada und Europa haben die beiden schon gespielt. Sie wurden bereits für Festivals wie South By Southwest (Austin, Texas), Rock En Seine (Paris), die Fusion (Deutschland) und Pukkelpop (Belgien) gebucht. Live treten sie inzwischen zu fünft auf. Auch das Reeperbahn-Festival feierte sie: „An der vielbefahrenen Kreuzung von schräg moduliertem 80er-Rock und italienischen Pop-Perlen haben Ada Oda eine versteckte Abzweigung gefunden.“ Sehr charmant, so melodiös wie energiegeladen. Der Albumtitel „Pelle d’oca“ heißt „Gänsehaut“. Und die bekommt man auch, wenn man all die Haken und die Dynamik fühlt, die hier am Werk sind. (8,4 von 10 Punkten)
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Ada Oda - Settembre (Official Video)
THE MURDER CAPITAL – Blindness
Das dritte Album der irischen Post-Punk-/Alternative-Rock-Band. Wo ihre Kolleg:innen lospogen, schlagen sie z. T. eher dunkle, getragene Töne an. Die Stimme von James McGovern erinnert an den Sänger von Interpol. Das letzte Album „Gigi’s Recovery“ wurde Nummer 1 in Irland, Top 20 in UK, Top 100 in Deutschland – und „Blindness“ sollte noch höher platziert werden. Auf dem Album, das sie in L.A. aufnahmen, geht es um die kanadische Schriftstellerin Margaret Atwood („A Distant Life“), die Liebe („Words Lost Meaning“) oder den Sündenfall („The Fall“). Zum Album „Blindness“ drückt sich McGovern poetisch aus:
"Es gibt das, was vor uns ist, in unserem unmittelbaren Blickfeld. Es gibt die Dinge, die wir berühren können, die Liebe, die wir spüren können. Und dann gibt es noch alles andere. Blindheit ist der verzerrte Glaube. Das, was hinter uns ist. Das Abgeschiedene. Die Liebe aus der Ferne. Verleugneter Glaube. Verzerrter Patriotismus. Das verblassende Gesicht der Momente in der Rückansicht. Die Blindheit bringt alles in den Fokus."
James McGovern
The Murder Capital untermauern einmal mehr unsere These, dass Irland die neue Hochburg für Post-Punk ist. Und wir euer Post-Punk-Partner. (8,0 von 10 Punkten)
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The Murder Capital - The Fall (Official Audio)
CINDY LEE – Diamond Jubilee (Physical Release)
Der digitale Release des Albums wurde beim US-Musik-Blog Pitchfork „Album des Jahres 2024“, beim englischen Guardian landete es auf Platz 2. Nun also die physischen Ausgaben von „Diamond Jubilee“ – als Doppel-CD bzw. 3-fach-LP. Das „diamantene Jubiläum“ – es meint das 60-jährige – ist schon die siebte Solo-Platte von Cindy Lee. Cindy Lee ist das stilistisch unberechenbare Soloprojekt des non-binären kanadischen Musikers Patrick Flegel, vormals Teil der Band Women. Patrick tritt als Girl, als Frau, in Drag auf. Und hat auch einen richtigen Hit dabei: „All I Want Is You“ – erinnert an die spinnerten Alleskönner von Foxygen in ihren besten Momenten. Ansonsten hören wir spröden Lo-Fi-Indie-Folk mit großem Empathie- bzw. Empowerment-Potenzial. Inzwischen wurde Cindy Lee von Noah Lennox alias Panda Bear (Animal Collective) ans Mikro geladen – für einen gemeinsamen Song, der nächste Woche erscheint. (8,5 von 10 Punkten)
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Cindy Lee - Diamond Jubilee
MARIA DE VAL - Meda Medusa
Hier im Süden kennen wir sie durch ihre erste Band: Ganes – das weibliche Pop-Trio, das Ladinisch singt - auch Dolomiten-Ladinisch genannt. 2010 begannen sie – zwei Schwestern - und ihre Cousine Maria. Maria De Val (La Val/Wengen, der Heimatort) – eigentlich Maria Moling – sie spielte Schlagzeug/Percussion, Gitarre und sang. Parallel gründete Moling das Duo Me + Maria, wurde Teil der Band von Hubert Von Goisern und ist nun auch bei Principess. Nach 15 Jahren in der Musikszene war es Zeit fürs Solo-Debüt. Erscheint bei Inselgruppe, dem Label von Angela Aux – in ihrer Wahlheimat München. „Mëda Medusa“ kommt vielsprachig wie -schichtig daher: von 80er-Synth-Pop bis zu CocoRosie-artigem Weird-Folk. Die Multiinstrumentalistin sagt: „Ob als Ladinerin in Südtirol, als Südtirolerin in Italien, als Italienerin in Europa oder schlicht als Frau in der immer noch von Männern dominierten Kulturindustrie: Ich kenne mich aus mit dem Dasein als Außenseiterin.“ Hören wir z. B. auch im Song „Invisible Girl“: Detailverliebt, verspielt und kosmopolitisch. Eine Künstlerin wie Maria De Val hätte man gern als Mietmieterin im Mehrparteienhaus. Da freut man sich schon jetzt aufs nächste Hoffest und ihren Auftritt. Morgen beginnt die Tour in Viechtach, München 25.2. (7,9 von 10 Punkten)
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Maria De Val - None Of Us Cannot Be Wrong (Live Session)
BASIA BULAT – Basia's Palace
In ihrer Heimat Kanada kennt man sie: die Singer-Songwriterin war schon mehrfach für die kanadischen Musikpreise Polaris und Juno nominiert. Auf ihrem sechsten Album klingt sie elektronischer als auf ihrem letzten Werk, einer elegischen Cover-Platte mit reichlich Streichquartetten – entstanden mit Owen Pallett. Fürs neue Album hörte sie alte polnische Platten von Maryla Rodowicz und Marek Grechuta, sah sich ihre eigenen Kindheitsfotos an. Basia Bulat (sprich Bascha Bullatt) ist Tochter polnischer Einwanderer, ihre Mutter Musiklehrerin. Ihr hat Basia den Song „Disco Pogo“ gewidmet – und auch dem Vater: „Disco Polo“ war sein Lieblingsgenre, meint: polnische Euro-Disco. Polnisch gesungen und gerappt – Disco Polo breitete sich bis nach Asien aus. Danke für die Genre-Nachhilfe, Basia – und für den schönen Souvenir-Pop. (7,5 von 10 Punkten)
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Basia Bulat - My Angel (Visualizer)
ALBERTINE SARGES – Girl Missing
Vor Kurzem hörten wir sie als Teil von Kat Frankies BODIES – dem bunten, mehrstimmigen Frauenchor aus Berlin. Auch als Live- und Studiomusikerin von Stella Sommer und Tristan Brusch hat sie schon gespielt. Die Multiinstrumentalistin und Musiksoziologin der Humboldt-Uni hatte nun Zeit für ihr zweites Solo-Album. Es erscheint wie der Vorgänger beim Londoner Label Moshi Moshi – einer guten Adresse: Dort haben auch schon Acts wie Hot Chip, Girl Ray oder Wave Pictures Platten veröffentlicht. Auf dem Album geht es um eine Freundin der Kreuzbergerin, die sie einfach aus ihrem Leben ausgeschlossen, sie geghostet hat. Albertines Sound bewegt sich im Dreieck Indie/Folk-Pop/Singer-Songwriter und lässt es bisweilen gehörig rumpeln. Auf Bandcamp hat Albertine Sarges – man spricht ihren Namen Deutsch aus – auch David Byrne, Kate Bush, Laurie Anderson drunter geschrieben. Ehrliche Auskunft, mit der man die Platte anders hören kann. (7,6 von 10 Punkten)
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Albertine Sarges - Girl Missing (Official Video)
BEACHPEOPLE – Has-Been
Malte Huck war von 2014 - 2020 Bassist bei AnnenMayKantereit. Dann stieg er aus, reiste durch die USA und Mexiko, nahm als Beachpeople eine Indie-Folk-EP auf, die 2022 erschien. Huck schloss sich einem jungen Regensburger Managementbüro an und zog nach Leipzig. Nun, fünf Jahre nach seinem Ausstieg, ist sein Debüt fertig. Der Plattentitel sagt schon, wo es langgeht: Ein „Has-Been“ ist jemand, der mal berühmt war. Huck hat nun genug Abstand zu seinem früheren Promi-Leben und beweist eine gewisse Selbstironie. Im Song „Leavingtheband“ singt bzw. klagt er: Los Angeles for Kendrick, New York for Jay-Z, Toronto for Drake, And nowhere for me... give me back my life." Solo sollte nun alles eine Nummer kleiner und gesünder laufen. Ab 10. März ist er auf Tour – u. a. in Berlin, Hamburg, Köln und München (20.3.). (7,3 von 10 Punkten)
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FULL ALBUM RUN THROUGH "has-been" BY BEACHPEOPLE
RALPH HEIDEL – Anyways, Onto Better Things
Die Fans kennen den aus Wangen im Allgäu stammenden Musiker, Komponisten und Arrangeur von der Bühne bzw. aus dem Studio mit großen Namen: Er spielt und arbeitet für Casper, Apsilon, Bazzazian oder Max Rieger (Die Nerven). Klar, Heidel wohnt längst in Berlin, wo er ein Album auf Kryptox rausbrachte, dem experimentellen Label von Mathias Modica bzw. Toy Tonics. Auf seiner dritten Platte kennt der Blondschopf keine Grenzen: Pop, Jazz, Electronica, Neo-Klassik – hört sich mühelos arrangiert an. Wie der Album-Name sagt: „Anyways, onto better things.“ Nach intensivem Trennungsschmerz steht ihm nun die Welt – wieder – offen. Die Studiotüren ohnehin – wie heißt es so schön: „Ralph Heidel ist der Lieblingsmusiker deiner Lieblingsartists.“ Solo ganz ohne Raps und Beats und Drums. Wie bei der Koop mit Jun Miyake, dem renommierten japanischen Jazz-Komponisten. Selten, dass ernste Musik sooo Freude bringt. Würde Ralph gern mal auf einer Bühne mit Perfume Genius hören. (7,8 von 10 Punkten)
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Ralph Heidel - Curly Hair (feat. Douglas Dare) Live
MASAKO OHTA + MATTHIAS LINDERMAYR - Nozomi
Nozomi „Nozomi“ meint im Japanischen „Hoffnung“ – nichts mehr als das kann die Welt gerade dringendst gebrauchen. Die in München lebende Pianistin Masako Ohta hat mit dem Trompeter der Jazz-not-Jazz-Band Fazer ein zweites Album aufgenommen – nach dem Debüt „MMMMH“ von 2022. „Hoffnung“ meint hier aber eher das Private als das Politische: Während der Aufnahmen musste Ohta einige menschliche Verluste verkraften. Am Klavier kamen Kraft und Mut zurück: „Die Musik entfaltet sich sanft: Matthias spielt lyrisch-luftig und Masakos Akkord-Untermalung bewegt sich von zart über angespannt und wieder zurück“, wie sie ihre Arbeit beschreiben. Die meisten Stücke hat Lindermayr geschrieben, Ausnahme: „Hibari“ – ihre Interpretation des Sakamoto-Stücks. Die ruhige Zurückgenommenheit ist inzwischen das Erkennungszeichen des Duos. Eine Platte wie einmal „Entstressen vom Alltag, bitte“. (7,7 von 10 Punkten)
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Masako Ohta, Matthias Lindermayr - Hibari (Ryuichi Sakamoto) [Squama]
BATHS – Gut
Das Projekt von Will Wiesenfeld, ein experimenteller Elektronik-Produzent aus L.A. Nach sieben Jahren Plattenpause meldet er sich mit dem neuen (fünften) Album zurück – inkl. seiner elegisch-eleganten Elektro-Pop-Single „Eden“. Wills Themen – er singt zu seinen Beats – sind Sex, Körper, Instinkte. „Ich ertappe mich dabei, wie ich darüber nachdenke, wie verwirrend animalisch ich mich oft fühle – präsent im Körper, aber dissoziativ im Geist. Instinktiv“, erklärt er. „Ein ganzes Leben, in dem der Appetit an erster Stelle steht und ‚fleischlich‘ ein normaler Modus ist, der wenig Raum lässt, etwas Neues über mich selbst zu entdecken, während ich ständig auf der Suche nach der nächsten Befriedigung bin.“ Neben den digitalen Sounds hören wir auch Gitarren und echtes Schlagzeug, die das Album „live“ klingen lassen. Er hat gleich zwei Drummer engagiert. Sein Sound wurde schon als Mix aus J Dilla, Pavement und Prince beschrieben. Große Einflüsse sind für ihn selbst Anime und Videospiele. (7,4 von 10 Punkten)
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Baths - Sea of Men (Official Video)