Bayern 2 - Nachtmix

Neuerscheinungen der Woche Neue Alben von u. a. Ela Minus, Weather Station und Son Lux

Unser wöchentlicher Neuheiten-Check in den Late Night Sounds mit Ela Minus, Weather Station, Songhoy Blues, Son Lux, Lots of Hands, Brendan Moeller, Ex-Vöid, Wally & Amy Warning, jasmine.4.t und Mac Miller

Von: Angie Portmann

Stand: 17.01.2025

Weather Station | Bild: Brendan George-Ko

Weather Station – Humanhood

Die Songs auf "Humanhood" erzählen chronologisch die Geschichte eines Zusammenbruchs. Am Anfang liegt Sängerin Tamara Lindeman am Boden, zerfällt in viele viele Teile. Wer will kann hier gern eine Analogie zu unserer gerade ebenfalls etwas desolaten Weltsituation sehen. Jedes Neonlicht verwirrt Lindeman, jeder Input von außen ist ihr zu viel, das Vertrauen in die Welt ist ihr völlig abhandengekommen, jegliches Gefühl sowieso ("Neon signs"). Im letzten Song "Sewing" ist Lindeman dann wieder eins mit sich und der Welt. Und hat dafür das schöne Bild des Nähens gewählt. Eine warme Patchworkdecke nähen, in der Stolz und Scham, Schönheit und Schuld eingewoben sind. Alles andere als perfekt. Aber vielleicht gerade wegen seiner Gegensätzlichkeit, seiner Vielfalt passt alles großartig zusammen. Auch musikalisch gleicht dieses Album einer wunderbaren Patchworkdecke, in der die unterschiedlichsten Elemente eingewoben sind … Folk, Jazz, Rock und Elektronik. Ich bin übrigens ganz verschossen in die Bläser auf diesem Album. Unberechenbarkeit ist hier king. Und "Humanhood" eins meiner Lieblingsalben in dieser Woche. (8,2 von 10 Punkten)

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The Weather Station - Humanhood (Official Audio)

Ela Minus – Día

In Bogotá als Gabriela Jimeno geboren war die kolumbianische Electro-Produzentin Ela Minus schon mit 13 Schlagzeugerin in einer Hardcore-Band. Später hat sie in Bosten Jazz studiert und dort auch ihre Liebe zur elektronischen Musik entdeckt. Eine sehr direkte Liebe, denn Ela Minus arbeitet ohne Software, ohne Laptop, nur mit ihrem analogen Equipment, Synthesizern usw. Damit hat sie 2020 ein sehr kämpferisches Debütalbum produziert: "Acts of rebellion". Ein Album zwischen Club und Pop, zwischen feministischem Manifest und selbstbewusstem DIY-Statement. Übrigens damals Album der Woche im Zündfunk. Und jetzt – nach fünf Jahren Nomadentum durch die verschiedensten Clubs, Hotelzimmer und Studios – erscheint die Fortsetzung. Das neue Album beginnt mit einem düsteren, eher experimentellen Instrumentalstück, die Nacht liegt in ihren letzten Zügen, ist nur noch ein monotones Brummen … um dann in einen wunderschönen Sonnenaufgang zu münden, Vogelgezwitscher inklusive. Im zweiten Stück, in "Broken", taucht dann auch gleich die Stimme von Ela Minus auf, klar und bestimmt. Über straighten Dance-Beats singt die Kolumbianerin, "I’ve been a fool, acting all cool and now I’m broken". Auf die Nacht, auf "Acts of Rebellion," folgt jetzt also der Tag ("Día"), das bittere Erwachen. Wobei Ela Minus die Gespenster der Nacht auch am Tag verfolgen ("Idols"), sie teilweise richtig tief runterziehen. So mancher ihrer Dance-Tracks klingt dann auch eher finster und experimentell ("IDK"), die Mehrheit feiert aber den Pop ("QQQQ", "Upwards"). Mehr noch als auf dem Vorgänger-Album. Euphorischer Techno-Pop von einer, die nicht bereit ist, aufzugeben. Trotz aller Zweifel, Ängste und Enttäuschungen bleibt Ela Minus auch diesmal kämpferisch und selbstbewusst. Live geht sie damit mit Caribou auf Tour und supported auch Floating Points. (7,8 von 10 Punkten)

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Ela Minus - QQQQ (Official Audio)

Songhoy blues – Héritage

Drei der vier Bandmitglieder von Songhoy Blues kommen eigentlich aus dem trockenen Norden Malis, aus Timbuktu. Die Konflikte dort haben sie aber in die Hauptstadt, nach Bamako fliehen lassen. In Bamako ist schon ihr Debüt "Music in Exile" entstanden und dort hat das Quartett auch sein viertes Album aufgenommen: "Héritage" – Erbe. Und wie der Albumtitel schon vermuten lässt, kümmern sich Songhoy Blues hier um das musikalische Erbe der Region. Setzen weniger auf laute Led Zeppelin-Riffs wie beim Vorgänger, sondern auf ruhigere, traditionellere Klänge, auf die Stimmen bekannter Sänger Malis genauso wie auf so traditionelle Instrumente wie Kora (Harfe), Soku (einsaitige Fidel) oder Kamalengoni (achtsaitige Jugendharfe). Statt "Timbuktu Punk", wie der wesentlich härtere Sound ihrer Anfangstage genannt wurde, machen Songhoy Blues heute eher sehr angenehm dahin groovenden, akustischen "Desert-Blues". Der letzte Song auf ihrem Album heißt "Issa", was auf Songhoy so viel heißt wie Fluss. Und einem in der Sonne glänzenden Fluss gleicht auch dieses Album - ruhig, ja fast meditativ dahintreibend, mit der ein oder anderen melodischen Biegung, kleinen, polyrhythmischen Strudeln und einem gigantischen Becken an malischen Musik-Traditionen. Ein Erbe, dem Songhoy Blues hier sehr respektvoll und virtuos ein Denkmal gesetzt haben und das mich ziemlich süchtig gemacht hat. (7,9 von 10 Punkten)

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Songhoy Blues - Issa (Official Video)

Son Lux – Risk of make believe – EP

Der in LA lebende Ryan Lott und seine Mitstreiter, die beiden New Yorker Musiker Rafiq Bhatia und Ian Chang, zerschreddern auch hier wieder unsere herkömmlichen  Klangvorstellungen. Und man hat den Eindruck, sie haben richtig Spaß dabei. Klingen mal dunkel-schleppend wie Portishead, mal dramatisch wie Woodkid. Machen mit ihren düsteren, digitalen Klangexperimenten futuristische Avantgarde und könnten damit bestens den nächsten Science-Fiction-Hype vertonen. Bei ihrer Filmmusik für den überdrehten siebenfachen Oscar-Erfolg "Everything, Everywhere all at once" hat das ja auch schon hervorragend funktioniert. Nur dass es sich bei "Risk of make believe" nur um eine EP handelt, würde also nur zum Soundtrack für einen Kurzfilm taugen. Schade eigentlich. Auch diesmal geht es wieder um Veränderung, offensichtlich eins der Lieblingsthemen von Ryan Lott. Veränderung, was Identität angeht ("Cocoon"), aber auch was die Musik betrifft. So arbeiten Son Lux weiter an der Dekonstruktion von Musik und dem Erschaffen neuer Sounds und Klänge. Bleiben aber letztendlich dann doch – trotz aller Improvisationen - ihrem Trademark-Sound treu. Nämlich mehr oder weniger soulfulen Balladen, die auf abstrakte elektronische Spielereien treffen. (7,9 von 10 Punkten)

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Son Lux - Risk of Make Believe (Full EP Stream)

Lots of Hands – Into a Pretty Room

Lots of hands, das ist die Band von Billy Woodhouse und Elliot Dryden aus Leeds. Das Duo veröffentlicht mit "Into a pretty room" sein viertes Album. Das Erste, das sie nicht selbst rausbringen, sondern das bei dem Label Fire Talk erscheint. Lots of hands machen herrlich abgehangene Folktronica, umwickeln ihren sanften Bedroom Pop mit elektronischen Spielereien. Laut Platteninfo ist ihre neue Platte "between pints of beer and rounds of Fortnite” entstanden. Daran mag es dann vielleicht auch gelegen haben, dass zwischen den Songs einige dann doch etwas unterambitionierte Instrumentaltracks liegen. Ansonsten wunderbar entspannter Slacker Sound zum Abhängen. Was will man mehr im Januar. (7,8 von 10 Punkten)

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lots of hands - into a pretty room [Full Album Stream]

Ex-Vöid – In Love Again

Die Londoner Band Ex-Vöid macht super sympathischen, super schrammeligen Indie-Pop. Gitarren-Bands wie Teenage Fanclub oder The Replacements lassen grüßen. Kurztrips in Richtung Hardcore, wie auf ihrem Debütalbum, sind gestrichen, stattdessen versuchen sich Ex-Vöid diesmal sogar an einem Country-Song ("Outline"). Das mag am Alter liegen – die beiden Gründungsmitglieder Lan McArdle und Owen Williams machen schließlich schon seit über zehn Jahre zusammen Musik, zuerst in der walisischen Band Joanna Gruesome, dann, seit 2018, als Ex-Vöid. Oder es liegt an Waxahatchee, also Katie Crutchfield, mit der sie schon auf Tour waren. Und von der sie eventuell auch ihre Begeisterung für Lucinda Williams haben könnten. Weshalb Ex-Vöid jetzt auch Lucinda Williams-Fans sind und einen ihrer Songs gecovert haben, nämlich "Lonely girls". Das einzige Cover auf "In love again", diesem Album voller herrlicher, zeitloser Indie-Pop-Banger. (7,9 von 10 Punkten)

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In Love Again

jasmine.4.t – You Are The Morning

Selten umrankt ein Debüt eine so zu Herzen gehende Geschichte wie im Fall von jasmine.4.t. Die trans Singer/Songwriterin stand nach ihrem Coming Out vor den Trümmern ihrer Ehe, ja ihres bisherigen Lebens. jasmine.4.t zog daraufhin von Bristol nach Manchester, schlief auf den Sofas queerer FreundInnen und schrieb an ihrem Debütalbum "You are the morning". Feiert hier die Liebe, die romantische, aber vor allem auch die platonische und überhaupt die queere Community Manchesters, die ihr das Leben gerettet hat, so jasmine.4.t. Auch alle Mitglieder ihrer Band sind trans. Produziert haben dieses wirklich wunderschöne Singer/Songwriter-Album Boygenius, also Phoebe Bridgers, Lucy Dacus und Julien Baker. Jasmine.4.t. ist sogar die erste britische Künstlerin, die von Saddest Factory Records, dem Label von Phoebe Bridgers unter Vertrag genommen wurde. "You are the morning" ist deshalb auch in LA entstanden, u.a. auch mit dem Trans Chorus of Los Angeles ("Woman"), aber auch die Stimmen von Boygenius sind auf dem Album zu hören (u.a. "Best friend’s house"). Ein Album mit sehr ruhigen, sehr berührenden Songs wie dem optimistischen "New Shoes", aber auch mit mitreißenden Mid-Tempo-Nummern ("Elephant"), die allen Elliott Smith-Fans gefallen dürften. Definitiv meine Favoritin in dieser Woche. (8,5 von 10 Punkten)

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jasmine.4.t - You Are The Morning (Official Video)

Wally & Ami Warning – Live

"Live" ist 2023 entstanden, als die beiden gemeinsam auf Tour waren. Wally Warning, der Münchner Reggae- und Rootsmusiker mit den karibischen Wurzeln und seine Tochter Ami, die mittlerweile auch solo sehr erfolgreich ist. Gemeinsam haben sie hier versucht, Songs auf ihren Kern zu reduzieren. In "Gegenwind" zitiert Ami Warning ihre Kritiker: "du singst jetzt auf Deutsch, machst du das fürs Geld, ich glaub, dass mir das Englische besser gefällt …" Ich muss ja gestehen, ich mag es, wenn Ami Warning deutsch singt. Auch, dass sie solo ihren eigenen Stil gefunden hat und jetzt weniger Reggae, dafür mehr Hip Hop, mehr Keyboards verwendet statt der Percussion vom Papa. Vielleicht ist es das, was mir beim Hören des Live-Albums von Wally und Ami Warning gefehlt hat. Auch wenn die beiden Stimmen hier super harmonieren bzw. sich gegenseitig respektvoll Platz machen. Ab dem 17.01.2025 sind Vater & Tochter dann wieder live in Bayern und der Schweiz unterwegs. (6,5 von 10 Punkten)

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Wally & Ami Warning live - Stormy

Mac Miller – Balloonerism

"Balloonerism" ist vermutlich die letzte Veröffentlichung aus dem Nachlass des 2018 verstorbenen US-Rappers Mac Miller. Aufgenommen bereits 2014, in dem Jahr als auch "Faces" entstanden ist, geistern einzelne Tracks schon länger durchs Netz. Jetzt also der offizielle Release. Wir hören Mac Miller im Duett mit SZA, im Gespräch mit Rick Rubin, auf Lachgas und im Rap-Beichtstuhl. Tracks, die offensichtlich die Vorlage für so manchen Song auf "Faces" bildeten. Und die alle etwas sehr vages, verschwommenes, bekifftes haben … "Balloonerism" ist ein sehr smoothes Jazz-Rap Album mit dem Charme einer nach allen Seiten hin offenen Skizze. Sehr persönlich (oft geht es um Millers Drogenkonsum, aber auch um den Tod), dunkel, ja psychedelisch, aber trotzdem mit einem wunderbaren Flow und nicht nur für Mac Miller-Fans absolut hörenswert, wie ich finde. (8,2 von 10 Punkten)

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Balloonerism - A Film Based On The Album By Mac Miller (Trailer)

Brendon Moeller – Blue Moon

"Blue Moon" ist der neueste Output des in New York lebenden Südafrikaners Brendon Moeller. Moeller veröffentlicht schon seit zwei Jahrzehnten elektronische Musik, u.a. als Beat Pharmacy oder auch Echologist auf dem japanischen Mule Musiq Label. Aktuell vor allem unter seinem bürgerlichen Namen Brendon Moeller. Als solcher hat er seit Oktober vergangenen Jahres jeden Monat ein Album bzw. eine EP rausgehauen. War sein erst im Dezember erschienenes Album "Further" noch ganz im Drum’n’Bass-Rausch, klingt "Blue Moon" wesentlich dubbiger. Mit aufregende Soundscapes und deepen drones, die uns ganz weit hinauskatapultieren. Drum’n’Bass darf natürlich auch nicht fehlen, klingt hier aber subtiler, beseelter als auf dem Vorgänger. "Blue moon" ist weniger für den Club gemacht, stattdessen drückt es uns mit seinem hypnotischen Sound auf die Couch und dort gaaaanz tief in die Sofakissen. (7,9 von 10 Punkten)

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Deep Blue