Neuerscheinungen der Woche Neue Alben von Sleater-Kinney, YĪN YĪN und Andreas Dorau
Die Neuheiten der Woche im kompakten Überblick. Mit u.a. YĪN YĪN, Andreas Dorau, Don Melody Club, Kiledjian, Hot Garbage, Keep Dancing Inc, Touché Amoré und Slift.
Sleater-Kinney – Little Rope
Zusammen mit anderen Bands wie Bikini Kill gehören Sleater Kinney zu den Prototypen des „Riot Grrrlism“. Generationen von Musikerinnen haben sich an ihnen orientiert. Ihr feministischer Ansatz, ihr Mut, ihre Wut, ihr Widerstand in einer männlich dominierten Welt, das war seit den 1990er Jahren für viele ein genialer Kompass. Sie kämpften um Gleichberechtigung im Business, im Bett, in Pop und Politik. Und agierten dabei laut und selbstbewusst. Mittlerweile ist der „Revolution Grrrls Style“ mehr oder weniger in der breiten Masse angekommen. Den Riot Grrrls von damals sei Dank. Sleater-Kinney haben aber noch lange nicht fertig. Die Punk geschulte US-Indie-Rock Band, die nach dem Ausstieg von Schlagzeugerin Janet Weiss nur noch aus Carrie Brownstein und Corin Tucker besteht, hat mit „Little rope“ ein formidables neues Album veröffentlicht. Wieder laut, selbstbewusst und unglaublich catchy. Auch wenn es um das Thema Trauer und Verlust geht. Denn obwohl „Little Rope“ vom Tod der Mutter und des Stiefvaters von Carrie Brownstein inspiriert ist, ist es kein nachdenkliches Album geworden, ist ganz anders als ihre letzte Platte, das relativ konventionelle „Path Of Wellness“. „Little Rope“ klingt wieder dringlich wie einst. Das mag auch am neuen Produzenten liegen – John Congleton. Der ist schon bei Steve Albini in die Studioschule gegangen und hat später u.a. St. Vincent, Sharon van Etten und Angel Olsen produziert. Und ist nicht nur für seine kantigen Gitarren bekannt, sondern auch dafür, MusikerInnen im Studio extrem zu fordern. Von Corin Tucker wollte er z.B., dass sie „Say it like you mean it“ noch mal einsingt. Tucker fand das gar nicht lustig … musste aber am Ende eingestehen, dass die zweite Version des Songs wesentlich besser klang als ihre ursprüngliche Variante. (8,2 Punkte)
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Say It Like You Mean It
Ekkstacy – Ekkstacy
Vor fünf Jahren wär der Kanadier beinah gestorben. Der heute 21-jährige Ekkstacy, bürgerlich Khyree Zienty, wurde damals ins Krankenhaus eingeliefert, nachdem er aus dem zweiten Stock eines Hauses in Vancouver gesprungen und in einem Betontreppenhaus gelandet war. Schuld war eine drogeninduzierte Psychose. Es dauerte eineinhalb Jahre, bis er sich davon erholt hatte. Die ersten Songs, die er danach schrieb klangen noch nach Cloud Rap. Aber schon bald entdeckte er den Indie-Rock für sich bzw. entwickelte seinen eigenen sehr zeitgemäßen Trademark-Sound, einen Hybrid aus Lo-Fi-Rock, Pop und strahlenden Shoegazing-Momenten. So sonnig die Hooks, so düster die Texte, in denen es viel um die Einsamkeit auf Tour geht („I can’t find a reason to left this house / I have none / I can’t find someone“), aber auch ganz romantisch um die Liebe („Chicago“). Musikalisch reicht das Spektrum vom gemütlichen, leicht vernebelten Popsong („Problems“ feat. Trippie Redd) über hymnischen Power-Pop (“Shutting me out”) bis zur Gitarrenwand („The Headless Horseman Has Lost His Way“). Aber egal, was Ekkstacy tut, es klingt immer super melodisch, fast cheesy und sehr smart. Die Generation Z ist nicht umsonst begeistert von ihm. Und wird es auch von diesem Album sein. Mir persönlich ist das Ganze allerdings noch nicht aufregend genug. (7,7 Punkte)
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EKKSTACY - Chicago (Official Lyric Video)
YĪN YĪN - Mount Matsu
„Mount Matsu“ von der Maastrichter Instrumentalband YĪN YĪN ist ein Feuerwerk von Album, super eklektisch und weird. Wir starten die Reise in Japan, mit Songtiteln wie „Takahashi Timing“, „Komori Uta“ oder „Tokyo Disco“. Streifen orientalischen Rock, asiatische Psychedelia, Surfmusik, Tropicalia, Soul und ganz viel Disco. Und das alles im Zeichen von ähnlich experimentierfreudigen Bands wie Khruangbin oder Os Barbapapas. Schön auch der Name des Albums: „Mount Matsu“. „Matsu“ heißt im japanischen Kiefer und dient als Symbol der Hoffnung für die Zukunft. Schade, dass YĪN YĪN in der nahen Zukunft nicht in Bayern spielen. Die Niederländer sind eine grandiose Liveband. Ihr organischer Psych-Funk-Rock bringt zusammen, was auf den ersten Blick nicht unbedingt zusammengehört, was aber bedingungslos groovt. (8,1 Punkte)
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Takahashi Timing official audio video
Andreas Dorau – Im Gebüsch
Um sich abzulenken veröffentlicht Andreas Dorau genau an seinem 60. Geburtstag „Im Gebüsch“. Dazu Dorau: „Ich habe Angst vor meinen Gedanken am 60. Meine Lieblingstätigkeit ist es, Platten herauszubringen. Außerdem werde ich ja zum ersten Mal 60.“ Und diesen 60. feiert er mit fabelhaftem Dada-Pop voller Dorau-Gags. Ein Geschenk für alle Dorau-Jünger, die schon seit Jahrzehnten seinen verbalen Minimalismus, seinen skurrilen Humor, seine „Happy Sadness“ feiern. Diese geniale Fähigkeit, die Welt, unseren seltsamen Planeten und die Menschen, diese komischen Wesen, knapp, aber liebevoll weichzuzeichnen. In all ihrer Schönheit und Tragik. Den Dorau-Sound, diesmal einen kleinen Ticken elektronischer als sonst, hat der Musiker und Produzent Zwanie Johnson gezimmert und wunderbar passend gemacht. Damit lässt sich jede Art von Weltschmerz lässig wegtanzen. Andreas Dorau: „Ich fand als Kind Bands, die ständig ihren Sound ändern, von Folk zu Progrock oder so, ganz schlimm, weil ich enttäuscht war. Seit ich Musik mache, hatte ich mir vorgenommen, dass es das bei mir niemals geben soll. Wenn ich mal das Bedürfnis hätte, etwas anderes zu machen, würde ich tatsächlich den Namen ändern.“ (7,9 Punkte)
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Andreas Dorau - Ich bin nicht ich (Official Video)
Don Melody Club – Zonder Pardon-EP
Don Melody Club. Unter diesem Namen veröffentlicht der Amsterdamer Musiker Donald Madjid, auch Teil der Mauskovic Dance Band, seine EP „Zonder Pardon“ … und singt, hört man auch nicht oft, niederländisch. Insgesamt cool vor sich hin blubbernder Retro-Synth-Pop, sleazy, funky und den 80’s und ihrem Disco-Feeling offensichtlich nicht abgeneigt. Don Melody Club bzw. Donny Madjid und seine Roland CR-78 surfen hier gemütlich die Dutch Wave. Denn Madjid bezieht sich ganz bewusst nicht auf internationale Namen, sondern auf niederländische Größen. Auf Musiker und Bands wie den 2009 verstorbenen Chansonnier Ramses Shaffy, den Jazz-Pianisten Ronald Langestraat oder die New Wave Legende Doe Maar. Und auch wenn die Talking Heads immer wieder durchblitzen, verhilft hier Donny Madjid der Dutch Wave zu einem sehr charmanten Update. (7,9 Punkte)
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Don Melody Club - Zontimenteel
Kiledjian - The Otium Mixtape
David Kiledjian hat französisch-armenische Wurzeln und lebt in Lyon. „The Otium Mixtape” (von lateinisch „otium“, die Muße, das kreative Nichtstun) ist sein erstes Album, das er solo als Kiledjian veröffentlicht. Daneben ist er auch Teil des kreolisch-karibisch beeinflussten Quartetts Dowdelin und des Duos HILA. Für sein Solo-Album konzentriert er sich auf Jazz, HipHop, Soul und elektronische Elemente. Hat dazu auch einige interessante Gäste geladen (z.B. Sako Wana, Celia Wa). Alles klingt wahnsinnig entspannt und laid back. Kein Wunder, erste Skizzen sind während eines Aufenthalts in einem kleinen Haus am Meer entstanden. Trotzdem hat es mich nicht ganz überzeugt, das Album. Der Gesang von David Kiledjian ist mir zu hölzern, so mancher Song, obwohl aufwändig arrangiert, zu belanglos. Auch das gepflegte Nichtstun will gelernt sein und darf vor allem nicht langweilig werden. (6 Punkte)
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Shaadü (feat. Sako Wana)
Keep Dancing Inc - A Taste of Possibility
Wir bleiben in Frankreich, von Lyon geht’s jetzt in die Hauptstadt, nach Paris zu dem Indie-Trio Keep Dancing Inc und ihrem zweiten Album „A Taste Of possibilitiy“. Mein erster Gedanke beim Hören: Oh, da ist jemand Phoenix-Fan („A taste of possibility“). Aber nicht nur das, da steht jemand auch auf Rockabilly („Murderer Mourns Again“), Synth-Pop a la New Order („Chinese Town“) und 2-Step („GPS“). Die Franzosen von Keep Dancing Inc. sind offensichtlich noch auf der Suche nach ihrem Sound, jeder Song folgt einer anderen Blaupause. (6,9 Punkte)
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Keep Dancing Inc - A Taste Of Possibility (Official Video)
Green Day – Saviors
Dieses Trio hier hat seinen Trademark-Sound schon vor einiger Zeit gefunden – Green Day feiern 2024 den 30. Geburtstag ihres Klassikers „Dookie“ und den 20. von „American Idiot“. Damit könnten sie es eigentlich gut sein lassen und sich mit ihren 90 Millionen verkauften Alben an den Pool legen. Doch nun kommt tatsächlich Album Nummer 14 „Saviors“. Gespickt mit potentiellen Punkrock-Klassikern. Green Day klingen hier so frisch als kämen sie grad vom College. Punkrock für die Stadien dieser Welt, ich seh die Mengen schon begeistert auf und ab springen. Green Day haben sich für „Saviors“ offensichtlich noch mal mächtig ins Zeug gelegt, haben sich dazu „Dookie“-Produzenten Rob Cavallo ins Studio geholt und beziehen politisch wieder deutlich Stellung, schließlich sind Wahlen dieses Jahr in Amerika. Und so haben sich die Drei gleich an Sylvester mit Trump angelegt, als sie gegen seinen MAGA-Slogan, Make America great again, angesungen haben. Jetzt haben sie auch noch Social-Media-wirksamen Beef mit Elon Musk. Wenn man böse sein will, könnte man sagen, da läuft marketingtechnisch alles nach Plan. Trotzdem, danke Green Day! (7,8 Punkte)
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The American Dream Is Killing Me
Hot Garbage – Precious Dream
Das neue Album von Hot Garbage aus Kanada heißt „Precious Dream“. Ein herrlich verstörender Traum aus Psych Pop, Post Punk, Kraut-, Garagen- und Desert Rock. Mit unerbittlich treibenden Rhythmen, die mich an ihre kanadischen Kollegen von Holy Fuck erinnern, mit denen sich Hot Garbage, ebenfalls aus Toronto, den Produzenten teilen. Aber auch an Broadcast und ihren Synthie-lastigen Psych-Pop lassen mich Hot Garbage denken. Genauso wie an die schwer verzerrten Gitarren von Royal Trux. Denn auch Hot Garbage haben ordentlichen Wumms, klingen roh und ungestüm und stehen bevorzugt auf der Dark Side of Life. Und damit auch auf meiner Wishlist… (7,9 Punkte)
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Hot Garbage - Mystery [Official Video]
Slift – Ilion
Neu bei Sub Pop sind Slift aus dem französischen Toulouse. Ihre Platte trägt den Titel „Ilion“. „Ilion“, der altgriechische Name von Troja. Und der Grund weshalb Homers „Ilias“ „Ilias“ heißt. Wer die „Ilias“ kennt, weiß: hier geht’s immer ums große Ganze. Was die „Ilias“ über Menschen und Kriege sagt, gilt bis heute. „Ilion“ von Slift dreht sich deshalb auch um nichts weniger als den Untergang der Menschheit und ihre Wiedergeburt. Harter Tobak auf alle Fälle. Aber es lohnt sich. Slift walzen über uns hinweg wie eine gigantische Melodielawine, die alles mitreißt, was sich ihr in den Weg stellt. Dem Trio ist dazu jedes Mittel recht: Psych Rock, Post Rock und eine geballte Ladung Metal. Erinnert mich zwischendrin immer wieder an die großen Godspeed! You Black Emperor oder auch die frühen … And you will know us by the trail of dead. (8,3 Punkte)
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SLIFT • ILION (Official Audio)