Das Thema Die Bakterien schlagen zurück
Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs hatte das War Production Board die Hauptmenge der lebensrettenden Wunderdroge für die Armee reserviert.
Frühe Warnung, späte Einsicht - Bakterien schlagen zurück
Nach dem Sieg der Alliierten sind solche Beschränkungen sinnlos geworden. Endlich steht Penicillin auch für den zivilen Gebrauch zur Verfügung und kann von jedermann in jedem Drugstore für Centbeträge gekauft werden.
Eine Art Vollkaskoschutz gegen Bakterien
Geschürt von der Pharmaindustrie, die immense Produktionskapazitäten aufgebaut hat, immer größere Mengen auf den Markt wirft und nun Absatzeinbußen fürchtet, bricht eine regelrechte Penicillineuphorie aus. Das Medikament wird massenhaft verschrieben und konsumiert. Der medial angeheizte Hype treibt bisweilen aberwitzige Blüten. Als Zusatzstoff in Lippenstiften, Rouge, Schnupftabak oder Kaugummi empfohlen, soll Penicillin prophylaktisch jedwedem Bakterienbefall vorbeugen. Schon bald mutiert die Wunderdroge zur wohlfeilen, überschwänglich eingesetzten Alltagsarznei und wird wie ein antibakterieller Vollkaskoschutz völlig bedenkenlos bei jedem Zipperlein geschluckt.
Flemings missachtetes Menetekel
Eine Zeitlang sieht es tatsächlich so aus, als sei die historische Schlacht gegen lebensbedrohende Infektionen ein für alle Mal erfolgreich geschlagen. Doch schon bald setzt eine Entwicklung ein, vor der Fleming bereits 1945 in Stockholm gewarnt hatte:
"Es wird vielleicht eine Zeit kommen, in der Penicillin in jedem Laden gekauft werden kann. Wenn aber unwissende Menschen das Medikament nicht lange genug oder in ungenügenden Dosen einnehmen und dadurch nicht alle Bakterien abtöten, wächst die Gefahr, dass die Mikroben resistent gegen das Antibiotikum werden."
Alexander Fleming
Die Wunderwaffe wird stumpf
Obwohl britische wie auch andere nationale Behörden das Medikament daraufhin als verschreibungspflichtig deklarieren und den freien Verkauf unterbinden, verhallt Flemings frühe Mahnung weitgehend ungehört. Der Masseneinsatz ist nicht zu stoppen, der Missbrauch ebenso wenig. So kommt, was kommen musste. Seit Beginn der 1960er Jahre häufen sich Todesfälle, weil penicillinhaltige Antibiotika nicht mehr wirken. Die allmählich gefeiten Bakterien schlagen zurück. Als Ende 1967 auf einer Kinderstation im englischen Middlesbrough elf Säuglinge an einer Infektion mit Kolibakterien sterben, die gegen Penicillin unempfindlich sind, vermutet der britische Bakteriologe Ephraim Saul Anderson (1911-2006), dass sich diese Resistenz in Tieren ausgebildet haben könnte und warnt zugleich vor einer Epidemie ungeahnten Ausmaßes.
Die Swann-Kommission schlägt Alarm
Aufgeschreckt durch Andersons unheilsschwangere Prophezeiung gibt das britische Parlament 1968 eine Studie in Auftrag, die den Vermutungen nachgehen soll. Die nach ihrem Leiter, dem Molekular- und Zellbiologen Michael Meredith Swann (1920-1990) benannte Kommission prüft Andersons These und kommt zu drei folgenschweren Ergebnissen:
- Tiere sind tatsächlich Brutstätten resistenter Bakterien, die auch den Menschen befallen können.
- Die aufgetretenen Resistenzen wurden durch den inflationären Antibiotikaeinsatz bei Tieren erzeugt.
- Ein kausaler Zusammenhang zwischen der Verwendung von Antibiotika bei Tieren und dem Auftreten resistenter Bakterien beim Menschen muss als nachgewiesen gelten.
Gefährliche Gier - Vom Heil- zum Mastmittel
Was war geschehen? Wie hatte es soweit kommen können? Als Auslöser des Debakels gilt eine pfiffige Geschäftsidee aus den späten 1940er Jahren, die sich im Nachhinein als Beginn einer verhängnisvollen Fehlentwicklung herausstellt. Kurz nach dem Krieg war ein Pharmahersteller auf die Idee verfallen, bei der Produktion übrig gebliebene Proteinreste als Futterzusatz für Schweine zu verwerten. Erste Tests zeigten ein erstaunliches Ergebnis: Obwohl die Tiere weniger Futter bekamen, wuchsen sie schneller als ihre normal gefütterten Artgenossen. Zunächst glaubten die Forscher, sie hätten ein neues Vitamin gefunden. Dann erkannten sie, dass Antibiotikareste in den Eiweißabfällen das Wachstum der Tiere beschleunigten.
Zu viele Schlupflöcher, zu wenig Kontrolle
Es dauert nicht lange, bis Tierzüchter weltweit dem Futter Antibiotika beimischen oder bereits angereichertes Fertigfutter kaufen. Was diese ausufernde Praxis anrichtet, kümmert zunächst niemanden. Erst die handfesten Ergebnisse der Swann-Kommission schieben ein allmähliches Umdenken an. Schließlich verbieten viele Regierungen aufgrund der Kommissionsempfehlungen den Einsatz von vier verschiedenen Antibiotika-Typen in der Landwirtschaft. Da andere Antibiotika aber weiterhin als Wachstumsförderer eingesetzt werden dürfen, bleibt die Maßnahme letztlich wirkungslos.