Das Thema Die Kettenreaktion
Die Frage, wie resistente Bakterien auf den Menschen übertragen werden, ist trotz vieler Hinweise und Erklärungsmodelle nicht abschließend geklärt.
Fatale Kettenreaktion - Die Wege der Resistenzbildung
Neben einer direkten Ansteckung kristallisieren sich das Trinkwasser sowie die Nahrung als mögliche Eintragspfade und Auslöser vermehrter Resistenzbildungen heraus.
Verbreitung über den Wasserweg
Dass Oberflächen-, Grund- und Trinkwässer mit Arznei- und Antibiotikarückständen belastet sind, ist seit Ende der 1990er Jahre nachweisbar. Eine zentrale Rolle bei der Verbreitung von Antibiotika-Resistenzen über das Wasser könnten nach Meinung einiger Wissenschaftler die Abwässer von Krankenhäusern spielen. Diese Quellen schleusen Antibiotika und resistente Keime in hoher Konzentration ins öffentliche Abwassernetz ein und übertragen Resistenzgene auf Wasserbakterien, die den Klärprozess überleben und ins Trinkwasser gelangen. Noch unbestätigten Vermutungen zufolge übertragen die an sich harmlosen Wasserbakterien ihre Antibiotika-Resistenz auf die normale Darmflora des Menschen, die nun teilweise gegen Antibiotika resistent wird.
Als weitere Verunreinigungsquelle gelten Kot und Urin von Zuchttieren, die Antibiotika als Futterzusatz, Wachstumsförderer und Arzneimittel aufgenommen haben. Rund 90 Prozent der an Schweine, Rinder oder Geflügel verfütterten Antibiotika werden unverändert ausgeschieden und gelangen mit der Gülle bzw. dem Mist in den Boden und ins Trinkwasser.
Aufnahmen über Nahrungskette
Neben der Annahme, dass Lebensmittel tierischer Herkunft resistente Bakterien sowie Antibiotikarückstände enthalten können, die in der menschlichen Darmflora zu einer Resistenzselektion führen, erhärtet sich auch der Verdacht einer Aufnahme über die Nahrungskette. So wurden im Mai 2005 in einer vom NRW-Verbraucherschutzministerium in Auftrag gegebenen Studie erstmals in der Tierhaltung eingesetzte und durch Gülleausbringung auf Felder gelangte Antibiotika auch in Nutzpflanzen nachgewiesen. Damit belegt die Studie, dass in der Tierzucht eingesetzte Antibiotika nicht nur ins Trinkwasser, sondern unmittelbar über die Nahrungskette in den menschlichen Körper gelangen können. Die geringen Rückstandsmengen sind beileibe kein Anlass zur Entwarnung. Denn gerade geringe Antibiotikadosen sind gefährlich, weil die Krankheitserreger nicht abgetötet werden, aber gegen diese Antibiotika resistent werden.
Die Apokalypse ist hausgemacht
Aufgrund dieser Entwicklung hat die Weltgesundheitsorganisation WHO resistente Bakterien und das Fehlen wirksamer Medikamente zu einem der größten Gesundheitsprobleme weltweit erklärt. Ein drastischer Einzeleffekt ist dabei der erneute Vormarsch der Tuberkulose. Mit ein bis zwei Millionen Toten jährlich zählt sie zu den schlimmsten Infektionskrankheiten. Am meisten gefährdet durch multiresistente Tuberkuloseerreger sind die Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion. Als Brutstätten einer rasch um sich greifenden Tuberkuloseepidemie gelten dort nicht zuletzt die überfüllten Gefängnisse mit mangelernährten und immungeschwächten Gefangenen.
Machen Mikroben das Rennen?
Angesichts der ungebremsten Resistenzausbreitung sehen manche Mediziner nach dem Zeitalter der Antibiotika bereits eine Post-Antibiotika-Ära heraufdämmern. Wenn es nicht gelingt, das Resistenzproblem in den Griff zu bekommen, könnten Mikroorganismen entstehen, die wir nicht mehr in Schach halten werden, auch nicht mit dem letzten Antibiotikum, das uns noch geblieben ist. Dann stünde die Menschheit wieder dort, wo sie vor der Entdeckung des Penicillins und seiner Nachfolger stand: Abgeschlagen im hilflosen, aussichtslosen Kampf gegen tödliche Infektionen.