Das Thema Teamarbeit auf Flemings Spuren
Aller Zufallsmomente und Vorläufer ungeachtet bleibt es Flemings unbestrittenes Verdienst, die Tragweite des Offensichtlichen erkannt und einer eingehenden Analyse unterzogen zu haben. Trotzdem: Im Gang der Penicillingeschichte hat die bloße Entdeckung des Wirkstoffs allenfalls Expositionscharakter.
Penicillin, die Zweite: Teamarbeit in Oxford
Die eigentliche Handlung, die eigentliche Erfolgsstory, beginnt neun Jahre später an der Dunn School of Pathology der Universität Oxford. Mit dem Schauplatz wechseln auch die Helden. Fleming spielt nur noch eine Nebenrolle, nun treiben der Pathologe Howard Walter Florey (1898-1968) und der Biochemiker Ernst Boris Chain (1906-1979) das Geschehen voran.
Neuer Anlauf auf Flemings Spuren
Walter Florey, seit 1936 Chef der Oxforder Pathologie, und der bereits 1933 vor den Nazis aus Deutschland geflohene Berliner Jude Ernst Chain widmen sich ab 1938 verstärkt der Erforschung antibakteriell wirksamer Substanzen. Sie sind fasziniert von den Eigenschaften des Lysozyms und starten ein großangelegtes Forschungsprojekt, um weitere natürliche Bakterienantagonisten aufzuspüren. Bei der Sichtung der einschlägigen Literatur stößt Chain auf Flemings zehn Jahre alten Penicillinaufsatz und ist sofort elektrisiert. Auch Florey spürt auf Anhieb, dass hier Nuggets im Boden stecken, die das Nachgraben lohnen. Der gewiefte Wissenschaftsmanager wirbt Forschungsmittel ein und schart eine zwölfköpfige, multidisziplinäre Arbeitsgruppe um sich, die das erstaunliche Potenzial des Schimmelsaftes systematisch ausloten soll. Zum Kernteam der "Oxfordgruppe" gehören neben Florey und Chain vor allem der Bakteriologe Norman Heatley (1912-2004) als Spezialist für Zellkulturen und der erfahrene Biochemiker Edward Penley Abraham (1913-1999). Beide nehmen schon bald Schlüsselrollen bei der Überwindung jener Hürden ein, vor denen Fleming kapitulieren musste.
Die Jagd nach dem reinen Stoff
In langen Versuchsreihen gelingt es vor allem Heatley und Abraham nach und nach, größere Mengen der Schimmelpilzlösung herzustellen, das Penicillin anzureichern, zu reinigen und zu stabilisieren. Im Sommer 1940 sind die Vorarbeiten hinreichend gediehen, um den Wirkstoff im Tierexperiment zu erproben. Am 24. August infizieren die Forscher schließlich 50 Laborratten mit einer absolut tödlichen Menge an Streptokokken. Während die Hälfte der Ratten eine Penicillininjektion erhält, bleibt die Kontrollgruppe sich selbst überlassen. Bereits nach wenigen Stunden sind die unbehandelten Tiere tot, alle anderen überleben. Das könnte Zufall sein. Daher setzen Chain und Florey ihre Testreihen fort. Um die nötigen Wirkstoffmengen zu gewinnen, setzen sie den Schimmelpilz in Badewannen, Bettpfannen, Milcheimern und Essgeschirr an, eigens angestellte "penicillin girls" sind damit beauftragt, die Nährflüssigkeit regelmäßig zu erneuern und die Produktion zu überwachen.
Die Fährte ist heiß
Nach wiederholten, erfolgreichen Versuchen stehen Ende 1940 zwei Dinge fest: Penicillin wirkt selbst gegen aggressivste Bakterienstämme und ist nicht giftig für Mäuse, Ratten und Hasen. Aber wie reagiert der menschliche Organismus? Verträgt er die Substanz, wie hoch muss und wie hoch darf die Dosis sein? Kann Penicillin bakterielle Infektionen tatsächlich dauerhaft heilen? Florey muss diese Frage klären, unbedingt. Doch noch ist der Wirkstoff nicht sauber genug für den entscheidenden Versuch am Menschen. Er muss nochmals stärker gereinigt, nochmals stärker konzentriert und vor allem in deutlich größeren Mengen hergestellt werden. Das erste Problem löst Abraham. Er schafft es, aus der Nährlösung den ersten Reinstoff in Pulverform zu gewinnen. Zugleich kann Heatley den Herstellungsprozess vereinfachen, den Ausstoß steigern und ein industriell reproduzierbares Verfahren aufsetzen.