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Das Thema Einzelkampf und Ignoranz

Stand: 29.06.2012 | Archiv

Probenentnahme | Bild: picture-alliance/dpa

Der leuchtend gelbe Extrakt, den Fleming aus seiner Schimmelbrühe gewinnt, zeigt überraschende Eigenschaften. Selbst in höchster Verdünnung hemmt er das Bakterienwachstum und vernichtet eine Reihe unterschiedlichster, für Menschen gefährlicher Erreger. Und das offensichtlich, ohne den Organismus zu schädigen.

Penicillin, die Erste - Ein Wunder dreht Warteschleifen

Jedenfalls treten bei Mäusen und Kaninchen, denen er die Lösung einspritzt, keine Vergiftungserscheinungen auf, und anders als die bekannten chemischen Antiseptika, lässt der Schimmelsaft die weißen Blutkörperchen ungeschoren. Äußerlich aufgetragen bewährt sich das Pilzfiltrat als Heilmittel für infizierte Wunden, obendrein taugt es dazu, gefährliche von harmlosen Erregern zu unterscheiden.

Der Einzelkämpfer gibt sich geschlagen

Obwohl Fleming schon bald überzeugt ist, dass intravenös gespritztes Penicillin auch Lungen- und Hirnhautentzündungen oder sogar die Syphilis bekämpfen könnte, schreckt er vor Versuchen am Menschen zurück. Für In Vivo-Experimente bräuchte er größere Mengen des Wirkstoffs in hoch angereicherter, stabiler Reinform. Genau daran hapert es. Fleming ist ein Einzelkämpfer und wohl auch ein Einzelgänger, der weder über die nötigen biochemischen Kenntnisse noch über die erforderliche Laborausstattung verfügt. Was er mit seinen beschränkten Mitteln herstellt, ist nicht gehaltvoll genug, stark verunreinigt und bereits nach wenigen Tagen wirkungslos. Als er schließlich einsieht, dass seine Möglichkeiten ausgereizt sind, stellt er die Beobachtungen ein. Die Bedeutung seines Fundes, den er 1929 abschließend im "British Journal of Experimental Pathology" veröffentlicht, ist ihm dennoch bewusst:

"Ich ahnte, dass es etwas Gutes war, auch wenn ich letztlich noch keine Vorstellung davon hatte, wie gut es tatsächlich war."

Alexander Fleming

Ein Paukenschlag ohne Widerhall

Wie der bereits sieben Jahre früher veröffentlichte Aufsatz zum Lysozym bleibt auch der Penicillinartikel völlig unbeachtet. Obwohl Fleming seine Entdeckung ausführlich schildert und durch stichfeste Labordaten untermauert, verschläft die Fachwelt den historischen Paukenschlag. Dafür gibt es viele Gründe. Einmal ist Fleming ein ungeschickter Präsentator und eher trockener Schreiber, der sich nicht auf effektives Selbstmarketing versteht. Zum andern bleibt er den Nachweis eines humanklinischen Nutzens schuldig, seine Untersuchungen beschränken sich auf In Vitro-Versuche und Tierexperimente. Und drittens ist der bloße Hinweis auf die antibakterielle Wirkung von Schimmelpilzen an sich nichts aufregend Neues, sondern Jahrtausende altes heilkundliches Wissen. Bereits ein medizinischer Traktat aus dem 16. Jahrhundert vor Christus, der so genannte Ebner Papyrus, empfiehlt Ärzten, eitrige Wunden mit Brotschimmel zu versorgen. In vielen Kulturen, sowohl im alten China, wie auch im Orient und im Abendland, setzten Wundärzte seit jeher auf die infektionshemmende Heilkraft verschimmelter Lebensmittel und Getreideprodukte. Selbst in England ist das Auflegen mit Schimmelsaft getränkter Tücher auf Wunden eine gebräuchliche Praxis der Volksmedizin.

Die Tür ist offen, aber keiner tritt ein

Neu ist noch einmal die antibakterielle Wirksamkeit des Penicillium-Schimmels im engeren Sinn. Bereits Joseph Lister (1827-1912), der berühmte Bakteriologe und Vater der antiseptischen Chirurgie, hatte 1871 festgehalten, dass Penicillium glaucum das Bakterienwachstum hemmt. Doch obwohl er den Gesäßmuskelabszess einer Krankenschwester mit Penicilliumextrakten erfolgreich kuriert, verschwendet er keinen Gedanken auf die wissenschaftliche Untersuchung des Phänomens. Knapp dreißig Jahre später stößt der französische Militärarzt Ernest Duchesne (1874–1912) erneut auf die antimikrobielle Wirksamkeit von Schimmelpilzen. Doch keiner hört dem Newcomer, dem Jungspund ohne Meriten, zu. Da die erlauchten Professoren am Institut Pasteur seine 1897 eingereichte Doktorarbeit, in der er einen therapeutischen Einsatz des Pilzwirkstoffs vorschlägt, kopfschüttelnd ablehnen, lässt Duchesne das Thema fallen. Dass auch Flemings Entdeckung oder Wiederentdeckung des Penicillins um ein Haar das Schicksal kollegialer Ignoranz und der Vergessenheit geteilt hätte, gehört zu den großen Merkwürdigkeiten der Medizingeschichte.


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