Damit schält sich die erfolgreiche Flucht einer kleineren beduinischen Bausklavenabteilung zur Zeit der Ramessiden (1309-1070 v. Chr.), womöglich unter Ramses II. oder seinem Nachfolger Merenptah als denkbarer und möglicher historischer Anker der Exoduserzählung heraus.

Mose und der historische Minimalkonsens

Mose könnte diese Gruppe angeführt haben, die auf ihrem Weg unweigerlich midianitisches Gebiet durchqueren musste. Möglichweise spielte Mose bei der Vermittlung und Übernahme des Jahwe-Glaubens der Midianiter eine Schlüsselrolle. Beim Versuch, den Jordan zu überqueren könnte dieser Mose dann gestorben sein.

In dieses Bild passt auch das betonte Fehlen einer festen Grabstätte. Solche Begräbnisplätze sind in der Regel feste Ursprungsorte der Traditionsbildung. Hätte bereits der geschichtliche Mose jene übergroße Bedeutung gehabt, die dem literarischen erst im Lauf der Zeit zugewachsen ist, hätten sich zumindest Hinweise auf ein reales Grab erhalten müssen. Das Fehlen eines Grabes musste angesichts der behaupteten Bedeutungsfülle daher bemerkenswert erscheinen und erklärt werden.

Wirkungsgeschichte statt Biografie

Mehr und besser Gesichertes ist über den Mann Mose nicht herauszufinden. Vielleicht gibt der Wüstensand eines Tages neue Funde frei, die seinen Namen nennen und ihn als Anführer einer Schar flüchtiger Fronbeduinen bestätigen. Doch was wäre letztlich mit einer historischen Verifizierung gewonnen? Die eigentliche Dimension des Mose ist nicht der geschichtliche Moment, sondern die überdauernde Wirkung, die er als geschaffene Gestalt und Identifikationsfigur entfaltet hat.

Vom Wüstenvolk zum Volk des Buches

"Mose steht im Judentum ganz und gar für das, was er übermittelt hat, nämlich dass alle Offenbarung, alle Verbindung zu Gott und mit Gott über das Buch geht", resümiert der Alttestamentler Christoph Dohmen. "Und das Buch, die Grundlage der heiligen Bücher, ist im Judentum mit Mose verbunden, alle Lehre und alles, was in späteren Traditionen sich entwickelt, ist mit Mose verbunden. Also Mose ist nicht so sehr in der jüdischen Identität Religionsstifter, die Religion ist mit Abraham begründet, die Verbindung mit Gott aber, die Art und Weise, wie diese Verbindung zu Gott gelebt werden soll, das läuft zusammen in dieser Person des Mose."