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Ideen sind stärker als Waffen

Von: Simon Demmelhuber / Autor: Christian Feldmann

Stand: 16.05.2012 | Archiv

Mose und sein Gott: Ideen sind stärker als Waffen

ReligionHS, RS, Gy

Findelkind, Pharaonenschreck, Volksbefreier, Wüstenfuchs, Gottesfreund, Gesetzgeber, Bibelautor. Mose ist die ganz große Nummer, ein Superstar dreier Weltreligionen. Leider hat die Geschichte einen Haken: Sie ist falsch und muss von Grund auf neu erzählt werden.

Mose ist ein Typ für starke Bilder: Aus einem brennenden Busch heraus beruft ihn Gott zum Befreier Israels. Am Schilfmeer teilt er mit gebietender Geste die Fluten für das fliehende Gottesvolk, ein zweiter Wink seiner Arme ersäuft die Verfolger. Blitze, Donner, Feuer und Rauch umhüllen ihn am Sinai, wo er das Gesetz aus der Hand des Herrn empfängt. Sein Stock schlägt Wasser aus dem Fels, sein Flehen lässt Manna vom Himmel regnen. Und als seine Tage schließlich gezählt sind, führt Gott ihn auf den Gipfel des Nebo, wo sein letzter Blick das gelobte Land umfängt.

Gottesstreiter mit Ewigkeitsanspruch

Mose der Held, Mose überlebensgroß! "Niemals wieder ist in Israel ein Prophet wie Mose aufgetreten. Ihn hat der Herr Auge in Auge berufen. Keiner ist ihm vergleichbar, wegen all der Zeichen und Wunder, die er in Ägypten im Auftrag des Herrn am Pharao, an seinem ganzen Hof und an seinem ganzen Land getan hat." (Dtn 34,10f.)

So steht es in der Bibel, so hat ihn Michelangelo in Stein gemeißelt, so hat ihn unser kulturelles Gedächtnis abgespeichert: Als Retter und Wüstenführer, als Künder der Zehn Gebote, als zürnenden Eiferer Jahwes, als Einpeitscher des Eingottglaubens und schließlich als Verfasser der Fünf Bücher Mose, die das Fundament der hebräischen Tora und des Alten Testamentes legen.

Ein Heldenbild wird abgewickelt

Nahezu anderthalb Jahrtausende hielt dieses Bild. Mose thronte als fugenloser Monolith, seine Gestalt und seine Geschichte galten als Tatsache, deren historische Wahrheit keinen Zweifel zuließ. Erst mit dem Beginn der Aufklärung setzte ein dramatischer Wandel ein. Skeptische Geister wiesen zunächst vereinzelt, dann immer dichter und rascher auf Unstimmigkeiten im überlieferten Korpus hin. Sprachwissenschaftliche, theologische, historische und archäologische Befunde brachten den Monolithen Mose immer heftiger ins Wanken.

Die Seziermesser einer ständig verfeinerten historisch-kritischen Bibelforschung zergliederten den Bau des Buchs der Bücher und zeigten, dass es weit nach dem Auszug aus Ägypten zu unterschiedlichen Zeiten von unterschiedlichen Verfassern geschrieben wurde und damit keinesfalls von Mose stammen konnte. Schließlich stellten nicht wenige Forscher die Geschichtlichkeit des Geschehens und zuletzt auch die Geschichtlichkeit der Gestalt vollends in Frage.

Zwischen Totalausfall und Resteverwertung

Was nun: Mose der Fake, alles nur Fiktion, frei erfunden und fromm erlogen? Oder geben die Trümmer eines falschen Mose-Bildes endlich den Blick frei auf etwas, das nun als historischer Kern unter den in Jahrhunderten aufgehäuften literarischen Überlagerungen sichtbar wird?


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