Arne Semsrott: Kampf gegen Paragraph 353d "Ich versuche zu erreichen, dass der Paragraph für verfassungswidrig erklärt wird"
Arne Semsrott kämpft gegen ein Verbot, das noch auf eine Zensur-Gesetzgebung aus der Kaiserzeit zurückgeht – und will sich dafür erst einmal verurteilen lassen: Denn Paragraph 353d untersagt das Veröffentlichen von Originaldokumenten aus laufenden Verfahren.
Zündfunk: Herr Semsrott in Berlin läuft gerade ein Gerichtsverfahren gegen Sie. Was wird Ihnen denn vorgeworfen?
Arne Semsrott: Es geht um die möglicherweise verbotene Veröffentlichung von Dokumenten aus dem Strafverfahren gegen die Letzte Generation. Mitglieder der Letzten Generation wurden ja beschuldigt, eine kriminelle Organisation gebildet zu haben. Deswegen gab es Hausdurchsuchungen, das Pressetelefon der Letzten Generation wurde abgehört und das alles waren sehr tiefe Grundrechtseingriffe. Die Beschlüsse dazu vom Amtsgericht München waren nicht öffentlich einsehbar und ich habe sie veröffentlicht und das ist möglicherweise eine Straftat nach Paragraph 353d Strafgesetzbuch.
Dass diese Veröffentlichung illegal ist, haben Sie bewusst in Kauf genommen. Warum?
Weil ich der Auffassung bin, dass dieses Veröffentlichungsverbot nicht mehr zeitgemäß ist. Das geht im Kern auf eine Zensur-Gesetzgebung aus der Kaiserzeit zurück. Das ist eine Einschränkung für die Pressefreiheit. Weil die Arbeit zu laufenden Strafverfahren, also das Zitieren, das Veröffentlichen von Originaldokumenten – also das, was aus meiner Sicht guten, seriösen Journalismus ausmacht – bei laufenden Verfahren nicht möglich ist. Das führt dazu, dass Falschinformationen eher möglich sind, dass ein wortgetreues genaues Arbeiten nicht möglich ist. Und deswegen glaube ich, dass dieser Paragraph 353d abgeschafft werden sollte. Ich versuche letztlich zu erreichen, dass das Bundesverfassungsgericht den Paragraphen für verfassungswidrig erklärt.
War das ein Zufall, dass sie genau diesen Fall ausgesucht haben, in dem der Letzten Generation die Bildung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen wird, oder haben Sie sich bewusst dafür entschieden?
Das war bewusst gewählt, weil das hier wirklich ein besonderes Verfahren ist. Zum einen standen die Beschlüsse des Amtsgerichts zu den Durchsuchungen und zum Abhören des Pressetelefons sehr stark in der öffentlichen Kritik. Es gab auch Beschwerden von Journalisten, die quasi über Eck mit abgehört wurden. Dann war die Letzte Generation mit einem sehr, sehr großen öffentlichen Interesse behaftet. Es gab hitzige Diskussionen über Monate und Jahre. Und dass man in einem solchen Fall auch die Beschlüsse von einem Amtsgericht, die so große Auswirkungen auf die Öffentlichkeit haben, braucht, liegt auf der Hand. Deswegen ist es bei einem Verfahren mit einem so großen öffentlichen Interesse sehr passend, das als Musterprozess zu nehmen. Und darüber zu schauen, ob die dahinterliegende Norm verfassungswidrig ist.
Der Richter des jetzigen Verfahrens hat ihnen angeboten, den Fall wegen Geringfügigkeit einzustellen. Sie wären also ohne Strafe davon gekommen. Können Sie uns erklären, warum Sie auf das Urteil bestehen und wahrscheinlich auch bestraft werden?
Mir geht es hier nicht um meinen eigenen Fall und um die Frage, ob ich bestraft werde oder nicht, sondern es geht tatsächlich um die Klärung: Das ist eine Einschränkung der Pressefreiheit und diese Norm muss weg.
Es gab ja bereits zwei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu Paragraph 353 d des Strafgesetzbuches. 1974 und 2014 – und beide Male wurde das Veröffentlichungsverbot mit der Begründung bestätigt, dass die Unbefangenheit von Verfahrensbeteiligten, namentlich von Laienrichtern und Zeugen, zu schützen wäre. Ist das nicht auch schützenswert?
Natürlich. Hier haben wir aber eine andere Konstellation als in diesen beiden Verfahren, die das Bundesverfassungsgericht bereits behandelt hat. Wir haben heute eine andere Form der Medienöffentlichkeit, in der es viel normaler ist, dass Dokumente veröffentlicht werden. Außerdem waren die Beschuldigten in diesem Fall einverstanden mit der Veröffentlichung. Ich glaube, dass dieses Verfahren so speziell ist, dass es dem Bundesverfassungsgericht die Möglichkeit geben würde, dass man im Einzelfall tatsächlich abwägen muss, was im öffentlichen Interesse liegt. Und das eben nicht in jedem Fall. Dass die Presse ein gewisses Privileg hat, bei wichtigen Verfahren auch zu veröffentlichen, das ist das Ziel. Und nach diesem Urteil geht es jetzt erstmal in die nächste Instanz, wahrscheinlich zum Bundesgerichtshof, und danach kann es dann nach Karlsruhe zum Bundesverfassungsgericht gehen.
Jetzt sind wir bei den juristischen Details dieser ganzen Geschichte gelandet. Vielleicht können Sie noch mal erklären, warum Sie es so wichtig finden, dass solche Dokumente wie in diesem Fall veröffentlicht werden können, bevor es überhaupt ein Urteil gibt?
Wir haben eine Zeit der Vertrauenskrise gegenüber den Medien, in der viel über Desinformation gesprochen wird und in der es wichtig ist für die Pressefreiheit zu kämpfen. Und für eine freie, seriöse Berichterstattung gehört eben auch dazu, dass man zitieren kann, dass man Originaldokumente veröffentlichen kann, insbesondere bei hitzigen Debatten zu laufenden Verfahren.
Gestern war einer der zwei geplanten Verhandlungstage. Wie ist es denn gelaufen?
Das Landgericht hat sich sehr intensiv mit den den Fragen dieses Falls auseinandergesetzt und hat schon sehr deutlich gemacht, dass es auch durchaus Anknüpfungspunkte sieht, warum so ein absolutes Veröffentlichungsverbot eigentlich nicht haltbar ist. Das Landgericht hat tatsächlich auch die Einstellung des Verfahrens angeboten, und das ist für ein Strafverfahren schon wirklich sehr ungewöhnlich. Das heißt, alle Seiten haben schon erkannt, hier geht es um ein Grundsatzverfahren, ich würde jetzt erstmal davon ausgehen, dass es zu einer Verurteilung kommt. Aber das bietet dann die Möglichkeit, in die nächste Instanz zum Bundesgerichtshof zu gehen und eine Grundsatzklärung herbeizuführen.