Bayern 2 - Zündfunk

Mohamed Amjahid über Polizeigewalt "Es geht um eine Institution, die sich von demokratischen Gepflogenheiten abgenabelt hat"

Wir haben ein strukturelles Problem mit der Polizei, ist der Journalist Mohamed Amjahid überzeugt und hat ein Buch über Polizeigewalt geschrieben. Warum selbst eine Kinderserie wie "Paw Patrol" problematisch ist und was "Copaganda" damit zu tun hat.

Von: Oliver Buschek

Stand: 01.10.2024 | Archiv

Hartes Vorgehen gegen Aktivisten der "Letzten Generation" | Bild: Michael Kuenne/ZUMAPRESS/pa

Faustschläge ins Gesicht, Hiebe mit dem Schlagstock, rassistische Beleidigungen. Wer so etwas erlebt, der kann sich eigentlich an die Polizei wenden. Aber was ist, wenn die Täter*innen selbst bei der Polizei sind? Immer wieder werden Vorwürfe und Anklagen gegen die Polizei erhoben. Wegen unangebrachter oder überzogener Gewaltanwendungen, bis hin zu tödlichen Schüssen. Hinzu kommen Berichte über Rechtsextreme in Polizeiuniformen und rassistische Chatgruppen. Der Journalist Mohamed Amjahid hat sich nun intensiv damit beschäftigt, was schief läuft in der deutschen Polizei, für sein Buch "Alles nur Einzelfälle. Das System hinter der Polizeigewalt."

Zündfunk: Wie gefällt Ihnen eigentlich der Slogan "Die Polizei. Dein Freund und Helfer"?

Mohamed Amjahid: Der kann mir nicht gefallen, weil diese Chiffre unter den Nationalsozialisten etabliert worden ist in Deutschland. Der Spruch stammt zwar aus der Weimarer Republik, wurde aber in der NS-Zeit instrumentalisiert: Da hat sich das Propagandaministerium höchstpersönlich darum gekümmert, dass sich "Freund und Helfer" etabliert. Leider hat sich der Spruch bis heute gehalten.

Und wenn wir von der Genese mal absehen, die inhaltliche Aussage, gibt es den guten, die gute Polizist*in?

Es geht hier nicht um die einzelnen Personen, um die einzelnen Polizist*innen, sondern um eine Institution, die sich, glaube ich, abgenabelt hat, von demokratischen Gepflogenheiten. Trotzdem schauen sehr viele Menschen in unserer Gesellschaft immer noch weg.

Dann gehen wir mal in die Fakten. Polizeigewalt: Manchmal muss die Polizei Gewalt anwenden. Und dann gibt es sicherlich Fälle, wo Beamt*innen übers Ziel hinausschießen, mehr Gewalt anwenden als nötig. Und dann gibt es diese Fälle, wo Gewalt angewendet wurde, wo sie komplett unangebracht war. Was bringt Sie denn dazu, zu sagen, das sind keine Einzelfälle, sondern wir haben es da mit einem System zu tun?

Der Journalist und Autor Mohamed Amjahid

Was man wirklich über die ganzen Bundesländer in Deutschland hinweg beobachten kann, ist eine Cop-Culture, eine Kultur des Wegschauens. Es geht natürlich um die Polizist*innen, die in diesem rechtsextremen Chat waren. Es geht um die Polizist*innen, die Munition klauen und an rechtsextreme Netzwerke weitergeben. Es geht um all diese Fälle, aber es geht auch um jene im System, die das alles mitbekommen und weggucken. Es gibt keine Fehlerkultur, oder eine nicht ausreichende Fehlerkultur, innerhalb von Polizeibehörden in Deutschland. Und deswegen müssen wir über die Strukturen sprechen, die überhaupt diesen Machtmissbrauch ermöglichen.

Wieso gibt es diese Fehlerkultur nicht?

Weil die Polizei, glaube ich, in Deutschland mehr oder weniger heilig ist, so eine Art Religion. Wir haben ja schon über "Freund und Helfer" gesprochen. Deutsche lieben es die 110 zu wählen, wenn der Nachbar zum Beispiel ein bisschen zu laut ist. Dann geht man nicht hin und versucht zu reden, sondern man ruft die Polizei. Und von der politischen Seite, also vor allen Dingen in den 17 Innenministerien, die wir haben in Deutschland, wird die Polizei so protegiert, dass viele im System denken, ich kann meine Macht missbrauchen, mir passiert ja nichts.

Besonders gefährdet, Opfer von Machtmissbrauch und Polizeigewalt zu werden, sind Untersuchungen zufolge junge Männer mit Migrationshintergrund. Das wundert Sie wahrscheinlich nicht.

Tatsächlich sind von Rassismus betroffene Menschen sehr betroffen vom Thema Polizeigewalt. Psychisch erkrankte Menschen sind auch davon betroffen. Erst im Augusgt wurde zum Beispiel in München eine psychisch erkrankte Frau in einem Supermarkt erschossen. Anstatt dort mit einem soziopsychologischen Dienst reinzugehen, gehen wir als Gesellschaft mit der Polizei rein. So sterben auch Menschen.

Was in diesem Fall in München schiefgelaufen ist oder auch nicht, das wird untersucht.

Genau. Es wird untersucht. Aber wenn ich mir diese vermeintlichen Einzelfälle anschaue, dann läuft es darauf hinaus, dass immer Business-as-usual gemacht wird. "Ach ja, okay, gut, die Polizist*innen haben sich halt selbst geschützt und dann ist es halt schlecht gelaufen." Und aus dieser Struktur auszubrechen, das ist hoffentlich aus meinem Buch eine Konsequenz. Oder es ist ein kleiner Beitrag, um das zumindest kritisch zu hinterfragen.

Wenn man so auf die Verfahren guckt, wo gegen Polizist*innen ermittelt wurde, dann sind es ja gar nicht so viele. Im Jahr 2021 gab es laut Statistischem Bundesamt knapp 2.800 Ermittlungen. Nur in 80 Fällen erfolgten dabei auch Anklage wegen Körperverletzung im Amt, also in zwei Prozent der Fälle. Was sagen diese Zahlen aus?

Eines meiner Lieblingshobbys ist tatsächlich, Statistiken kritisch zu lesen. Es klingt so ein bisschen langweilig, aber es ist wirklich auch für Leute, die True Crime mögen, sehr spannend! Die zwei Prozent, die dann vor Gericht landen, zeigen, dass wir ein strukturelles Problem haben. Auch mit der juristischen Aufarbeitung dieser Probleme. Wenn jemand schlechte Erfahrungen mit der Polizei gemacht hat, dann muss diese Person zur Polizei gehen, um das anzuzeigen. Das ist schon mal ein Problem, wovor sehr viele Menschen – dazu gibt es sehr viel Forschung – zurückschrecken. Und dann haben wir eine polizeifreundliche Justiz, die Polizist*innen fast alles glaubt und eben nicht auf Indizien oder Beweise schaut. Und so kommen diese Statistiken zustande. Weil es keine Checks and Balances gibt, keine institutionelle Möglichkeit, den Machtmissbrauch aufzufangen. Und auf der anderen Seite sind die Möglichkeiten, sie juristisch zu ahnden, auch nicht genügend.

Wir bräuchten also eine Möglichkeit, Polizeibeamt*innen auch unabhängig von der Polizei anzuzeigen.

Genau. Das gibt es auch in anderen Ländern. Da wehren sich vor allen Dingen die Polizeigewerkschaften, die in Deutschland große Macht haben, dagegen. So eine Art Ober-Polizei, eine Behörde, die mit allen Kompetenzen, mit Akteneinsicht wirklich ermitteln kann. Das gibt es zum Beispiel in Nordirland oder Dänemark. So eine Polizeibehörde, die die Polizei beaufsichtigt, könnte zu mehr Gerechtigkeit und weniger Machtmissbrauch führen.

"Copaganda" ist ein sogenanntes Kofferwort, zusammengesetzt aus Cop und Propaganda. Was genau ist damit gemeint?

Das meint die sehr unkritische Art und Weise in Film und Fernsehen, in der Popkultur, in der Musik, im Theater, aber auch in der Literatur, die Polizei zu thematisieren. Ich möchte jetzt niemandem den geliebten Krimi wegnehmen. Jede Person kann lesen oder gucken oder ihre Freizeit verbringen, wie sie möchte. Es geht aber darum, auch kritisch darauf zu schauen, wie wir über Popkultur das Bild von der Polizei aufsaugen, das wir haben. Copaganda ist etwas, das uns jeden Tag umgibt und was ich mit meiner Recherche mit dem Buch versucht habe, zumindest sichtbar zu machen.

Was ich interessant fand: Sie widmen in ihrem Buch besondere Aufmerksamkeit einer Serie, die vor allem sehr jungen Zuschauer*innen bekannt sein dürfte: "Paw Patrol". Eine Hundestaffel im Kampf gegen Verbrechen und andere Bedrohungen. Was ist so schlimm daran?

Erstmal mache ich mich sehr unbeliebt bei allen Zwei- bis Sechsjährigen an dieser Stelle, weil diese Zeichentrickserie bei denen sehr beliebt ist. Das sind ja noch sehr, sehr junge Menschen und Kleinkinder. Eigentlich Babys.

Sagen Sie mal einem Sechsjährigen, dass er ein Baby ist. Aber gut, ja.

Aber Zweijährige gucken das schon.

Was wird da transportiert, dass Sie diese Serie für so problematisch halten?

Es ist eine Serie mit Hundewelpen und einer ist ein Polizist. Die gehen raus und sorgen für Recht und Ordnung. Aber in ihrer eigenen Art und Weise, mit ihren eigenen Regeln. Nicht demokratisch geframet und auch teilweise sehr gewalttätig für eine Zeichentrickserie. Da werden zum Beispiel Pinguine als Masse dargestellt, die von außen kommen. Und dann gilt es, die irgendwie zurückzudrängen. Es gilt, irgendjemanden zum Beispiel abzustrafen. Und dann wird diese Figur in ein Zwangslager gesteckt oder zu Zwangsarbeit verdonnert. Ich habe gehört, dass Kinder viele Sachen ernst nehmen und sehr schnell lernen. Und es gibt Berichte, wonach Kinder, nachdem sie diese Serie mehrfach geguckt haben, dazu übergegangen sind, selbst strafen zu wollen. In dem Fall die Eltern, die ja sowieso verzweifelt sind.

Serien wie "Paw Patrol" und die ganzen Krimis im Fernsehen, sagen Sie, stützten dieses Bild von der guten Polizei. Und Sie verstehen mich hoffentlich nicht falsch, wenn ich sage, die guten Polizist*innen im Einzelfall, die gibt es durchaus! Aber das System stimmt nicht, sagen Sie. Was müsste sich nun ändern, damit Sie am Ende sagen, der Slogan "Polizei: dein Freund und Helfer", der passt auch für die gesamte Institution?

Das ist eine philosophische Frage. Es wäre gut, wenn wir über Sicherheit diskutieren könnten: Wie wollen wir sicher miteinander leben? Und ist es eigentlich immer so gut, die Polizei reinzuschicken? Beim Thema Migration, Integration, aber auch beim Thema Gesundheit, im Kontext der Corona-Krise zum Beispiel, beim Thema Klimaschutz, da sagen einige, dass man all diese Aktivist*innen festnehmen lassen sollte. Da ist es lohnenswert, darüber zu diskutieren. Wie wollen wir sicher miteinander leben? Obdachlosigkeit, Drogenabhängigkeit oder auch Menschen mit psychischer Vorerkrankung: Wie wollen wir mit diesen Menschen umgehen, dass sie sicher sind? Dass wir sicher sind. Und wir sollten hinterfragen, ob die 110, ob die Polizei immer der richtige Ansprechpartner ist.

"Alles nur Einzelfälle, das System hinter der Polizeigewalt" von Mohamed Amjahid ist am 26.10. im Piper-Verlag erschienen.