Meinung Warum Jerry Seinfeld sich mit reaktionären Thesen zu Comedy selbst widerlegt
Comedy sterbe durch politische Korrektheit, sagt der Comedian Jerry Seinfeld. Und könnte damit nicht weiter daneben liegen. Die Welt der Comedy von „Friends“ bis „ALF“, ja selbst seine eigene Serie, widerlegen Seinfeld.
Jerry Seinfeld lacht sich gerade ins Fäustchen. Seine neue Netflix-Show „Unfrosted“ startet– und sein Marketing-Clou ist voll aufgegangen. Denn Marketing war nötig, wenn wir ehrlich sind. Trotz Hugh Grant, der mitspielt. Denn vor allem im Leben der Jüngeren auf Tiktok und Co spielt der Name „Seinfeld“ eine vergleichbar große Rolle wie Schmerzen im Ischias-Nerv. Wie also viel Publikum kriegen? Und dann auch noch für eine Serie, die in den 60ern spielt und über Cornflakes geht? Wie neben Dutzenden anderer Serienstarts und einer Zeit mit laufend Breaking News Aufmerksamkeit kriegen? Jerry Seinfelds Überlegung war wohl: Mit einer Diskussion über politische Korrektheit! P.C. geht immer, das spricht die Konservativen an und bringt die Progressiven auf.
Was Jerry Seinfeld über Politische Korrektheit sagt
Also blies er fünf Tage vor Serienstart und einen Tag vor seinem 70. Geburtstag – der war praktischerweise auch noch – eine raue These im „New Yorker“ raus: Es gäbe keinen „funny stuff“ mehr im Fernsehen. Denn:
"Das ist das Ergebnis der extremen Linken und dem ganzen P.C.- Mist und den Leuten, die sich so ständig sorgen andere Leute zu verletzen. (…) Wenn Sie ein Drehbuch schreiben und es in vier oder fünf verschiedene Hände, Gremien und Gruppen geben – ‚Hier ist unsere Meinung zu diesem Witz.‘ Nun, das ist das Ende Ihrer Comedy."
Jerry Seinfeld
Aha! Comedy endet also, wenn sie nicht mehr verletzt. Wenn wir Sensitivity Readings von Drehbüchern machen und diskriminierende Witze rauswerfen. Ist das so? Ist etwas witzig, wenn es politisch verletzt – und sonst nicht? Gucken wir uns das an.
Warum Comedy auch witzig ist, wenn sie P.C. ist
Die Behauptung, Comedy ende, wenn sie nicht mehr verletze, ist so richtig oder falsch wie die Behauptung, Cornflakes schmecken, wenn Dark Chocolate drin ist: Es ist Geschmackssache! Manche mögen Cornflakes mit Dark Chocolate – manche nicht. Manche mögen Comedy mit Diskriminierung – manche nicht. Um Geschmack soll es hier aber nicht gehen, sondern um Folgendes: Beides, Cornflakes mit Dark Chocolate und Comedy mit Diskriminierung, sind nur jeweils spezielle Sorten. Neben Cornflakes mit Dark Chocolate gibt es Cornflakes mit Zimt, Cornflakes mit Apple Taste, Cornflakes mit Nuss, Cornflakes mit Erdbeeren, Cornflakes mit Crunch, Cornflakes mit Rice Crisp, Cornflakes mit Kokos. Und so ist es auch mit Comedy:
Neben Comedy mit Diskriminierung gibt es Slap Stick Comedy (Charlie Chaplin, Karl Valentin, Simpsons), Comedy durch Selbstironie (Chandler in Friends – „I make jokes when I am uncomfortable“), absurde Comedy (ALF – „Wenn Du mich brauchst, ich bin im Kühlschrank!“), Comedy durch Wortwitze (Samantha in Sex and the City: „I don‘t believe in the Republican party or the Democratic Party, I just believe in parties“), Comedy in Form von Running Gags (Ross in Friends: „We were on a break!“, Heuteshow: „Bernd Höcke“), Comedy durch witzige Vergleiche (ALF: "You type for a while, you've got 25% more fingers."), Comedy durch Analogien (Chandler in Friends: „Cheese. It’s milk you chew.“), Comedy über Tabus (Steffi Sargnagels Comic eines Embryos mit Sprechblase: „lieber tot als rot-weiß-rot“).
Es gibt auch Comedy in Form von Satire, Parodien, Dialekten. Oder in Form von Ironie (der Humor der Haltungslosen), Übertreibungen (Das Handy junger Leute ist so groß wie eine Billard-Platte), Archetypen (der Nerd, der Trottel, der sich durchwurstelnde
Chef) oder Fokus-Verschiebung (Wie retten wir die armen Kinder im Jemen? Sollen wir sie essen?). Es geht hier, wie gesagt, nicht um Geschmack, es geht nur darum, wie viele Arten von Humor es gibt. Comedy, die andere verletzt, ist nur eine davon.
Warum es auch lustig ist, wenn Humor sich gegen Menschen richtet
Selbst wenn sich Comedy gegen Menschen richtet, gibt es viele Zielrichtungen: sie kann sich gegen einen selbst richten (Rachel in Friends: „Oh, that’s okay, girls tend to not like me.”), gegen Tierfreunde (ALF: „You are getting sleepy. You...are no longer a cat. You are a bagel!“), gegen die eigene Familie (Rachel in Friends: “Oh, my God. I’ve become my father. I’ve been trying so hard not to become my mother, I didn’t see this coming.”), gegen Religionen (Carrie in Sex and the city: „Swear on Chanel. – I swear!“) und so weiter und so fort. Also: Die Botschaft ist eigentlich ganz simpel: Comedy kann gegen viele treten, gegen sich selbst, das eigene Milieu, die Etablierten, die Komfortablen, gegen Oben. Comedy muss nicht gegen unten treten, also gegen die, die eh schon diskriminiert sind. Denn das ist es ja, was es heißt, wenn Menschen sich einen politisch korrekten Umgang miteinander wünschen und politisch korrektes Entertainment.
Was wäre, wenn wir alle diskriminierenden Witze streichen?
Selbst wenn wir heute alle homo-, frauen-und dickenfeindlichen Witze aus Friends rausstreichen würden, würden noch 90 Prozent der Witze bleiben. Und selbst „Seinfeld“ hat so viel mehr zu bieten als Jerry Seinfeld heute vorgibt: Da wären zum Beispiel Lebensweisheiten (George: „When you look annoyed all the time, people think that you re busy.“), Naivität (Jerry Seinfeld: “It’s amazing that the amount of news that happens in the world every day always just exactly fits the newspaper.”), oder Selbstironie (Jerry: “Is this about me?” - Elaine: “No.” - Jerry: “Then I’ve lost interest.”).
Warum Seinfeld sich selbst widerlegt
Seinfeld widerlegt sich selbst, denn „Seinfeld“ kann viel mehr als verletzende Comedy. Auch er ist absurd, quatschig, liebevoll, tritt nach oben oder gegen sich selbst. Und er zeigt: Kein Mensch braucht Comedy, die nach unten tritt, also gegen Marginalisierte. Dass wir heute versuchen, politisch korrekt zu sein, ist eine Errungenschaft. Die alten Folgen von „Seinfeld“ sind in großen Teilen besser als die neuen Aussagen von Seinfeld: Denn letztere sind reaktionär, missächtlich und gefährlich. Im gleichen „New Yorker“-Interview sagt Seinfeld übrigens auch übers Älterwerden: „I love old comedians, I do. Because they just get better, (…) you just get better and better.“ Auch hier hat Seinfeld sich widerlegt.