Meinung Warum wir Smartphones im Club aushalten müssen
Content statt Concert: Smartphones und Selfievideos killen den Vibe auf Konzerten und Partys, da sind sich die meisten einig. Aber – Filmerei und Follower machen Spaß, und unterm Strich profitieren auch die DJs davon. Über ein Dilemma, bei dem alle gefragt sind.
Drei DJs stehen hinter einem DJ-Pult und spielen ihren Hit “Move”, ein Song, der auf Spotify über 345 Millionen Streams hat. Über ihnen thront eine riesige glitzernde Wolke und vor ihnen entfaltet sich eine riesige Crowd, hell erleuchtet in Ekstase und Happiness, ganz im Moment. Oder doch nicht? Nein! Die Crowd ist eigentlich eine Wand. Eine hell erleuchtete Wand voller Smartphones. Fast niemand regt sich, nur der ruhige Track ist zu hören, die Ekstase bleibt aus. Cut. Ende. Ist das noch Clubkultur?
Die drei DJs in diesem Video sind die momentan kommerziell erfolgreichste und global gehypteste DJ-Crew der Welt: keinemusik aus Berlin, bestehend aus den drei Produzenten und DJs Adam Port, Rampa und &Me. Entsprungen aus der Berliner Undergroundszene, treten keinemusik mittlerweile weltweit auf, auf Ibiza, in Dubai, auf Mykonos. Sie ziehen hiesige kommerzielle Deals an Land wie mit der Uhrenmarke Audemars Piguet oder ihrem eigenen Modelabel "Teile". Erst letztes Jahr spielten sie ein Set vor den Gizeh-Pyramiden in Ägypten, gesponsert von der ägyptischen Regierung. Spätestens seit diesem Gig ist die Crew in der DJ-Szene ähnlich umstritten wie gefeiert. Den kommerziellen Ausverkauf werfen ihnen viele vor, politische Ignoranz, die kalte Berechnung ihres Erfolges – und ja, auch die Zerstörung der Clubkultur.
Debatten-Dauerbrenner Smartphone im Clubkontext
Besonders die Diskussion um Smartphones im Club ist neu entflammt: Erst kürzlich postete das Münchner Disco-Label Toy Tonics, bekannt für tanzwütige Crowds und “Good Vibes”, eine Art Antwort-Video auf den keinemusik-Clip. In dem kurzen Instagram-Reel waren erst keinemusik und dann Eindrücke der letzten "Toy Tonics"-Party zu sehen. Eine Crowd, die wild tanzt, keine Smartphones weit und breit. In der Caption schreiben sie dazu:
"Real DJ Culture is about the love of quality music, celebrating together, creative positive vibes, discovering new tunes, listening to innovative DJs that have knowledge & skills. It’s sad to see how many DJ events ourdays seem only to be made for Instagram clips or satisfying the corporate brands that sponsor the partys or the DJs."
toytonics
Die Reaktionen sind gespalten. Viele werfen den Münchnern Überheblichkeit vor. So haben keinemusik ja durchaus professionellen DJ-Background und Skills. Dazu sind auch Toy Tonics im Marketing- und Businessbereich gut mit dabei. Mithilfe mehrerer Agenturen schmeißt das Label an einem Wochenende teils mehrere Partys in mehreren europäischen Städten gleichzeitig. Social-Media-Content gibt’s auch regelmäßig – inklusive Selbstbeweihräucherung.
Machen wir es uns mit dem Hate zu einfach?
Die “Kritik" findet trotzdem Anklang. Nicht nur von Toy Tonics. Sondern im ganzen Internet. Es reicht ein Blick in die Kommentar-Sektion bei keinemusik selbst: "Boring Elevator Music and a shit crowd” schreibt ein User unter einem Video auf Instagram, "ich will die 90er zurück”, “here for everyone bashing these bozos”, aber eben auch "incredible vibe” und “you guys deserve all the success in the world”.
Killen die Smartphones den Vibe und mit ihm die Clubkultur? Und wer ist schuld: die DJs oder die Crowd selbst? Und machen wir es uns damit nicht zu einfach?
Social Media hat auch die Rave Culture ziemlich verändert. Heutzutage sind DJs, Veranstalter und Künstler aus der Clubkultur nicht mehr auf journalistische Medien angewiesen für Promo- oder Werbe-Möglichkeiten. Sie können sich ihre Plattformen selbst aufbauen und ihren eigenen Content darauf vermarkten – frei nach Schnauze. Viele DJs sind heute Stars, Clubs für viele Touristenattraktionen und die Auftritte der großen Player finden eher auf riesigen Festivalbühnen als in stickigen Kellerräumen statt. Dank Streaming ist jeder Song der Welt nur einen Klick entfernt. Und dank Instagram und Youtube lassen sich mit nur einem Post neue Zielgruppen und Menschen weltweit erreichen.
Ein neuer Party-Ansatz in New York
Jemand, den ich ohne all das wahrscheinlich nie entdeckt hätte, ist sie: Jojo Lorenzo, DJ aus New York und Gründerin von Book Club Radio, einer Club-Nacht und Streaming-Reihe. Zusammen mit ihrer Schwester DJ Tinzo hat sie Book Club Radio 2022 aus ihrem Wohnzimmer gestartet. Das Konzept? Ganz einfach. Partys irgendwo in New York. Line-Up: Jojo, Tinzo und lokale andere DJs. Dazu Motto-Sets. Jeder einstündige Live-Mix folgt einem bestimmten Genre – das kann ganz klassisch Acid House oder Trance sein, aber auch mal nischiger und spezifischer wie zum Beispiel Darkwave & Goth Rock.
“Ich liebe Filme und besonders Partyszenen in Filmen. Da gibt’s oft so tolle Szenen, in denen Menschen voll im Moment leben und zusammen tanzen. Meistens haben sie dabei auch keine Smartphones in der Hand”, sagt Jojo dazu: “Und genau das wollten wir hinkriegen.”
YouTube-Vorschau - es werden keine Daten von YouTube geladen.
Darkwave & Goth Rock Mix in a Brooklyn Warehouse | Jojo Lorenzo
Also das Gegenteil von dem Vibe, den auch ich immer wieder auf Partys spüre, die ich besuche. Menschen versammeln sich ums DJ-Pult, versetzen sich für einen Moment in Ekstase, halten die Kamera darauf und gehen dann an die Bar, um sich zu unterhalten. Weniger Im-Moment-Sein, weniger Connection, alles für den Content. Hinterher wird der Clip dann gepostet und “Party des Jahres” dazugeschrieben. Auch DJ Bob Sinclar berichtet auf Instagram:
"Ich hatte gerade den schlimmsten Gig meiner Karriere. Auf Mykonos. Ich habe wie immer gespielt: French Touch, ein bisschen kommerzieller, ein bisschen deeper. Aber niemand bewegt sich, alle stehen nur mit ihrem Handy da. Ich weiß nicht, worauf die warten? Auf “World Hold on”, “Love Generation”, auf meine Hits? Die stehen einfach da, wie eingefroren. Komplett tot. Das macht mich so depressiv. Vielleicht ist es meine Schuld? Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, was passiert ist"
- Bob Sinclair
Oder Trentemoller, der im Zündfunk-Interview das Dilemma beschreibt: "Gerade hatten wir eine Show, wo unser Bassist so richtig frustriert war, weil viele im Publikum nicht nur einen Song gefilmt haben, sondern das ganze Konzert – von Anfang an bis zum Schluss. Ich verstehen ihn da total, auf der anderen Seite poste ich auch die ganze Zeit Stories oder teile Stories von den Besuchern unserer Shows. Ich filme aber auf keinen Fall das ganze Konzert; ich hole vielleicht ein bis zwei mal mein Handy raus. Man muss da einen guten Mittelweg finden, denn ich will das Konzert mit all den anderen Besuchern teilen. Die sind auch wegen der Musik gekommen!"
Wie wärs also mit: alle Smartphonekameras am Einlass zukleben! So macht es zumindest das Berghain in Berlin, das objekt klein a in Dresden oder das Blitz in München. Problem gelöst. Oder?
Warum auch DJs von den Smartphone-Clips profitieren
Eben nicht. Auch aus dem Berghain dringen regelmäßig Videos auf meine FY-Page. Ganz in schwarz, aber mit Ton. Das Mitteilungsbedürfnis ist einfach zu groß. Und der Druck des Kapitalismus! Ja klar, was ist denn Video-Content heute sonst außer astreines Kapital? Ein gutes Video von einer Show bringt auf Social Media potenziell Klicks, Reichweite und damit Erfolg. Erfolg wiederum bringt Geld und womöglich Auftrittmöglichkeiten. DJs und Veranstalter heutzutage wissen und nutzen das. Die Jungs von keinemusik zum Beispiel fordern ihre Fans nach jedem Gig dazu auf, all deren Videos in digitale Clouds zu schmeißen, um anschließend die besten zu posten. Das kann man Community-Building nennen, das eigene Vibe-Grab schaufeln – oder eben die perfekte Marketingstrategie.
Nicht ohne Grund lassen viele erfolgreiche Künstler heutzutage ihre Sets professionell abfilmen und hoffen fieberhaft auf einen Gig bei BOILER ROOM. Dazu sprießt momentan ein neues DJ-Video-Format nach dem anderen aus der Erde – HÖR, Radio Rudina, kiosk.radio, wie heißen sie nicht alle. Folgerichtig checkt auch die Seite der Konsumenten den Wert der Videos. Ein Selfie-Clip in der ersten Reihe von Star-DJs wie Peggy Gou oder DJ Gigola ist ein Klickgarant. “Ich war da, ich hab's gesehen, Seht her!” Und ping. Ein Follower mehr.
Clubkultur muss das aushalten können
Das kann unfassbar nerven. Ich weiß. Vor allem, da Clubs eigentlich auch eines sein sollen: Safer Spaces, in denen man ungestört loslassen und den Stress abschütteln kann. Ohne hinterher sein Gesicht irgendwo im Internet zu finden.
Trotzdem finde ich: Das muss eine Clubkultur hier und da aushalten können. Ja, im Club sollte es immer ums Tanzen gehen. Um den Moment, um das Miteinandersein. Andererseits macht das mit der Content Creation aber einen heiden Spaß – und es bringt Sichtbarkeit. Kurz vor der Pandemie habe ich mit dem Auflegen angefangen. Mittlerweile spiele ich deutschlandweit in bekannten Clubs und habe eine eigene Veranstaltungsreihe. Ich bin genau da, wo ich heute bin, auch WEGEN Social Media, WEIL ich mich als DJ dort präsentiert und darüber Kontakte geknüpft habe.
Was bei keinemusik im eingangs erwähnten Video zu sehen ist, beschreibt vielleicht den negativen Peek zeitgenössischer Clubkultur. Und mein DJ-Herz sagt mir: So ein Moment würde sich für mich nicht gut anfühlen. Aber es ist eben auch nur ein Moment.
Das wichtigste ist momentan: Zusammenhalten
Ein kleiner Ausschnitt der Realität, der im Internet landet. Aber die Sache mit den Smartphones? Macht mal halblang. Lasst uns das kritisieren, aber vor allem selbst Hand anlegen.
Als DJ und Veranstaltende haben wir die Macht, Dinge zu ändern und respektvoll darüber zu diskutieren, wie wir die Clubkultur in Zukunft gestalten wollen. So wie das Team von Bookclub Radio, die ein professionelles Filmteam für alle filmen lassen. Sie zeigen: Als Veranstaltende, DJs und als Crowd haben wir die Macht, Dinge zu verändern – und auch als Vorbild zu wirken. Die Party später vielleicht einfach mit unseren Worten zu beschreiben, und das Smartphone – auch aus Respekt für andere Partybesuchende – einfach mal Smartphone sein zu lassen. Ob und wie man diese Macht nutzt, muss jeder selbst wissen. Viel wichtiger ist aber, dass wir zusammenhalten. Gerade jetzt, in Zeiten von Clubsterben und finanziellen Schieflagen in der Kultur. For the culture!