Graues Geschütz Die Ortlerfront 1915-1918
Mit 3905 Metern Höhe ist der Ortler der höchste Berg der Ostalpen östlich der Schweiz und ein Riese aus Eis und Fels. Wer ihn besteigt, stößt zwangsläufig auch auf die Geschichte der Ortlerfront im Gebirgskrieg – ein Thema, das in unserer Rucksackradio-Serie „Wandern zu alpinen Schauplätzen des Ersten Weltkriegs“ nicht fehlen darf.
Kaum ein anderer Berg der Alpen steht so sinnbildlich für den Wahn dieses Krieges und die Strapazen der Soldaten.
An diesem höchsten Frontabschnitt mussten sich die italienischen und österreichisch-ungarischen Soldaten bei bis zu 30°C unter Null und oft starkem Schneefall verschanzen, erklärt Christian Mazagg von der Trafoier Bergwacht. Die Steigeisen kratzen über den Fels, Eis und Schnee bedecken Griffe und Tritte, es herrscht dichter Nebel. Wir folgen einem schmalen Grat und bleiben vor einer Felsnische mit Holzbrettern stehen. Einst dienten die Bretter als Brücke über Gletscherspalten. Sie sind noch in gutem Zustand, weil sie in der Höhe kaum faulen. Die Bretter sind die letzten Zeugen einer Epoche am Ortler, die drei Jahre gedauert hat: K.-&- K. Gebirgstruppen nutzen den Berg zwischen 1915 und 1918 als höchste Geschützstellung in den Alpen mit vier Geschütze, zwei kleineren und zwei größeren. Sie wurden so gut wie möglich befestigt und sollten dazu dienen, Vorstöße in andere Gebieten aufzuhalten, zumindest aber die Feinde einzuschüchtern.
Die Kanonen haben Kriegsgefangene auf den Gipfel gezogen. Der Ortler mit seinen Gletschern bot keine leichten Zugänge, war er doch ein Frontabschnitt unter den extremen Bedingungen des Hochgebirges. Im Winter gab es bis zu sechs Meter Neuschnee, und die Lawinengefahr war so groß, dass Unterstände und sicher geglaubte Stellungen samt der Mannschaft den Lawinen zum Opfer fielen. Weil viele Stellungen ins Eis gegraben wurden oder Baracken mit Seracs über die steilen Flanken des Berges abgestürzt sind, ist es heute ist es schwer, Spuren der Kämpfe zu finden.
Als der Gebirgskrieg 1915 beginnt, spielt der Ortler zunächst keine Rolle in den Planspielen der Generäle. Noch plant die österreichisch-ungarische Armee eine Verteidigung in den Tälern, unter anderem an der Straßensperre in Gomagoi unterhalb des Stilfser Jochs. Im Verlauf des Krieges besetzen die Italienischen Alpini dann aber nach und nach das Hochjoch, den Ortlerpass, die Trafoier Eiswand und die Thurwieserspitze. Als erste Patrouillen der Italiener in Richtung Ortler vorstoßen, reagiert man.
Ein Aufgebot an einheimischen Soldaten gräbt sich am Gipfelplateau des Ortlers ins Eis ein, um von hier aus den Gegner im Blick zu behalten. Der wichtigste Stützpunkt war schon damals die Payerhütte. Bis heute steht sie weitgehend unverändert auf einem ausgesetzten Grat unterhalb des Ortler-Gletschers. Direkt unterhalb der Hütte stehen noch die Mauerreste der Seilbahn, die von 1916 auf 1917 eingeweiht wurde. Nun konnte man das Kriegsmaterial von Sulden aus hochbringen. Eine weitere Seilbahn, per Handkurbel betrieben, hat die höhergelegenen Stellungen von der Hütte aus versorgt, im „Idealfall“ bei Nebel oder Schlechtwetter der besseren Deckung wegen.
Christian Mazagg kennt den Ortler und seine Geschichte wie seine Westentasche. Er ist mit dem Riesen aus Eis aufgewachsen. Inzwischen steigt der Bergwachtler und Nationalpark-Angestellte mehrmals pro Jahr auf den Gipfel. In seinem Heimatort Trafoi engagiert er sich in einem Verein, der das Gedenken an den Frontabschnitt wachhalten will. Unweigerlich stellt sich aber immer wieder die Frage, wie und warum es die Männer damals hier oben ausgehalten. Die meisten kamen direkt aus Stilfs und Sulden, waren zähe bergerprobte Burschen und wollten ihre Heimat nicht preisgeben – und dafür zahlten letztendlich alle einen hohen Preis.
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Karte: Ortler und Cevedale